Der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew galt einst als Hoffnungsträger für ein liberaleres Russland. Heute ist er einer von Putins Scharfmachern und immer für eine infame Gehässigkeit oder einen irren Auftritt gut. Wie am Weltjugendfestival in Sotschi.
Wäre Dmitri Medwedew ein Schauspieler, dann sässe er jetzt im Dschungelcamp. Als ehemaliger Präsident und langjähriger Ministerpräsident eines Staates, der sich mittlerweile keine Mühe mehr gibt, auch nur den Anschein von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu wahren, fällt für ihn diese Auftrittsmöglichkeit jedoch weg.
Medwedew kann als einzige offizielle Charge heute nur noch das Amt des ersten stellvertretenden Sekretärs des russischen Rats für nationale Sicherheit aufweisen. Da bleibt viel Zeit zum Verbreiten von Unsinn.
Auf seinem Telegram-Kanal beschimpft Medwedew vor seinen 1,2 Millionen Followern den ukrainischen Präsidenten als «Drogensüchtigen» und die EU-Regierungschefs als «Zirkus der Arschlöcher». Über den am 17. Februar abgeschlossenen Sicherheitspakt zwischen Deutschland und der Ukraine lästert Medwedew, hier hätten sich die Nazis und die ukrainischen Faschisten zusammengefunden: Die Antwort auf den Ruf «Ruhm der Ukraine» laute «Deutschland über alles!».
Putins wilder Schatten
So richtig zuhören mag dem Rumpelstilzchen aus dem Kreml keiner mehr. Medwedews Funktion scheint sich darin zu erschöpfen, neben seinen wilden Atomkriegsdrohungen den Aggressor Putin gemässigt erscheinen zu lassen.
Zum Glück gibt es noch inszenierte Veranstaltungen wie das Weltjugendfestival in Sotschi, an dem Medwedew den Heranwachsenden das putinistische Russland erklären kann. Für seine Aussage «Die Ukraine ist Russland» erhielt der Ex-Präsident dort von den sorgfältig instruierten Claqueuren minutenlangen Applaus.
Logik spielte in der Rede des abgehalfterten Politikers keine Rolle. So verkündete er mit Tremolo in der Stimme, dass die «Grenzen Russlands nirgends enden». Gleichzeitig behauptete er aber, dass Russland «keine fremden Länder angreifen» wolle, aber «das eigene Land» verteidige.
Bemerkenswert war eine Landkarte Osteuropas, die riesig im Hintergrund eingeblendet wurde und die glänzende Zukunft repräsentieren soll. Den grössten Raum nimmt selbstverständlich das «grenzenlose» Russland ein, das weit über die Krim und die im Oktober 2022 annektierten Gebiete Luhansk, Donezk, Saporischja und Cherson bis in die Zentralukraine ausgreift. Allerdings scheint die Karte hastig erstellt worden zu sein. So erscheinen auf dieser Karte die Bezirkshauptstädte Tschernihiw (russisch Tschernigow) und Kropiwnizki (russisch Kirowograd) zwar als Teil Russlands, allerdings in der ukrainischen Schreibweise.
If the Kremlin’s intentions weren’t already clear enough, here is former Russian president Dmitry Medvedev saying today that the concept of an independent Ukrainian identity must «disappear for good» pic.twitter.com/hqnPvXq4oA
— Francis Scarr (@francis_scarr) March 4, 2024
Auch sonst gibt es einige Seltsamkeiten: Die Ukraine ist auf den Bezirk Kiew geschrumpft, dafür sind die feindlichen Nato-Staaten Rumänien und Polen enorm angewachsen. Polen reicht bis nach Schitomir und Chmelnizki, Rumänien erhält aus der Zwischenkriegszeit die Stadt Czernowitz zurück, aber aus unerfindlichen Gründen ist nun auch die ukrainische Bezirkshauptstadt Winniza plötzlich rumänisch.
Keine Überraschung bietet der Anschluss Transkarpatiens an Ungarn. Bemerkenswert ist schliesslich, dass das prorussische Transnistrien, das bereits mehrmals den Kreml um Aufnahme in die Russische Föderation gebeten hat, plötzlich von der Landkarte verschwunden ist.
Blaue Zwangsjacke
Zu reden gab das knallblaue Outfit, das Medwedew für seinen Auftritt gewählt hatte. Lange Zeit galt Medwedew als das bestgekleidete Mitglied der russischen Regierung. Eine russische Frauenzeitschrift wies darauf hin, dass seine Jacketts eng tailliert seien, um den 162 Zentimeter kleinen Politiker grösser erscheinen zu lassen. Schon als Präsident zeigte Medwedew eine beachtliche Flexibilität in seinem Kleidungsstil. Bei einem Besuch in Honolulu trug er 2011 ein passendes Hawaiihemd.
Allerdings wurde ihm seine modische Eitelkeit bald zum Verhängnis. Alexei Nawalny kam dem korrupten Shopaholic Medwedew auf die Spur, weil er bei öffentlichen Anlässen teure Sportschuhe und Freizeithemden trug. Allein in drei Monaten des Jahres 2014 kaufte Medwedew 73 T-Shirts, 20 Paar Sportschuhe und 30 Badehosen.
Mit der Verwandlung des liberalen Hoffnungsträgers in einen hurrapatriotischen Kriegstreiber hat sich auch Medwedews Kleidergeschmack radikal geändert. Im Jahr 2021 gab er ein Interview in einem schwarzen Lederjackett. 2022 traute er sich noch einen Schritt weiter und besuchte eine Fabrik in einem langen, schwarzen Ledermantel. Das russische Internet reagierte mit einer Unmenge von Memes, die von der sowjetischen Geheimpolizei bis zur SS reichten. In Sotschi trug Medwedew nun eine Funktionalität, Bescheidenheit und Macht suggerierende Diktatorenkluft im Stil von Kim Jong Un. In dieser Zwangsjacke wird jeder Redner zum irren Schwätzer.