Wie eine 36-Jährige die dreckigen Geschäfte eines der meist gesuchten Kriminellen Europas übernahm. Eine Lektion in Geldwäscherei.
Ein Schulterzucken kann vieles bedeuten. Ahnungslosigkeit, zum Beispiel. Unsicherheit, oder Resignation. Im Fall von Irina Petrovic (Name geändert) ist es hingegen die totale Ratlosigkeit. Wie soll die 36-Jährige all das erklären, was sie für einen belgischen Drogenbaron geleistet hat? Für jenen Mann also, der einer der meistgesuchten Kriminellen Europas war und mit seiner Familie zwei Jahre lang in Zürich ein Luxusleben gelebt hat?
Wie kann sie die Fake-Anstellung begründen, die sie ihm gegeben hat, wie den Fake-Wohnort unter dem Fake-Namen – und vor allem all das viele Bargeld, das sie in Schuhkartons entgegennahm und reingewaschen hat?
Ein ratloses Schulterzucken ist da wohl die ehrlichste Antwort.
So jedenfalls quittiert die 36-jährige Treuhänderin am Donnerstag vor dem Bezirksgericht Zürich die Fragen des Richters. Eigentlich ist Petrovics Verurteilung reine Formsache. Die Schweizerin befindet sich im abgekürzten Verfahren. Das heisst, sie hat die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft bereits akzeptiert. Vor Gericht scheint sie hingegen nicht mehr so sicher zu sein.
Richter: Warum haben Sie das gemacht?
Petrovic (zuckt mit den Schultern): Ich nahm an, dass das Geld aus normalen Geschäften stammt. Ich hätte die Herkünfte besser prüfen sollen.
Richter: All das Bargeld, war Ihnen das nicht verdächtig vorgekommen?
Petrovic (zögert lange): Man hätte es wissen sollen.
Richter: Was Sie getan haben, das macht man doch nicht einfach so, oder?
Petrovic: Ich habe es wirklich nicht gewusst. Wir haben einen Kundenstamm von 150 Personen. Er war kein spezieller Kunde.
Richter: Er war also ein Kunde wie jeder andere auch? Behandeln Sie Ihre anderen Kunden auch so?
Petrovic: Da habe ich einen grossen Fehler gemacht. Deswegen stehe ich auch hier.
Richter: Was war denn eigentlich Ihr Ziel? Was wollen Sie erreichen?
Petrovic: Ich wollte den Kundenstamm erweitern. Er hat uns viele Neukunden versprochen.
Richter: Sie sagten, man hätte es wissen sollen. Was genau hätten Sie denn wissen sollen?
Petrovic (zuckt mit den Schultern): Ich weiss es nicht.
Klar ist, jener Mann, der sich als Artur Gitta ausgab, war alles andere als ein normaler Kunde. Er brachte regelmässig hohe Bargeldbeträge ins Treuhandbüro, das Petrovic gehört.
Der Belgier verfügt über einen Universitätsabschluss in Kriminologie und ist gefürchtet wegen seiner Kontakte in die höchsten Kreise der südamerikanischen Drogenkartelle. Die Behörden gehen davon aus, dass er der Kopf einer kriminellen Organisation ist, die tonnenweise Kokain nach Europa importiert und hier vertrieben hat.
Nachdem ihn das Berufungsgericht in Antwerpen vor vier Jahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hatte, tauchte der Belgier mit seiner sieben Jahre jüngeren Partnerin und dem gemeinsamen Sohn unter. Nicht in Dubai, wie man zunächst vermutete. Auch nicht in Südafrika oder auf den Seychellen. Sondern in der Schweiz. In Zürich.
Hier ist er angewiesen auf Hilfe. Und vor allem auf Menschen, die sein dreckiges Bargeld aus illegalen Geschäften in den sauberen Finanzkreislauf bringen.
Irina Petrovic ist bereit, diese Hilfe zu leisten. Wie sie das macht, geht aus der Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft hervor: Petrovic nimmt Bargeld in der Höhe von Zehntausenden von Franken entgegen und zahlt es auf ihr Privatkonto bei der Migros-Bank ein. Dasselbe macht ihre Geschäftspartnerin, mit der Petrovic das Treuhandbüro führt.
Einen Teil des Geldes dürfen sie behalten, den grossen Rest überweisen sie weiter, auf das Firmenkonto ihres Geschäfts. So wird das dreckige Drogengeld reingewaschen.
Petrovics Hilfe geht jedoch noch weiter. Sie stellt für den Drogenbaron unter seinem Fake-Namen Artur Gitta einen Scheinarbeitsvertrag aus, überweist ihm sogar fingierte Lohnzahlungen – immer in der Höhe von rund 4500 Franken.
Als Wohnort gibt die Treuhänderin eine falsche Adresse an. Bei den zuständigen Behörden macht sie unwahre Angaben über den tatsächlichen Wohnort von Gitta. Dieser wohnte nämlich nicht, wie von ihr behauptet, in einer Thurgauer Kleinstadt, sondern im mondänen Zürich in einem Luxusappartement.
Petrovic machte damit aus dem europaweit gesuchten Drogenboss einen rechtschaffenen Bürger. Einer, der unter seinem Tarnnamen offiziell eine Aufenthaltsbewilligung B erhielt.
Und dann wäre da noch die Geschichte mit den Schuhschachteln.
Für den gesuchten Belgier kaufte Petrovic eine Firma – ein Unternehmen, das sich auf das Betreiben eines Hotels und Restaurants spezialisiert hat, wie aus dem Handelsregister hervorgeht. Laut Staatsanwaltschaft lief der Kauf so ab: Im Büro ihrer Treuhandfirma erhielt Petrovic zwei Tranchen à 100 000 und 90 000 Franken überreicht. Von einem Mittelsmann. Jeweils verpackt in einer Schuhschachtel.
Die Geschäftsbeziehung, die seit August 2020 bestand, endete abrupt: mit der Verhaftung des belgischen Drogenbarons im Februar 2022. Eine Spezialeinheit der Kantonspolizei stürmte seine Luxuswohnung im 22. Stockwerk des noblen Renaissance-Towers in Zürich-West. Der 36-Jährige kam in Untersuchungshaft. Acht Monate später lieferten die Schweizer Behörden ihn nach Belgien aus – unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen. Seither wartet er in seinem Heimatland in einem Hochsicherheitsgefängnis auf seinen Prozess. Es droht eine lange Gefängnisstrafe.
Anders sieht es bei Irina Petrovic aus. Das Gericht verurteilt sie am Donnerstag zwar wegen schwerer Geldwäscherei, mehrfacher Begünstigung und Täuschung der Behörden zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten und einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 110 Franken, was insgesamt 9900 Franken entspricht. Das Urteil jedoch wurde bedingt ausgesprochen. Das heisst, Petrovic muss nur ins Gefängnis, wenn sie in den nächsten zwei Jahren nochmals straffällig wird. Auch Petrovics Geschäftspartnerin kommt mit einer bedingten Strafe und einer Geldbusse davon.
Der Richter: Wenn so viel Geld auf einmal in bar kommt, da müssen die Alarmglocken schrillen im Kopf. Wir sind aber überzeugt, dass Sie in Zukunft Ihre Kunden klarer anschauen. Haben Sie noch ein Schlusswort?
Petrovic: Es tut mir leid, dass das so passiert ist.
Urteil vom 18. 4. 2024, noch nicht rechtskräftig.