Israel würde das Palästinenser-Hilfswerk am liebsten aufgelöst sehen. Auch viele Geldgeber gehen inzwischen auf Distanz. Was ist die UNRWA überhaupt, wer finanziert sie, und warum ist sie so umstritten?
Die UNRWA ist aus dem Leben von Millionen Palästinensern kaum mehr wegzudenken. Eine halbe Million Kinder werden an den Schulen des Uno-Hilfswerks unterrichtet, es betreibt Gesundheitszentren und unterstützt Frauen, Senioren und Behinderte. Im heutigen Gaza-Krieg spielt es zudem eine Schlüsselrolle bei der Organisation der Nothilfe für zwei Millionen Palästinenser. Trotzdem steht das Hilfswerk in Israel seit Beginn des Krieges im Kreuzfeuer der Kritik. Auch international mehren sich inzwischen die Rufe nach seiner Auflösung.
Vorwürfe Israels, zwölf Mitarbeiter des Hilfswerks seien direkt an dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt gewesen, stürzten die UNRWA in die Krise. Nun beschuldigt Israel die Organisation auch noch, unter ihrem Hauptquartier in Gaza ein Datenzentrum der Hamas geduldet zu haben. Die Führung der UNRWA bestreitet zwar jede Kenntnis von der unterirdischen Anlage. Mit den neuesten Vorwürfen steht aber ihre Existenz selbst auf dem Spiel.
Was ist die UNRWA überhaupt, und warum wurde sie gegründet? Wer finanziert die Organisation? Warum ist sie so umstritten? Und wer könnte sie ersetzen, wenn sie tatsächlich aufgelöst würde?
Die Geschichte: gegründet als temporäre Lösung für die Versorgung der Flüchtlinge
Geschaffen wurde das Uno-Hilfswerk für die Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) Ende 1949 zur Versorgung der 750 000 Palästinenserinnen und Palästinenser, die im Zuge der Staatsgründung Israels aus ihrer Heimat geflohen oder vertrieben worden waren. Ursprünglich war das Hilfswerk als temporäre Lösung gedacht, doch wurde das Mandat immer wieder von der Uno-Generalversammlung verlängert. Heute ist die UNRWA für 5,9 Millionen Flüchtlinge und deren Nachkommen im Gazastreifen und dem Westjordanland sowie in Libanon, Syrien und Jordanien zuständig.
In den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten und in den Nachbarländern erbringt das Hilfswerk wichtige soziale Dienstleistungen und übernimmt im Bildungs- und Gesundheitsbereich zentrale staatliche Aufgaben. So betreibt die UNRWA über 700 Schulen für gut 540 000 Kinder. Knapp zwei Drittel der 30 000 Mitarbeiter sind an den Schulen beschäftigt. Für Jordanien, Libanon und Syrien ist dies bequem, da sie sich sonst selbst um diese Aufgaben kümmern müssten.
Die Finanzierung: Den Grossteil der Kosten tragen westliche Geldgeber
Seit ihrer Gründung ist die Organisation auf freiwillige Beiträge der Uno-Mitgliedländer angewiesen. Rund 95 Prozent der Mittel kamen im Jahr 2022 von Staaten und internationalen Organisationen wie der Europäischen Union. Die wichtigsten Geldgeber waren in den letzten Jahren die USA, Deutschland, Schweden, Norwegen, Japan, Frankreich, Saudiarabien, die Schweiz und die Türkei. Die Finanzierung ist aber seit langem prekär, zumal die USA schon früher aus Protest gegen den Kurs der UNRWA ihre Beitragszahlungen vorübergehend ausgesetzt haben.
Die Einstellung der Zahlungen durch Donald Trump stürzte die UNRWA 2018 in eine tiefe finanzielle Krise. Allerdings war die Situation nie so bedrohlich wie heute. Denn nach Israels Vorwürfen, dass zwölf UNRWA-Mitarbeiter am Hamas-Angriff beteiligt gewesen seien, haben wichtige Geldgeber ihre Zahlungen Ende Januar eingestellt. Laut der Uno wird das Hilfswerk ohne neue Spenden Ende Februar gezwungen sein, seine Hilfe für die notleidenden Zivilisten im Gazastreifen zu reduzieren.
Die Kritik: Israel sieht das Hilfswerk als Hindernis für die Lösung des Nahostkonflikts
Die Kritik an der UNRWA ist nicht neu. Schon seit Jahrzehnten gibt es Vorwürfe, die Organisation erziehe die Kinder an ihren Schulen zu Hass auf Israel und die Juden. Die Organisation muss sich immer wieder für antisemitisches Lehrmaterial rechtfertigen. Auch wird ihr vorgeworfen, Mitarbeiter zu beschäftigen, die Verbindungen zur Hamas und anderen Terrorgruppen unterhielten. Die UNRWA-Leitung versichert, sie überprüfe alle Mitarbeiter und lege deren Namen auch dem israelischen Geheimdienst regelmässig zur Kontrolle vor.
Die Kritik Israels richtet sich aber nicht allein gegen die Mitarbeiter der UNRWA oder deren Unterricht, sondern gegen die Existenz des Hilfswerks selbst. Aus Israels Sicht verhindert es die Integration der Palästinenser in den Nachbarländern, da es sie auch Generationen nach der Flucht noch in ihrem Status als Flüchtlinge hält. Indem die UNRWA die Hoffnung auf Rückkehr nach Israel aufrechterhalte, erschwere sie eine Lösung des Nahostkonflikts, so die Kritik aus Israel.
Das Dilemma: Mit der Auflösung des Hilfswerks würden die Probleme kaum verschwinden
Schon seit langem fordern Israel und seine Unterstützer nicht nur eine Reform, sondern die Auflösung des Hilfswerks. Auch die gegenwärtigen Vorwürfe können als Teil dieser Kampagne gesehen werden. Mitten im Gaza-Krieg hätte die Abschaffung der Organisation allerdings fatale Folgen für die Zivilbevölkerung. Die UNRWA ist bei der Verteilung der Hilfsgüter im Gazastreifen kaum zu ersetzen. Das Rote Kreuz und andere Hilfsorganisationen verfügen zusammen nur über einen Bruchteil der 3000 Mitarbeiter, die heute noch während des Kriegs für die UNRWA in Gaza tätig sind.
Auch sonst ist offen, wer die Aufgaben des Hilfswerks übernehmen sollte. In Jordanien, Libanon und Syrien müssten die jeweiligen Staaten einspringen, wozu sie aber derzeit weder willens noch in der Lage sind. In den besetzten Gebieten könnte die Palästinensische Autonomiebehörde die Schulen und Kliniken der UNRWA übernehmen, doch würden die Lehrinhalte dann kaum Israel-freundlicher sein. Auch wenn die Aufgaben an andere Uno-Organisationen übertragen würden, stünden diese im Einflussbereich politischer Interessen.
Eine weitere Option wäre es, dass Israel als Besetzungsmacht selbst die Aufgaben im Gazastreifen und im Westjordanland übernimmt. Israel will aber nicht für die Bildung und Gesundheit von Millionen Palästinensern verantwortlich sein. Daher gibt es bereits Warnungen in Israel, dass eine Auflösung der UNRWA nicht im Interesse Israels wäre. In der Tat ist ein Grund dafür, dass das Hilfswerk auch 75 Jahre nach seiner Gründung fortbesteht: Es erfüllt wichtige Aufgaben – für die Palästinenser, für die Nachbarländer und für Israel.