Kurz vor Ende seiner Amtszeit verfügte US-Präsident Biden neue Exportkontrollen bei KI-Technologie. Doch noch kann die Schweiz hoffen, auf Ausnahmeregelungen – und Präsident Trump.
Heute ist die Schweiz weltweit noch einer der wichtigsten Standorte für die Weiterentwicklung von künstlicher Intelligenz (KI). Die grossen Namen sind alle hier. Google, Microsoft Azure, IBM, Nvidia, Amazon Web Services, bald auch Chat-GPT-Anbieter Open AI. Ihre Schweizer Niederlassungen haben grosse Bedeutung, sie sind weit mehr als blosse Briefkastenfirmen. Für Google und IBM ist die Schweiz gar einer ihrer wichtigsten Standorte ausserhalb der USA.
Doch so wichtig die Schweiz für die Weiterentwicklung von KI ist, so ungewiss ist ihre künftige Rolle in der Zukunftstechnologie. Verantwortlich dafür ist der scheidende US-Präsident Joe Biden. Er brachte kurz vor Ende seiner Amtszeit Exportkontrollen auf den Weg, die, falls wie vorgesehen umgesetzt, die KI-Führungsrolle der Schweiz abrupt beenden könnten.
Wenn die Exportkontrollen Mitte Mai in Kraft treten, erhalten nur noch «trusted countries», vertrauenswürdige Länder, uneingeschränkten Zugang zu amerikanischen Computerchips, die für KI-Anwendungen und deren Erforschung essenziell sind. Zu diesen Ländern zählt die Biden-Regierung 18 enge Partner wie Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Japan, Südkorea oder Taiwan. Die Schweiz fehlt auf der Liste.
Experten schätzen, dass die Schweiz von Mitte Mai bis 2027 lediglich 50 000 moderne Nvidia-H100-Chips erwerben könnte. Branchenkenner sehen darin eine massive Beschneidung für das Entwicklungspotenzial von KI und weiteren modernsten Technologien in der Schweiz.
Es scheint offensichtlich, dass die Exportkontrollen für den Schweizer Standort einschneidende Folgen hätten. Und es stellt sich die Frage, wer darüber entscheidet, wie die Chips verteilt würden. Werden grosse Unternehmen bevorzugt behandelt oder doch eher Universitäten? Und was ist mit Startups?
Doch so viel Unsicherheit die Regeln verursachen mögen, sie sind stellenweise zugleich so vage formuliert, dass man sich zahlreiche Wege ausmalen kann, wie es für die Schweiz unverändert weitergehen könnte:
- Firmen, die ihren Hauptsitz in den USA haben und die Anforderungen für eine Spezialgenehmigung erfüllen, sind von den Restriktionen ausgenommen. Die Nachrichtenagentur Reuters geht davon aus, dass etwa Microsoft Azure oder Amazon Web Services solche Genehmigungen erhalten werden. Zudem könnten wohl auch Google, Amazon, IBM und Co. weiterhin genügend Chips in die Schweiz importieren.
- Zudem werden gemäss Reuters kleinere Bestellungen von bis zu 1700-H100-Chips nicht zum landesweiten Chip-Kontingent gezählt. Unter diese Grössenordnung fielen normalerweise etwa Bestellungen von Universitäten oder medizinischen Einrichtungen. Die US-Behörden müssten über solche Bestellungen zwar informiert werden, eine Lizenz brauche es dafür aber nicht.
- In der Exportregelung steht zudem unter der Liste der vertrauenswürdigen Länder ein Satz, der sich liest wie eine Hintertür für Staaten wie die Schweiz: Länder, deren Regierungen der US-Regierung Zusicherungen machen, können mehr Chips importieren. Was für Zusicherungen gemeint sind, bleibt offen.
Möglicherweise erwarten die USA, dass nicht vertrauenswürdige Staaten wie die Schweiz Anstrengungen unternehmen, damit die amerikanischen KI-Technologien am Ende nicht in russischen oder chinesischen Händen landen. Daniel Castro ist Vizepräsident der amerikanischen Information Technology and Innovation Foundation. Er sagt, alle Länder, die als vertrauenswürdig eingestuft worden seien, wendeten ihrerseits ähnliche KI-Exportkontrollen an wie die USA. Mehrere Länder hätten erst kürzlich Regeln erlassen, damit etwa China oder Russland keinen Zugang zu Technologien wie KI erhielten, die zu Kriegszwecken missbraucht werden könnten.
Noch ist unklar, was die Schweiz genau tun müsste, um das Vertrauen der USA zu gewinnen. Beim Wirtschaftsdepartement Seco gibt man sich diesbezüglich bedeckt. Auf Anfrage heisst es, die amerikanischen Massnahmen würden derzeit analysiert. Und es fänden bereits Gespräche mit den zuständigen Stellen in den USA statt. Ziel sei es, dass die Beziehung zwischen der Schweiz und den USA im Technologiebereich nicht behindert und damit der Schweizer Industrie- und Forschungsstandort nicht beeinträchtigt werde.
Gut möglich, dass die Experten vom Seco zunächst einmal abwarten. Denn die Biden-Regierung, die die Regeln erlassen und die Schweiz als nicht vertrauenswürdig eingestuft hat, scheidet aus dem Amt. Jetzt werden die USA wieder von Donald Trump regiert.
Trump hat sich bisher noch nicht zu den KI-Exportkontrollen geäussert. Die Trump-Regierung könnte die Regeln wie vorgesehen umsetzen, abschwächen, verschärfen, verzögern oder vor dem Inkrafttreten wieder abschaffen. Letzteres stiesse am KI-Standort Schweiz wohl auf viel Freude.