Schon der US-Botschafter von Ex-Präsident Biden machte an der ETH Lausanne klare Ansagen. Auch unter Donald Trump interessiert sich das Botschaftspersonal für bestimmte Technologien.
Ein neuer Sheriff ist in der Stadt, sagen Vertreter der US-Regierung von Präsident Donald Trump gern, doch schon mit dem alten Sheriff war nicht zu spassen. Der kürzlich abgetretene US-Botschafter in Bern, Scott Miller, besuchte 2023 die Eidgenössische Technische Hochschule in Lausanne (EPFL). Dabei überbrachte er laut NZZ-Quellen eine unmissverständliche Botschaft: Wenn die EPFL weiterhin mit den USA kooperieren will, muss sie ihre Zusammenarbeit mit China beenden.
Dass Miller solche Ansagen ernst meinte, musste die Schweiz Mitte Januar feststellen. Die US-Regierung von Joe Biden attestierte in den letzten Tagen ihrer Amtszeit der Schweiz schwarz auf weiss, ein unsicherer Kantonist zu sein. Laut einer neuen Regulierung soll die Eidgenossenschaft nämlich, im Gegensatz etwa zu Deutschland und Frankreich, nur noch begrenzten Zugang zu amerikanischen Chips für Künstliche Intelligenz (KI) erhalten.
Als ob die Schweiz ein Marathon in Sandalen laufe
Das ist fatal. Denn nur amerikanische Firmen, allen voran Nvidia, sind derzeit in der Lage, die leistungsstärksten KI-Chips anzubieten. Der hochinnovativen Schweiz und ihren weltweit führenden Forschungseinrichtungen wie den Eidgenössischen Technischen Hochschulen in Lausanne und Zürich droht ein massives Handicap im Wettrennen um die Zukunftstechnologie KI. Es ist ungefähr so, als ob die Schweiz einen Marathon in Sandalen laufen müsste.
Um dies noch zu verhindern, hat Helene Budliger, die das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) leitet, diese Woche in Washington auch mit der zuständigen Exportkontrollbehörde gesprochen. Was genau beide Seiten besprachen haben und mit welchem Ergebnis, das lässt das Seco auf Anfrage offen – die Gespräche seien vertraulich.
Das Staatssekretariat teilt lediglich mit, der Kontakt zur Kontrollbehörde sei wichtig, «um die Auswirkungen der neuen Bestimmungen zu KI-Chips für die Schweiz zu eruieren». Das klingt nicht unbedingt danach, als ob die Staatssekretärin erreichen konnte, dass die Schweiz in die Gruppe der 18 Länder mit privilegiertem Chip-Zugang hochgestuft wurde.
Chips sind knapp am CSEM in Neuenburg
Die Auswirkungen einer drohenden Chip-Knappheit spüren manche Schweizer Forscher schon jetzt. Etwa Alain-Serge Porret vom Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique (CSEM) in der Stadt Neuenburg. Das CSEM ist ein Brückenbauer zwischen Forschung und Industrie. Es verwandelt unter anderem Forschungsergebnisse der EPFL in Prototypen wie energiesparende Chips oder hocheffiziente Solarzellen, welche dann von Partner-Unternehmen auf den Markt gebracht werden.
Alain-Serge Porret wartet seit drei Monaten auf KI-Chips von Nvidia, genauer auf Grafikprozessoren namens H100. Das ist Nvidias leistungsstärkstes, begehrtestes Produkt. Der H100 soll bis zu 30 Mal schneller sein als Nvidias vorheriges Topmodell A100. Ein einziger Prozessor soll laut Branchenexperten mindestens 10 000 US-Dollar kosten, wenn man ihn direkt bei Nvidia kauft. Online-Händler verlangen 30 000 Dollar und mehr.
Porret will lediglich ein knappes Dutzend dieser Grafikprozessoren kaufen, aber selbst das ist schwierig. «Ich glaube, in der Schweiz zu sitzen, hilft dabei nicht unbedingt», sagt Porret. Der Markt hierzulande sei offenbar ausgetrocknet. Kunden in den USA seien wohl im Vorteil.
Der Chip-Mangel ist für Porret ein handfestes Problem. Generative KI wie ChatGPT basiert auf grossen Sprachmodellen, also Unmassen an Texten, die riesige Speicher und schnelle Chips benötigen. Das CSEM strebt in einem Projekt nach mehr Effizienz: Es will ein Sprachmodell so klein wie möglich machen – und so gross wie nötig, damit es noch Nutzen bringt.
Für dieses und andere Projekte braucht das CSEM Nvidias Grafikprozessoren H100. Weil Alain-Serge Porret sie noch nicht hat, muss er mit seinem Team einfachere Modelle nutzen, wie sie auch Gamer verwenden. «Die bringen weniger Leistung und haben vor allem weniger Speicher», sagt Porret. Das Projekt dauert also viel länger als nötig.
Die EPFL arbeitet an vielen KI-Sprachmodellen
Ähnliches droht auch den Eidgenössischen Technischen Hochschulen. Die EPFL zum Beispiel hat eine ganze Liste von KI-Projekten die auf die leistungsstärksten Chips angewiesen sind. Die Hochschule entwickelt mehrere Sprachmodelle für spezifische Branchen und Anwendungen, etwa für die Medizin, für Molekulardesign oder den Bildungsbereich.
Wie weitreichend die KI-Revolution gehen könnte – und wie weitreichend somit eine Chip-Knappheit für die Schweiz werden könnte, zeigt ein überraschendes Beispiel. Selbst das altehrwürdige Bundesgericht in Lausanne, das dieses Jahr seinen 150. Geburtstag feiert, und in dem uniformierte Weibel mit weissen Handschuhen in holzvertäfelten Sälen die Würde der Institution bewahren – selbst das Bundesgericht ist aktiv in Sachen KI.
So hat das oberste Schweizer Gericht eine Software namens ChatTF mitentwickelt, in Anlehnung an seinen französischen Namen Tribunal Fédéral. Die Applikation werde schrittweise in Betrieb gesetzt, teilte das Gericht am Dienstag an der Medienkonferenz zu seiner Jahresbilanz mit. Die Software solle das Schreiben von Zusammenfassungen erleichtern, sagte der Gerichtspräsident François Chaix auf Nachfrage.
Ausserdem arbeitet das Bundesgericht unter anderem mit den beiden ETH und dem Bundesamt für Justiz an einem eigenen Sprachmodell für die Schweizer Justiz. In dieses Modell sollen alle verfügbaren Urteile, Gesetzestexte und Berichte einfliessen, sagte der Generalsekretär des Gerichts, Nicolas Lüscher. Dazu werde auch mit grossen Verlagen von Jus-Literatur verhandelt.
Trump begann schon 2020 mit Chip-Restriktionen
Es steht mit den KI-Chips also viel auf dem Spiel für die Schweiz. Eine grosse Frage ist, ob die neue US-Regierung von Präsident Trump an den noch unter Joe Biden eingeführten Exportkontrollen festhalten wird – und wenn ja, ob sie diese streng auslegt. Mehrere Gründe sprechen dafür.
Künstliche Intelligenz hat für Trump erklärtermassen hohe Priorität. An seinem zweiten Tag zurück im Amt kündigte er entsprechende Investitionen in Höhe von 500 Milliarden US-Dollar an, die sogenannte Stargate-Initiative. In seiner ersten Amtszeit hatte er 2020 bereits Chips-Exportkontrollen gegen den chinesischen Konzern Huawei eingeführt. Diese Kontrollen wurden nach und nach ausgeweitet, vor allem unter Joe Biden, erst auf ganz China, nun auf die ganze Welt.
Die US-Botschaft in Bern interessiert sich weiterhin für die EPFL. Seit Anfang des Jahres haben Botschaftsmitarbeiter zwei Mal die Hochschule in Lausanne besucht, wie diese auf Anfrage bestätigt. Die Mitarbeiter hätten sich erkundigt nach Quantentechnologien – und nach Künstlicher Intelligenz. Einmal mehr ging es zudem um Geopolitik. Der Zugang der Schweiz zu KI-Chips sei ein Thema gewesen, schreibt die EPFL knapp.