Der Handelsstreit zwischen den USA und China verschärft sich. Europa wird damit abhängiger von den USA. Es ist Zeit, stärker auf Unabhängigkeit zu setzen.
Was aus China kommt, ist für die USA zunehmend suspekt. Washington sieht chinesische Autos und Hafenkräne als Gefahr für die nationale Sicherheit. Der Technologiekonzern Huawei ist schon länger auf der schwarzen Liste. Die amerikanische Politik räumt der Sicherheit der Lieferketten höchste Priorität ein. Das wird globale Folgen haben, doch Europa ist sich dessen noch kaum bewusst.
Wenn es um Sicherheit geht, verfolgen die USA einen defensiven Ansatz. Deshalb sind in den vergangenen Jahren die Lieferketten von Produkten oder Diensten in den Fokus geraten. Die geopolitischen Entwicklungen mit dem verschärften Konflikt mit China und der Rückkehr der Machtpolitik gibt sicheren Produkten zusätzlich einen hohen Stellenwert. Der Einsatz von chinesischen Produkten in der Telekommunikation gilt deswegen auch als Gefahr für die nationale Sicherheit. Andere kritische Infrastrukturen folgen nun.
In Europa löst die amerikanische Sichtweise auf die Lieferketten meist Kopfschütteln aus. Die Befürchtungen gelten als übertrieben. Die nationale Sicherheit sei nur ein Vorwand für Protektionismus und Industriepolitik, sagen die Europäer. Diese Einschätzung mag in gewissen Fällen zutreffen, wird der Bedeutung des Themas aber nicht gerecht.
Die USA gewichten die nationale Sicherheit hoch. Das liegt an ihrer Rolle als Grossmacht. Sie sind zum einen mit grösseren Bedrohungen konfrontiert, als es die meisten anderen Staaten sind. Die USA stehen in einer direkten Rivalität zu China oder Russland. Zum anderen kann es sich Washington auch leisten, weitreichende Massnahmen zum Schutz seiner kritischen Infrastrukturen zu ergreifen. Die USA versuchen zudem oft, ihre Vorstellungen auch bei den Verbündeten durchzusetzen.
Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Ausschluss von Huawei-Komponenten aus dem Mobilfunknetz. Die USA erliessen 2019 Massnahmen gegen Huawei und übten in der Folge grossen Druck auf verbündete Staaten aus, in den 5G-Netzen keine Geräte des chinesischen Herstellers zu verwenden. In mehreren Ländern hatten sie damit Erfolg, so etwa in Grossbritannien, einem engen Verbündeten der USA auch im Geheimdienstbereich. Deutschland hat kürzlich nachgezogen und will chinesische Komponenten verbannen.
Drohender Krieg um Taiwan weckt Befürchtungen
Unser Alltag ist von Produkten aus China abhängig. Das hat uns spätestens die Corona-Pandemie vor Augen geführt. Schutzmasken, Schmerzmittel, Kühlschränke oder Velos: Überall kam es zu Lieferengpässen. Seither gibt es Bemühungen, die Abhängigkeit von chinesischer Produktion zu reduzieren, was nicht immer gelingt. Oft kommen dann einfach die Zulieferer oder die Rohstoffe aus China.
Wenn es zum Krieg um Taiwan kommt, könnte der Konflikt mit dem Westen eskalieren und China seine Ausfuhren stoppen. Bei vernetzten Produkten oder Onlinediensten gibt es jedoch noch ein weiteres Risiko, das bereits heute besteht: Spionage. Die Befürchtung ist, dass China grosse Datensätze zur Analyse abgreift oder Hintertüren nutzt, um bestimmte Personen oder Institutionen auszukundschaften.
Dieses Szenario ist nicht aus der Luft gegriffen. Was China möglicherweise tut, haben die USA bereits gemacht. Ein amerikanischer Geheimdienstbericht von 2010 beschreibt, wie die NSA damals regelmässig Router, Server oder andere Netzwerkgeräte vor der Auslieferung ins Ausland abgefangen und mit einer Hintertüre ausgestattet hat. Wie der «Guardian», gestützt auf das von Edward Snowden publizierte Dokument, schreibt, erlauben die installierten Komponenten der NSA den Zugriff auf die Geräte.
Doch nicht nur in den USA ist das Misstrauen gross. Auch China will sich zumindest im technologischen Bereich unabhängig machen von amerikanischen Entwicklungen, möglicherweise aus Furcht vor Spionage. Die chinesischen Behörden und Staatsfirmen müssen laut Medienberichten in den nächsten Jahren auf «sichere und verlässliche» Geräte und Betriebssysteme wechseln. Westliche Anbieter finden sich in den entsprechenden Listen nicht.
Das sogenannte Decoupling, also das Entkoppeln der wirtschaftlichen Verflechtungen von China und den USA, ist im Gange. Dafür ist ein riesiger Aufwand nötig. Es braucht neue Produkte und neue Produktionsstandorte. Bestehende Lieferketten werden zerstört. Das widerspricht dem Geist der Globalisierung. Es stört den weltweiten Handel und sorgt für Mehrkosten.
Europa wird den USA politisch folgen müssen
Diese Entkopplung ist nicht im wirtschaftlichen Interesse Europas. Doch der Kontinent kann den Prozess nicht aufhalten. China und die USA wollen mehr Autonomie im technologischen Bereich. Ein zweites IT-Ökosystem ist am Entstehen, neben dem westlichen, von amerikanischen Firmen dominierten System. China scheint bestrebt, zusammen mit Russland ein eigenes IT-Universum von Geräten und Software zu schaffen. Dieses könnte auch in den Schwellen- und den Entwicklungsländern in Afrika oder Asien Verbreitung finden.
Als Verbündete der USA haben die europäischen Staaten keine Wahl zwischen diesen beiden Ökosystemen. Sie werden sich auf die westliche Seite schlagen müssen. Washington wird die europäische Wirtschaft dazu drängen, ihre Verbindungen zu China zu reduzieren. Im Gegenzug wird die Abhängigkeit Europas von den USA noch zunehmen.
Bereits heute dominieren amerikanische Produkte viele Technologien in Europa. Das birgt Risiken. Doch eine breite politische Diskussion darüber fand bisher nicht statt. Oder die Gefahren der Abhängigkeit werden nur selektiv betrachtet. Das zeigt sich am Beispiel der Hyperscaler, also jener grossen Firmen, welche Cloud-Lösungen zur Datenspeicherung und -verarbeitung anbieten.
Die meisten europäischen Unternehmen nutzen Cloud-Dienste aus den USA. Die Befürchtungen dabei beschränken sich meist auf Spionage: Amerikanische Geheimdienste könnten in gewissen Fällen Zugriff auf die gespeicherten Daten erhalten. Das ist nicht ausgeschlossen, aber vermutlich meist nicht das grösste Risiko.
Mindestens ebenso gross ist die Gefahr eines Ausfalls. Das Szenario mag heute weit hergeholt erscheinen, doch es wäre möglich, dass die USA dereinst gewisse Unternehmen oder Behörden mit Sanktionen belegen – einzig, weil diese nicht kooperieren oder sich nicht an gewisse Bestimmungen halten. Die Cloud-Betreiber müssten dann ihre Dienste einstellen.
Ein Grund für amerikanische Sanktionen könnte sein, dass europäische Firmen weiterhin mit chinesischen Kunden Geschäfte machen, obwohl diese von den USA geächtet sind. Oder die Schweiz übernimmt gewisse amerikanische Sanktionen nicht. Wie weit die USA zu gehen bereit sind, hatte sich beim Streit um das Bankgeheimnis 2008 bis 2013 gezeigt. Die USA zwangen die Schweiz dazu, Kundendaten herauszurücken und das Bankgeheimnis aufzugeben.
Die Abhängigkeit von einzelnen grossen Tech-Firmen wie Microsoft oder Google kann auch wirtschaftliche Folgen haben. Die Kunden sind der Produktepolitik und den Preiserhöhungen der Anbieter weitgehend ausgeliefert. Ein Wechsel ist oft zu aufwendig, oder es gibt keine etablierten Alternativen. Das ist zum Beispiel bei Outlook und Office von Microsoft der Fall. Kürzlich hat Microsoft für die Telefonielösung Teams, die inzwischen weit verbreitet ist, eine Erhöhung der Preise um 25 Prozent angekündigt.
Europa sollte eigene IT-Produkte stärken
Der Technologiekonflikt zwischen den USA und China wird sich unter dem Präsidenten Donald Trump noch verstärken. Europa hat in diesem globalen Wettkampf zwar nur einen beschränkten Spielraum. Doch diesen sollte es nutzen. Die europäischen Länder müssen eigenständige technologische Lösungen stärken. Das schafft Unabhängigkeit.
Die Politik und die Wirtschaft Europas sollte dabei auf das Machbare setzen. Eine europäische Konkurrenz zu Microsoft aufzubauen oder einen Computerhersteller von Weltrang zu etablieren, wird nicht möglich sein. Aber im Softwarebereich sind eigene Lösungen machbar oder sogar bereits vorhanden. Entscheidend ist, diese auch zu nutzen.
Die Abhängigkeit Europas von ausländischer Technologie birgt Risiken, welche die Firmen und Behörden einkalkulieren müssen. Dann ist die Wahl eines heimischen Softwareanbieters möglicherweise keine reine Industriepolitik mehr, sondern die beste Lösung. In einer Welt, die zunehmend unberechenbar und voller Konflikte ist, haben sichere Lieferketten einen Wert.
Ein konkretes Beispiel für einen solchen Entscheid liefert die Schweiz beim Einsatz von verschlüsselten Messenger-Diensten. Die Bundesverwaltung und die Armee verwenden mit Threema eine Schweizer Lösung, welche sogar für klassifizierte Dokumente zugelassen ist. Damit besteht eine sichere Alternative zum weitverbreiteten Dienst Whatsapp.
Auch im Bereich der IT-Sicherheit, in dem viele amerikanische Firmen führend sind, gibt es mit Eset oder WithSecure etablierte Anbieter aus Europa. Weil IT-Sicherheit oft eine starke politische Komponente hat, kann es hilfreich sein, mittels einer europäischen Ergänzung einen umfassenderen Schutz und ein umfassenderes Bild der Bedrohungen zu erhalten.
Die Rückkehr der Machtpolitik betrifft auch die Wirtschaft. Der Welthandel wird politisch. Darauf sollte Europa reagieren. Nicht mit einer umfassenden Industriepolitik der Geldtöpfe, sondern mit klugen, zielgerichteten Interventionen – welche die europäische Wirtschaft sicherer und widerstandsfähiger machen.