In der Nacht zu Samstag haben die Amerikaner 85 Ziele im Grenzgebiet von Syrien und Irak bombardiert. Es war eine Botschaft an Iran und seine Verbündeten, weitere Angriffe auf US-Stützpunkte zu unterlassen. An der Gesamtlage dürften sie wenig ändern.
Die Angriffe kamen nicht überraschend, doch sie erfolgten hart, schnell und präzise. In der Nacht auf Samstag attackierten amerikanische Bomber und Kampfjets 85 Ziele an sieben Orten – vier in Syrien und drei im Irak. Die Angriffe gegen Mitternacht richteten sich vorwiegend gegen militärische Einrichtungen der Kuds-Brigaden der iranischen Revolutionswächter im syrisch-irakischen Grenzgebiet. Entlang des Euphrat verläuft eine wichtige Nachschubroute der Iraner für das syrische Regime und die Hizbullah-Miliz in Libanon.
Die Angriffe erfolgten als Vergeltung für einen Drohnenangriff auf den amerikanischen Stützpunkt Tower 22 an der Grenze zwischen Jordanien und Syrien. Die Drohne schlug am vergangenen Sonntag in ein Wohngebäude der Militärbasis ein und tötete drei US-Soldaten. Präsident Joe Biden kündigte daraufhin an, dass die USA Vergeltung üben würden – zu einem Zeitpunkt und in einer Form ihrer Wahl.
Die Iraner und ihre Verbündeten waren also gewarnt. In Erwartung der Vergeltungsangriffe sollen die Kuds-Brigaden ihr Personal aus der Region abgezogen haben, während die Anführer der proiranischen Milizen in den Untergrund gegangen sein sollen. Die Angriffe der USA scheinen genau kalkuliert, um die Abschreckung wieder herzustellen, ohne den Konflikt komplett zu eskalieren. So verzichtete das Pentagon insbesondere auf direkte Angriffe gegen Iran.
Beide Seiten signalisieren Bereitschaft zur Zurückhaltung
Nach den Angriffen betonte Biden, die USA suchten keinen Konflikt im Nahen Osten. Doch würden sie reagieren, wann immer Amerikaner getroffen würden. Auch die iranische Führung hatte zuvor klar gemacht, dass sie keinen Krieg wolle, aber Angriffe auf ihr Gebiet nicht hinnehmen werde. General Hossein Salami, der Kommandant der Revolutionswächter, sagte am Mittwoch: «Wir sagen ihnen: Ihr habt uns auf dem Schlachtfeld getestet, wir haben euch getestet». «Auch wenn wir keinen Krieg suchen, fürchten oder scheuen wir keinen Krieg.»
Die irakische Miliz Kataib Hizbullah, die hinter dem Drohnenangriff auf die amerikanische Militärbasis vermutet wird, hatte zwei Tage später verkündet, auf weitere Angriffe zu verzichten, um die Regierung in Bagdad nicht blosszustellen. Seit der Eskalation des Nahost-Konflikts in der Folge des Angriffs der Hamas auf Israel am 7. Oktober haben proiranische Milizen laut dem Pentagon über 160 Drohnen- und Raketenangriffe auf Basen der USA im Irak und in Syrien verübt.
Die Amerikaner flogen im Gegenzug in den vergangenen Monaten Angriffe auf die Milizen im Irak und in Syrien. Erst Ende Dezember bombardierten die USA drei Einrichtungen von Kataib Hizbullah im Irak als Vergeltung für einen Drohnenangriff in Erbil. Auch in Jemen greifen die USA in Reaktion auf die Angriffe auf Schiffe im Roten Meer seit Januar Stellungen der Huthi-Miliz an. Bis jetzt hat dies das Regime in Sanaa aber nicht zum Kurswechsel bewogen.
Die USA wollen die iranischen Nachschublinien blockieren
Die Angriffe der Mitglieder der sogenannten «Achse des Widerstands» auf US-Basen im Irak bringen die irakische Regierung von Mohammed Shia al-Sudani in Bedrängnis. Schliesslich sind die Amerikaner offiziell Verbündete der Regierung. Es befinden sich weiterhin 2500 amerikanische Soldaten im Irak zur Unterstützung des Kampfs gegen die verbliebenen Zellen des Islamischen Staats (IS). Auch die Präsenz der 900 Amerikaner auf der syrischen Basis al-Tanf sowie im kurdischen Nordosten wird mit dem Kampf gegen die Jihadisten begründet.
Die al-Tanf-Basis in der syrischen Wüste nahe der Grenze zu Irak soll aber vor allem den iranischen Nachschub über die Strasse von Bagdad nach Damaskus verhindern. Dem syrischen Regime und den iranischen Revolutionswächtern ist die Basis daher ein Dorn im Auge. Sie ist seit Jahren Ziel von Attacken. Auch der Angriff auf Tower 22 steht in diesem Kontext. Denn der Stützpunkt in Jordanien, kurz hinter der Grenze zu Syrien dient vor allem der Versorgung von al-Tanf.
Die amerikanischen Vergeltungsangriffe in der Nacht zu Samstag richteten sich gegen Kommandozentren, Waffenlager und Bunker nahe den syrischen Städte Deir al-Zur, al-Mayadin und Abu Kamal. Auf der irakischen Seite der Grenze wurden Einrichtungen nahe der Stadt al-Kaim getroffen sowie ein Hauptquartier der irakischen Volksmobilisierungseinheiten (auch bekannt als Hashd-al-Shaabi-Milizen) in der Siedlung Akashat in der Wüste weiter südlich.
Die Iraner sind geübt in strategischer Geduld
Die Regierungen in Bagdad und Damaskus verurteilten die Angriffe als Verletzung ihrer Souveränität. Das Regime in Teheran äusserte sich zunächst nicht. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei den Luftangriffen in Syrien 18 Mitglieder proiranischer Milizen getötet. Die NGO hat seit Oktober 107 Angriffe auf amerikanische Basen in Syrien gezählt, darunter in al-Tanf, in Hasaka sowie bei den Öl- und Gasfeldern nahe Deir al-Zur.
Die Frage ist nun, ob mit den Vergeltungsangriffen diese Runde des Konflikts abgeschlossen ist. Biden hat zwar gesagt, dass die Angriffe erst der Anfang gewesen seien. Sollten sich die Iraner und ihre Verbündeten aber zurückhalten, könnten auch die Amerikaner auf weitere Schläge verzichten. Es ist klar, dass sehr viel mehr nötig wäre, um die Iraner aus dem syrisch-irakischen Grenzgebiet zu vertreiben. Die Kuds-Brigaden haben dort ihre Präsenz über Jahre ausgebaut.
Die Iraner sind geübt in strategischer Geduld. Die israelische Luftwaffe bombardiert seit 2017 regelmässig Kommandozentren, Waffenlager und Konvois der Kuds-Brigaden in Syrien, um den Nachschub für die Hizbullah-Miliz in Libanon zu unterbinden. Bei den Hunderten von Angriffen wurden zahllose Angehörige der Kuds-Brigaden getötet. Auch tötet Israel immer wieder iranische Generäle in Damaskus. Trotzdem verzichten die Iraner in der Regel auf Gegenschläge.
Es ist daher nicht zwingend, dass die jetzigen Vergeltungsangriffe eine harte Reaktion der Iraner provozieren. Sie wissen um ihre Schwäche und ziehen es vor, beharrlich ihre Position auszubauen. Zugleich gibt es aber auch Grund zu zweifeln, dass die «Achse des Widerstands» dadurch auf Dauer abgeschreckt wird. Die Amerikaner haben schon oft ähnliche Angriffe gegen die Milizen geflogen. So beschossen Kampfjets Ende Oktober Militäreinrichtungen bei Abu Kamal. Seither gab es rund hundert weitere Angriffe auf amerikanische Basen in Syrien.