Derzeit geistert die Nachricht durch die Medien, dass Forschende aus den USA den ausgestorbenen Schattenwolf wiederbelebt hätten. Eine Sensation oder bloss geschicktes Marketing?
Wer die Fernsehserie «Game of Thrones» gesehen hat, weiss: Ein Schattenwolf ist ein massives Wesen. Es sieht aus wie ein riesiger Wolf mit weissem, dichtem Fell. Und wer die Filme der «Jurassic Park»-Reihe gesehen hat, weiss: Aus Mücken, die in Bernstein eingeschlossen sind, lässt sich DNA von Dinosauriern extrahieren. Aus diesem Material wiederum können Forschende in einem Hightech-Genlabor Urzeitechsen zum Leben erwecken.
Das tönt sehr kompliziert. Aber in Filmen ist das möglich.
Nun behaupten Forschende aus den USA, sie hätten die Welt von «Game of Thrones» und die Welt von «Jurassic Park» verwoben. Konkret: Sie hätten den ausgestorbenen Schattenwolf, der als Vorbild für den Schattenwolf in «Game of Thrones» diente, in einem Genlabor zum Leben erweckt.
Die Geschichte bekommt derzeit viel Aufmerksamkeit. Denn einer dieser Schattenwölfe ist auf dem Titelbild der neusten Ausgabe des berühmten «Time Magazine» abgebildet. Es ist ein schneeweisses hundeartiges Wesen, das geheimnisvoll in die Kamera blickt und fasziniert. In der Überschrift heisst es: «Das ist Remus. Er ist ein Schattenwolf. Der erste seit über 10 000 Jahren.» Das Wort «extinct», also ausgestorben, ist in Rot durchgestrichen. Es wirkt, als werde hier eine wissenschaftliche Sensation angekündigt.
TIME’s new cover: The dire wolf is back after over 10,000 years. Here’s what that means for other extinct species https://t.co/LQtosdfiEf pic.twitter.com/bv8EbeefuW
— TIME (@TIME) April 7, 2025
Doch handelt es sich bei dem abgebildeten Tier wirklich um einen wiederbelebten Schattenwolf? Die kurze Antwort lautet: nein.
Remus existiert tatsächlich, ist aber eine ziemlich opulente PR-Aktion des amerikanischen Biotechnologie-Unternehmens Colossal Biosciences. Colossal hat Remus und seine beiden Geschwister Romulus und Khaleesi im Labor erschaffen, als echte lebende Tiere. Und sie kurzerhand zu wiederbelebten Schattenwölfen erklärt.
So heisst es auf der Website des Unternehmens: «Am 1. Oktober 2024 gelang es Colossal zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte, eine einst ausgestorbene Art mithilfe der Wissenschaft der De-Extinction wiederzubeleben. Unser Team ist stolz darauf, dem Schattenwolf nach über 10 000 Jahren Abwesenheit seinen rechtmässigen Platz im Ökosystem zurückzugeben.»
Das tönt bahnbrechend. Stimmt aber leider nicht. Romulus, Remus und Khaleesi sind keine Urzeitwölfe, sondern das Ergebnis einer geschickten Manipulation am Genom von Grauwölfen. Um ein ausgestorbenes Tier wirklich wiederzubeleben, müsste man es klonen. Doch diese drei Tiere sind genmanipulierte moderne Wölfe, also Hybridwölfe, und keine Jäger aus der Urzeit.
Colossal Biosciences wurde 2021 gegründet und hat in der Vergangenheit bereits mehrfach für Aufsehen gesorgt – und Kritik provoziert. Vor allem mit der Ansage, das Wollhaar-Mammut neu erschaffen zu wollen.
Jüngst ist es dem Unternehmen gelungen, mit mehreren Veränderungen im Genom von Mäusen eine flauschige Wollhaar-Maus mit einem beschleunigten Fettstoffwechsel zu schaffen. Das Unternehmen erklärte das zu einem ersten Schritt, das Wollhaar-Mammut zu kreieren. Oder besser gesagt: Colossal Biosciences will einen Asiatischen Elefanten genetisch so verändern, dass er dank dichtem Fell und angepasstem Fettstoffwechsel in einer sehr kalten Umgebung überleben könnte. Das Problem: Es ist nicht einmal erwiesen, ob die genmanipulierte Wollhaar-Maus tatsächlich besser in Kälte überleben könnte als eine normale Maus.
Mit den vermeintlichen Schattenwölfen schafft es Colossal Biosciences neuerlich, in die Schlagzeilen zu kommen. In wissenschaftlichen Foren, in Zeitungen und auf Podien wird weiter eifrig über das Unternehmen diskutiert. Die Meinungen gehen dabei weit auseinander.
Fakt ist: Der echte Schattenwolf streifte etwa vor 2,6 Millionen Jahren durch das heutige Nord- und Südamerika. Ausgestorben ist er vor 10 000 Jahren. Er war ein massiver Jäger mit einem Gewicht von bis zu 50 Kilogramm und einer Kopf-Rumpf-Länge von 1,5 Metern. Sein Kopf war proportional grösser und massiver als der eines heutigen Wolfs. Zudem besass er ein anderes Gebiss als der heutige Grauwolf.
Erstmals wurden im Jahr 1854 Fragmente eines Fossils von einem Schattenwolf am Ufer des Ohio im amerikanischen Gliedstaat Indiana gefunden und mit dem wissenschaftlichen Namen Canis dirus (zu deutsch: schrecklicher Hund) kategorisiert.
Aufgrund der Ähnlichkeit der Fossilien mit den Skeletten von modernen Wölfen (Canis lupus) ging man lange davon aus, dass die Schattenwölfe eng mit den heutigen Wölfen verwandt seien. Doch 2021 legten Wissenschafter eine Studie vor, in der zum ersten Mal genetisches Material von fünf Schattenwölfen von vier verschiedenen Fundorten in den heutigen USA analysiert wurde. In der Studie wurde diese enge Verwandtschaft widerlegt.
Die älteste untersuchte Probe war mindestens 50 000 Jahre alt, die jüngste etwa 12 000 Jahre. Ein Team der Durham University kam zu dem Schluss, dass der Schattenwolf und der moderne Wolf sich zwar sehr ähnlich sehen, genetisch allerdings kaum miteinander verwandt sind. Denn sie hatten genetisch zuletzt etwa vor 6 Millionen Jahren einen gemeinsamen Vorfahren.
Es gibt auch keine Hinweise auf eine Vermischung der Gene von Schattenwölfen und nordamerikanischen Grauwölfen oder Kojoten. Und das, obwohl sich die Lebensräume von Schattenwölfen und diejenigen von modernen Wölfen überschnitten haben. Der Schattenwolf war also weder genetisch ein naher Verwandter noch ein Vorfahr des heutigen Grauwolfes.
Und trotzdem verkauft Colossal einen genetisch veränderten Grauwolf als wiederbelebten Schattenwolf. Denn um Romulus, Remus und Khaleesi zu erschaffen, hat Colossal zwanzig Modifikationen an vierzehn Genen eines modernen Grauwolfs vorgenommen. So hat das Biotechnologieunternehmen einem modernen Wolf künstlich optische Merkmale verpasst, welche die Forschenden für solche eines Schattenwolfs halten. Ein genetisches Glow-up sozusagen. Mit einem echten Schattenwolf hat dies nicht viel zu tun.
Immerhin ist es dem 10-Milliarden-Dollar-Unternehmen mit seinem neusten Coup wieder einmal gelungen, Marketing für die eigene Sache zu machen: an der Crispr/Cas-Methode zu forschen. Dabei werden einzelne DNA-Bausteine gezielt entfernt, hinzugefügt oder modifiziert, um bewusst Änderungen in einer Lebensform zu erreichen.
Romulus, Remus und Khaleesi sind noch Welpen. Wobei Romulus und Remus mit ihren sechs Monaten bereits 36 Kilo auf die Waage bringen und über 1,2 Meter lang sind. Die drei vermeintlichen Schattenwölfe leben auf einem geheimen Gelände einer amerikanischen Wildtierauffangstation, wo sie beobachtet und versorgt werden können.