Studien wollen beweisen, dass man einen Tag weniger arbeiten kann, ohne dabei weniger produktiv zu sein. Ein Hotelbetrieb im Graubünden hat die Rechnung gemacht und kommt zum Schluss: Funktioniert nicht.
Es darf noch ein bitzeli weniger sein. Wenn es darum geht, wie viel wir künftig arbeiten sollen, findet derzeit ein Unterbietungswettbewerb statt. Die Nase vorn haben zurzeit die Jungen Grünen aus Deutschland.
In der Talkshow des Senders «ZDF» von Moderator Markus Lanz forderte Anfang Monat eine Sprecherin der Jungpartei, dass 20 Stunden pro Woche genügten – natürlich bei vollem Lohnausgleich. «Dass man keine Lust mehr hat, viel zu arbeiten, finde ich total vernünftig», findet sie.
Geht man davon aus, dass ein Arbeitstag acht Stunden dauert, dann bedeuten 20 Stunden eine Zweieinhalb-Tage-Woche. Dass das funktionieren kann, glaubt wohl nicht einmal die Jungpartei.
Anders ist es bei der Viertagewoche. Diese halten zahlreiche Wissenschafter – und teilweise auch Arbeitgeber – für realistisch. Die Idee ist selbsterklärend: Statt fünf sollen neu vier Arbeitstage pro Woche die neue Vollzeit sein.
Es gibt mittlerweile prominente Befürworter. So schrieb der Wirtschaftsprofessor und Leiter des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, einen Beitrag in der «Zeit» mit dem Titel: «Deutschland sollte die Viertagewoche ausprobieren».
Um das Modell ist ein regelrechter Hype entstanden. Angefangen haben muss es während Corona, als die halbe Volkswirtschaft im Home-Office verschwand. Sucht man in der Schweizer Mediendatenbank, der Bibliothek für in der Schweiz erschienene journalistische Beiträge, nach dem Stichwort «Viertagewoche», erhält man fürs Jahr 2019 noch 14 Treffer. Für 2023 sind es über 700.
«Fast schon Allheilmittel»
Dabei gibt es zwei mögliche Ansätze: Man quetscht die bisherige Arbeitszeit in vier Tage – und arbeitet dann halt zehn statt acht Stunden pro Tag. Oder – und das schwebt den Apologeten der Viertagewoche vor – die Arbeitszeit reduziert sich bei gleichbleibendem Lohn.
Dass viele Angestellte nichts gegen mehr Freizeit hätten, liegt auf der Hand. Aber wie soll das für die Unternehmen funktionieren? Die Einwände ergeben betriebswirtschaftlich Sinn: Entweder sinkt der Output einer Firma um ein Fünftel – oder sie muss mehr Leute einstellen, um dies wieder wettzumachen. Und das in Zeiten des Fachkräftemangels. So oder so bricht die Wettbewerbsfähigkeit ein.
Internationale Studien wollen das Gegenteil bewiesen haben. So haben unter wissenschaftlicher Aufsicht Firmen in den USA, Irland, Neuseeland und weiteren angelsächsischen Ländern die Viertagewoche getestet. Von 33 Unternehmen fanden 27 das Experiment geglückt und wollten es weiterführen.
Auch in der Schweiz startet bald eine entsprechende Studie, welche vom New-Work-Institut der Berner Fachhochschule überwacht wird. Die Firmen, die daran teilnehmen wollen, können sich ab April melden. Am Versuch beteiligt sind die neuseeländische Nichtregierungsorganisation 4 Day Week Global, welche für das Modell lobbyiert, sowie der Zürcher Unternehmensberater Veit Hailperin, der sich auf das Thema spezialisiert hat.
«Das Modell, das wir testen, ist 100-80-100», sagt Hailperin, «das bedeutet: 100 Prozent der Arbeit in 80 Prozent der Zeit bei 100 Prozent Lohn. Es soll also kürzer, nicht weniger gearbeitet werden.»
Wie soll das gehen? «Im Arbeitsprozess gibt es sehr viele versteckte Kosten. Zum Beispiel die Krankheitsabsenzen», sagt Hailperin. So seien Arbeitnehmer, die weniger arbeiteten, deutlich weniger krank.
Zudem seien die Mitarbeiter glücklicher, wodurch die Fluktuation im Betrieb sinke. Das reduziere den Aufwand für die Rekrutierung und Einarbeitung neuer Angestellter. «Diese eingesparten Kosten kompensieren einen Teil der verkürzten Arbeitszeit», sagt Unternehmensberater Hailperin.
In der Schweiz gibt es eine Handvoll KMU, welche die Viertagewoche bereits eingeführt haben. Vor allem im Gastgewerbe, wo jedes Jahr Tausende Stellen unbesetzt bleiben, versuchen sich die Betriebe dadurch Vorteile auf dem Arbeitsmarkt zu verschaffen.
Eine Firma, die sich intensiv mit der Viertagewoche auseinandergesetzt hat, ist das Hotel Schweizerhof im Bündner Tourismusort Lenzerheide.
«In der Hotellerie machen wir uns seit langem Gedanken, wie man den Job attraktiver machen könnte. Die Viertagewoche wird dabei fast schon als Allheilmittel propagiert», sagt Jamie Rizzi, stellvertretender Chef des «Schweizerhofs».
Rizzi wollte das Modell für die Hotel-Küchenmannschaft einführen. Diese umfasst 15 bis 20 Angestellte und bewirtet in der Hochsaison bis zu 200 Gäste pro Abend. «Anfangs war unser Küchenchef Feuer und Flamme für die Idee. Er hat sofort angefangen, Pläne zu machen. Aber schon bald zeigten sich die Probleme», sagt Rizzi.
Viel Teilzeit
So sei die Planung «brutal schwierig» geworden. Fixe Freitage konnten nicht mehr garantiert werden. Ebenso, dass die freien Tage am Stück hätten bezogen werden können. «Wir haben im Betrieb Paare, die gerne gleichzeitig Wochenende machen möchten. Auch das wäre sehr schwierig geworden», sagt Rizzi.
Auch die Kosten wären gestiegen. «Unsere Vorgabe war: Wenn wir die Viertagewoche einführen, dann ohne Arbeitszeitreduktion. Trotzdem zeigten unsere Berechnungen, dass wir 20 bis 25 Prozent mehr Angestellte gebraucht hätten, um alle Schichten abzudecken.»
Letztlich hat es weder für die Angestellten noch für den Betrieb gepasst. «Wir kamen zum Schluss: Es braucht individuelle Lösungen. Jeder Mitarbeiter hat andere Bedürfnisse», sagt Hotelier Jamie Rizzi.
Skeptisch gegenüber der Viertagewoche ist auch Marco Salvi, Arbeitsmarktspezialist bei der liberalen Denkfabrik Avenir Suisse. «Als einzelner Betrieb kann das funktionieren, aber nicht, wenn eine ganze Branche oder sogar die ganze Volkswirtschaft dies umsetzen müsste.» Denn es hätte massive Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit.
Salvi zweifelt auch an, dass die Angestellten mit einer solchen Umstellung glücklicher würden. «Wenn in vier Tagen so viel Arbeit geleistet werden muss wie sonst in fünf, würde das den Stress massiv erhöhen.»
Die Idee werde aus dem Ausland importiert, sagt Salvi. «Dabei wird gerne übersehen, dass in der Schweiz die Arbeitszeit längst zurückgeht.»
Tatsächlich gibt es kaum ein Land mit einer höheren Teilzeitquote als die Schweiz. 40 Prozent der Angestellten arbeiten weniger als fünf Tage die Woche – aber nehmen damit eine Lohneinbusse in Kauf.
Der Teilzeittrend sorgt immer wieder für Kritik. Er hat aber sein Gutes. Denn er bringt Leute in den Arbeitsmarkt, die sonst zu Hause bleiben würden, wenn sie fünf Tage die Woche arbeiten müssten. Bei der Erwerbsquote – also der Anteil der Erwachsenen, die einer bezahlten Arbeit nachgehen – belegt die Schweiz einen europaweiten Spitzenplatz.
Schweizer arbeiten gerne – noch?
«In der Schweiz erfolgt die Reduktion der Arbeitszeit auf individueller Ebene. Seit Mitte der 1980er Jahre haben die Gewerkschaften nicht mehr gross auf eine Reduktion der Arbeitszeit gepocht», sagt Michael Siegenthaler, Arbeitsmarktspezialist bei der Konjunkturforschungsstelle (KOF) der ETH Zürich. Damals wurden vier Wochen Ferien pro Jahr im Gesetz festgeschrieben.
«Ein Grund könnte sein: In der Schweiz identifiziert man sich sehr stark über seine Erwerbsarbeit. Man gewinnt folglich keine Wahlen, wenn man Schweizerinnen und Schweizern die Arbeitszeit reduziert», sagt Siegenthaler.
Doch das ist im Begriff sich zu ändern. Der Zeitgeist hat gerade wenig Bock, sich zu überarbeiten, und stellt das Privatleben an die erste Stelle. Das zeigen diverse Umfragen und Studien bei jungen Arbeitnehmern.
Diesen Umstand wollen sich die Gewerkschaften zunutze machen. Die Unia hat letzten Herbst ein Manifest zur «Reduktion der Arbeitszeit» lanciert. Eine konkrete Zahl oder eine Forderung nach einer Viertagewoche steht nicht drin. Klar für die Gewerkschaft ist aber: Die Arbeitszeit muss runter.
«Das Manifest stösst auf grosses Interesse. Arbeitnehmende aus allen Branchen, jeden Alters und aus allen Landesteilen haben es unterschrieben», schreibt die Unia.
Dabei haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer weder auf die Gewerkschaften noch auf New-Work-Enthusiasten gewartet. Dank einem flexiblen Arbeitsmarkt können die meisten Menschen bereits heute in ihrem gewünschten Pensum arbeiten. Die Viertagewoche kommt hierzulande zu spät. Die Schweiz hat sie längst eingeführt.