Die Kontinente seien aus einem Urkontinent entstanden, postulierte Alfred Wegener. Dafür wurde der Meteorologe und Polarforscher verhöhnt. Doch die Plattentektonik hat bestätigt, dass er recht hatte.
Am 6. Januar 1912 erschütterte Alfred Wegener das geltende Weltbild in den Grundfesten. Vor der Geologischen Vereinigung in Frankfurt legte er seine These zur Bildung der Kontinente und Ozeane dar. «Überall, wo wir bisher alte Landverbindungen in die Tiefen des Weltmeeres versinken liessen, wollen wir jetzt ein Abspalten und Abtreiben der Kontinentalschollen annehmen», sagte er.
Wegener war aufgefallen, dass die Konturen der Kontinente gut aufeinander passen, besonders wenn man den Kanten der Kontinentalsockel folgt. Das, folgerte er, konnte kein Zufall sein. Er postulierte einen Urkontinent, aus dem sich die Kontinente im Lauf der Erdgeschichte gelöst hatten, und gab ihm den Namen «Pangaea», was auf Griechisch «das ganze Land» bedeutet.
Die Theorie hatte weitreichende Konsequenzen und stellte bestehende Gewissheiten infrage. Voraussetzung dafür, dass die Kontinente wandern konnten, war es, dass sie auf dem Erdmantel schwimmen. Sie driften umher, reissen Ozeane auf, stemmen Gebirge hoch. Diese These war für das Erscheinungsbild der Erde erklärungsmächtiger als alle bisherigen Modelle der Geologen.
Bis dahin war allerdings der «Fixismus» die vorherrschende Theorie gewesen: die Idee, dass die Erdkruste fest im Untergrund verankert sei. Hinzu kam die Kontraktionstheorie, gemäss der die Erde abkühlt und schrumpft, wodurch Gebirge entstünden. Dass sich Gesteinsformationen diesseits und jenseits des Atlantiks fortsetzen und gleiche Fossilien vorkommen, erklärten die Geologen mit versunkenen Landbrücken.
Und sie bewegen sich doch
Wegeners These der Kontinentaldrift kam einer Zertrümmerung dieses Weltbildes gleich. Die Wirkung war durchaus vergleichbar mit der, die eintrat, als Kopernikus die Sonne ins Zentrum stellte, Galileo die Bewegung der Erde um die Sonne verteidigte oder Darwin die Entstehung der Arten auf die Evolution zurückführte.
Die Reaktion der Geologen war vernichtend. Eine «Gedankenspielerei, welche sich um Möglichkeiten herumrankt», «Phantasiegebilde, welche wie eine Seifenblase vergehen», spotteten sie. Ein Kritiker höhnte, die Kontinentaldrift sei eine «Fieberphantasie der von Krustendrehkrankheit und Polschubseuche schwer Befallenen».
Wegener blieb standhaft und stellte dem «Fixismus» seinen «Mobilismus» entgegen. 1915 legte er seine Überlegungen im Buch «Die Entstehung der Kontinente und Ozeane» dar und untermauerte seine Theorie der wandernden Landmassen bis 1929 in drei weiteren Ausgaben mit neuen Erkenntnissen: Im Atlantik gibt es keine versunkene Landbrücke, sondern einen von Norden nach Süden verlaufenden Bruch.
Es findet sich ähnliches Gestein in Ostafrika und Indien, in Südafrika und Argentinien, in Schottland und Labrador. Es gibt Kohle in der Antarktis, fossile Bäume auf Spitzbergen und Gletscherspuren in der Sahara. Vergebens, seine weltbewegende Theorie wurde als unwissenschaftlich abgetan. Das Problem war, dass er keinen Mechanismus benennen konnte, der die Bewegung antreibt. Er vermutete eine rotationsbedingte «Polfluchtkraft» und eine «Gezeitenreibung». Doch das überzeugte ihn selbst nicht. Nach seinem Tod 1930 geriet die Theorie in Vergessenheit.
Wem gehört der Meeresgrund?
Erst ab den 1960er Jahren kam Bewegung in die Sache. Man erkannte, dass viele grosse und kleine Landmassen und die Ozeane selbst auf Platten liegen, die – getrieben von Konvektionsströmen im Erdinnern – wandern und die Erdkruste formen. Die Plattentektonik ist heute allgemein anerkannt. Sie entstand auf der Grundlage von Wegeners Kontinentaldrift. Der Fachfremde war der Vordenker dieser Welterklärung.
Derzeit wird Wegeners Erkenntnis der wandernden Kontinente in der Arktis wieder akut. Und bekommt politische Bedeutung. Mit dem Klimawandel wird das Polarmeer mit seinen Bodenschätzen leichter zugänglich. Um den Meeresgrund über die 200-Meilen-Zone hinaus beanspruchen zu können, muss ein Anrainerstaat bei der Uno-Festlandsockelkommission beweisen, dass «die geologische Struktur des Kontinentalsockels eine Erweiterung seiner Landmasse darstellt». Russland, Dänemark, Norwegen und Kanada versuchen dies seit Jahren.
Dreh- und Angelpunkt ist der Lomonossow-Rücken, ein 1800 Kilometer langes unterseeisches Gebirge zwischen den Neusibirischen Inseln und Grönland. Russland, Kanada und Dänemark argumentieren, die unterseeische Bergkette sei eine Erweiterung ihres jeweiligen Kontinentalschelfs. Russland leitet daraus den Anspruch auf eine Fläche von 1,7 Millionen Quadratkilometern inklusive des Nordpols ab.
Die Uno-Kommission billigte 2023 eine russische Eingabe mit Daten, Karten und der Beweisführung weitgehend. Irgendwann wird sie eine Empfehlung aussprechen. Die Frage, wie die Kontinentalschollen entstanden sind und wie sie sich im Lauf der Erdgeschichte bewegten, wird dabei mitentscheidend sein.