An den Aktienmärkten sorgt gerade eine giftige Mischung aus schwachen US-Konjunkturdaten, enttäuschenden Tech-Abschlüssen und steigenden Zinsen in Japan für schlechte Stimmung. Ausserdem könnte eine geopolitische Eskalation neuerlichen Inflationsdruck schüren.
An den weltweiten Börsen übernehmen die Sorgen, zumindest vorübergehend herrscht keine Goldilocks-Stimmung mehr. Anstatt über bald sinkende US-Zinsen zu jubeln, dominiert nun die Angst vor einer Rezession in den USA und den Folgen für die globale Wirtschaft. Die europäischen Aktienmärkte folgen am Freitag den Vorgaben aus den USA und notieren deutlich schwächer. Der Schweizer Leitindex SMI fällt bis am frühen Nachmittag mehr als 2,5%. Der deutsche Leitindex Dax verliert 1,5%. Davor hatte der japanische Nikkei 225 gar 5,8% tiefer geschlossen.
Im Kern des Ausverkaufs steht vor allem eine neuere Entwicklung. Schlechte US-Daten werden nun als das behandelt, was sie sind: schlechte Aussichten für die Gesamtwirtschaft und die Börse und nicht potenzielle Treiber niedrigerer Zinsen. So hat sich der Abwärtstrend beim Einkaufsmanagerindex zum verarbeitenden Gewerbe im Juli akzentuiert und damit klar enttäuscht, am schlechtesten schnitt die Komponente «Beschäftigung» ab. Nun richten sich alle Augen auf den US-Arbeitsmarktbericht, der heute um 14.30 Uhr mitteleuropäische Zeit publiziert wird.
Richtungssuche vorläufig entschieden
Damit scheint die Richtungssuche der Finanzmärkte, wie wir sie vergangene Woche beschrieben haben, zumindest vorläufig entschieden zu sein. Die jüngsten Signale werden so gelesen, dass sich die USA nicht mehr der schlechten Stimmung der Weltwirtschaft entziehen kann. China enttäuscht weiterhin, die Erholung in Europa lässt auf sich warten. Angesichts der jüngsten Konjunkturdaten rückt in den Hintergrund, dass sich das annualisierte Wachstum der US-Wirtschaft noch im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal auf 2,8% verdoppelt hat.
Auch beim Fed-Entscheid am Mittwoch hat sich der Fokus gewandelt. Die US-Notenbank hat punkto Zinsentscheid ziemlich genau das geliefert, was erwartet worden war. Fed-Chef Jerome Powell steuert die erste Zinssenkung im September an. Die US-Zinsen tendierten nach den Ankündigungen tiefer, die Rendite auf zehnjährige US-Treasuries fiel unter 4%.
Seit Ende April ist die Rendite auf langfristige Staatsanleihen damit deutlich gefallen; ein klares Marktsignal, dass sich die Aussichten zur Wirtschaft eintrüben. Der Fokus an der Fed-Pressekonferenz richtete sich damit auf die Aussichten für die US-Konjunktur. Viele Wortmeldungen drehten sich um die Einschätzung der Währungshüter zur Frage, ob die USA in eine Rezession abrutsche. Powell versuchte zu entwarnen, betonte aber auch, dass das Fed über genügen Spielraum verfüge, um einer Wirtschaftsabkühlung entgegenzuwirken.
Diese Entwicklung kommt nicht gänzlich überraschend, so zeigte gerade der US-Konsum, der rund 70% der Gesamtwirtschaft ausmacht, schon länger Anzeichen von Schwäche. Konsumnahe Aktien stehen bereits seit Monaten unter Druck. Das spiegelte sich wiederum an der Schweizer Börse: Titel mit einem hohen US-Exposure leiden überproportional, unter den grössten Verlierern am hiesigen Markt sind auch am Freitag Richemont, Straumann und Logitech.
Nun aber umfassen die Konjunktursorgen auch weitere Sektoren, etwa den Infrastrukturbereich. Aktien von ABB und Holcim, die bis eben noch zu den grössten Gewinnern gehört hatten im laufenden Jahr, werden ebenso verkauft wie Siemens, Siemens Energy und Heidelberg Materials in Deutschland.
Von den zwanzig SMI-Aktien steht bis am Freitagmittag keine einzige im Plus, am besten halten sich die defensiven Schwergewichte Nestlé und Roche. Am deutschen Markt ist die Stimmung etwas besser.
Der KI-Hype findet ein vorläufiges Ende
Die US-Börsen waren seit vergangenem November durch die Avance der Tech-Schwergewichte getragen worden, insbesondere durch jene von Chiphersteller Nvidia, aber auch von den grossen fünf Microsoft, Alphabet, Amazon, Apple und Meta, hinzukamen weitere Halbleiterwerte wie beispielsweise Broadcom und Micron. Das Zauberwort lautete künstliche Intelligenz. Und es hatte Strahlkraft über den US-Aktienmarkt hinaus, in der Schweiz profitierten im Sog von Nvidia und Co. insbesondere der Halbleiterzulieferer VAT – bis am 10. Juli.
In diesen vergangenen gut drei Wochen ist es zu einer Präferenzverschiebung gekommen: Die Halbleiterwerte konsolidierten während sich zumindest in den USA kleinkapitalisierte Werte aufgebäumt haben, in wenigen Tagen avancierte der Russell 2000 mehr als 10%. Die Marktbreite nahm zu und signalisierte damit einen gesünderen Aufwärtstrend, nachdem sie infolge der Tech-Dominanz ab März deutlich abgenommen hatte. Doch die gute Stimmung am breiten Aktienmarkt hat nicht lange gehalten, und damit deutet noch ein weiterer Faktor auf wachsende Rezessionsängste hin: Gestern Donnerstag verlor der Russell gar etwas stärker als der Technologieindex Nasdaq 100.
Verstärkt wird die Nervosität an den Märkten durch die Quartalsabschlüsse der Tech-Schwergewichte. Amazon und Apple beendeten den Reigen diese Woche – und stoppten den Tech- und Halbleiterboom. Die Bilanz der Konzerne fällt durchzogen bis enttäuschend aus, Intel sorgte gar für einen Schocker. Der Halbleiterkonzern dämpft die Prognose und will 15’000 Angestellte entlassen, um Kosten zu sparen, die Dividende wird gestrichen.
Besonders auffällig: Die Fantasie im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz schwindet, der Hype ist vorläufig zu Ende. Der grosse Umsatzsprung zeichnet sich dank KI-Anwendungen nicht ab.
Japans Börse steht plötzlich im Gegenwind
Auch das belastet wiederum Tech- und Halbleiteraktien weltweit, in der Schweiz gehören heute VAT und Comet zu den grössten Verlierern, in Deutschland verkaufen die Anleger Anteile an Infineon. Der Ausverkauf hat aber ganz besonders auch Japan erwischt, ein Aktienmarkt, der für ausländische Investoren gerade dank Tech-Werten attraktiv ist. Bis zum Höchst Anfang Juli hatte der Nikkei 225 knapp 27% gewonnen. Doch der Wind hat seither klar gedreht, mittlerweile steht der Leitindex noch 7% im Plus. Der breiter gefasste Topix hat sein Anfang Jahr noch 6,7% gewonnen.
Die grössere Sorge an Japans Börse ist aber wohl die eigene Währungs- und Zinspolitik. Am Mittwoch hatte die japanische Notenbank überraschend den Leitzins angehoben und angekündigt, die Käufe japanischer Staatsanleihen zu halbieren. Der Anstieg der kurzfristigen Zinsen von 0 bis 0,1% auf 0,25% ist die grösste Erhöhung seit 2007. Das dürfte die Aufwertung des Yen verstärken, in den vergangenen drei Wochen hat die japanische Währung gegenüber dem Dollar rund 8% gewonnen.
Christopher Wood, Chefaktienstratege von Jefferies in Singapur, sieht hinter der Zinserhöhung vor allem wachsenden politischer Druck: In den vergangenen Monaten hätten sich die Stimmen gemehrt, dass der Inflationsdruck in Japan Resultat der schwachen Währung sei. Der BoJ-Vorsitzende Kazuo Ueda bezeichnete den schwachen Yen denn auch als Risiko für die Inflationsprognosen der Notenbank und kündigte an, dass weitere Anhebung der Zinssätze folgen könnten, falls dies erforderlich sein sollte.
Die Rally am japanischen Aktienmarkt seit Jahresbeginn gründete auf der Hoffnung, dass die Unternehmensgewinne insbesondere dank dem schwachen Yen und in Erwartung einer sanften Landung der US-Wirtschaft weiter sprudeln werden. Entsprechend stark kamen die Aktienkurse am Freitag unter Druck. Verhältnismässig gut hielten sich dagegen die Titel heimischer Banken, sind sie weniger stark von der Währungsaufwertung betroffen und profitieren gar davon, dass die Zinsen steigen.
Inflation bereitet wenigstens mal keine Sorgen
Immerhin: Von der Inflationsseite zeichnen sich in den USA gegenwärtig keine bösen Überraschungen ab. Der Preisindex der Konsumentenausgaben (Personal Consumption Expenditures, PCE), der vom Fed präferierte Indikator zur Teuerung, tendiert seit einem Quartal wieder wunschgemäss nach unten. Für Juni resultierte im Vorjahresvergleich ein Rückgang auf 2,5%, nach 2,6% im Mai. Die Kernrate, bei der Preise für Energie und Nahrungsmittel ausgeklammert werden, blieb stabil auf 2,6%. Fed-Chef Powell zeigte sich denn auch zufrieden mit der Entwicklung. Und der Citi Inflation Surprise Index ist in den negativen Bereich gesunken, sprich die publizierten Daten zur US-Teuerung lagen zuletzt unterhalb der Erwartungen.
Das könnte sich aber schnell ändern. Im Nahen Osten bleibt die Lage höchst angespannt. Beobachter warten auf die Reaktion des Irans, nachdem Israel am Mittwoch den Hamas-Anführer Ismail Haniyeh in Teheran getötet hatte. Dass die Folgen davon eine Eskalation des Kriegs und ein Flächenbrand in der Region sind, lässt sich nicht ausschliessen. Christopher Wood von Jefferies verweist darauf, dass die Geopolitik derzeit das grösste kurzfristige Risiko für die globalen Finanzmärkte darstelle. Und Kriege seien von Natur aus inflationär.