Das Kino von Kozaburo Yoshimura zeigt eindrucksvoll, wie Frauen in der japanischen Nachkriegsgesellschaft zwischen Tradition und Moderne um Freiheit rangen. Die Geschichten wirken heute noch nah.
Oft ist das Kino am schönsten, wenn es ganz einfach ist. Ein Schwenk von einer Orchidee auf das Gesicht einer verliebten jungen Frau in der Spiegelung eines Zugfensters erzählt mehr als hundert Dialoge. Ein solches Bild gibt es in «Undercurrent», einem Melodram aus dem Jahr 1956 rund um eine Kimono-Designerin des im Westen in Vergessenheit geratenen Filmemachers Kozaburo Yoshimura.
Die Frau in der Spiegelung hat sich in einen verheirateten Mann verliebt und wird sich irgendwann für ihre Unabhängigkeit und gegen die Beziehung entscheiden. Eine Zäsur traditioneller Vorstellungen von Mann und Frau, die in einer atemberaubenden Farbpalette gefilmt wird wie der Beginn einer neuen Zärtlichkeit. Seit vergangenem Jahr reisen einige von Yoshimuras teilweise restaurierten Filmen aus den 1950er und 1960er Jahren um die Welt.
Atmen in veralteten Strukturen
Der Regisseur, der in jener Zeit meist für das Daiei-Filmstudio arbeitete, beleuchtet bevorzugt das Aufeinandertreffen von Tradition und Moderne. Oft dienen ihm handwerkliche Berufe wie beispielsweise Bambusarbeiter oder Confiseure, um von gesellschaftlichen Umwälzungen zu erzählen. Sollen die alten Praktiken fortgeführt oder soll alles umgeworfen werden? Wie kann man atmen in den veralteten Strukturen?
In der Filmgeschichte haben sich viele Filmemacher an solchen Übergängen zwischen den Epochen abgearbeitet. Yoshimura ist einer der wenigen, die den Zerfall des Alten und den Drang nach dem Neuen gleichermassen im Blick halten. In «The Ball at the Anjo House» zeigt er das letzte Aufleuchten aristokratischer Vorstellungen, in «Undercurrent» begegnet er dem Alten mit schillernden Farben.
Der herausragende Film «Clothes of Deception», von Kaneto Shindo geschrieben, zeigt die beiden Tendenzen wohl am stärksten miteinander vermischt. Er lässt in den gesellschaftlichen Strukturen Kyotos den Zwang einer auf Profit ausgelegten Lebensweise mit dem unerbittlichen Begehren einer Geisha und ihrer Schwester kollidieren.
Nuancierter Kampf
Was Yoshimuras Filme so bemerkenswert macht, sind zum einen die Kameraarbeit (meist von Kazuo Miyagawa, dem bemerkenswertesten Bildermacher jener Zeit), zum anderen das subtile Spiel der Darstellerinnen, denen gerade melodramatische Liebesszenen ein innerliches Gebrochensein abringen, das berührt. Einige der wichtigsten Filme des japanischen Regisseurs sind derzeit in zwei Filmreihen in Zürich (Filmpodium) und Basel (Stadtkino) zu sehen. An beiden Spielorten wird sein Werk in die grösseren Zusammenhänge des japanischen Nachkriegskinos verflochten gezeigt.
Gerade in den 1950er Jahren haben Filmemacher wie Yasujiro Ozu, Kenji Mizoguchi oder Mikio Naruse das Kino Japans in unerreichte Sphären gehoben, als das Land zur gleichen Zeit an einer Desorientierung nach dem verlorenen Krieg und der Öffnung zum Westen laborierte. Allerdings hallen Filme wie «A Woman’s Uphill Slope» oder «Clothes of Deception» auch ins Heute nach. Das Kämpfen der modernen Frauenfiguren gegen die reaktionären Tendenzen um sie – aber auch in ihnen – ist von einer Nuanciertheit, wie man sie im zeitgenössischen Kino oft vermisst. Es geht um Klassenkampf (besonders virulent in «On This Earth»), Kapitalismus, sozialen Ehrgeiz und die Suche nach einem neuen Sinn.
Die Figuren in Yoshimuras Filmen lernen immer zu leben, während sie eigentlich mitten im Leben stehen sollten. Wenn man sich die Filme anschaut, kann man mit ihnen lernen.
«Kozaburo Yoshimura: Die Kosten der Schönheit» ist der Titel einer Reihe im Filmpodium Zürich (bis zum 30. September). Die Reihe «Nippon Naked Nights» ist bis am 29. September im Stadtkino Basel zu sehen.