Der zweite Teil von Julian Schütts grosser Frisch-Biografie erzählt die bewegten Jahrzehnte des erfolgreichen Schriftstellers und des erfolglos Liebenden.
Ob es Liebe war, wird man nicht mehr erfahren. Auf dem von ihm «Endbett» genannten Krankenlager fasste der 79-jährige Max Frisch einen letzten Entschluss. Er wollte noch einmal heiraten. Das Objekt seiner Zuwendung hatte unzweifelhaft den Vorteil, auch ihm ungeteilte Aufmerksamkeit zu bieten. Es war seine Pflegerin Maja Huber, die aber kein Interesse zeigte. Vielleicht liefert diese Geschichte eine finale Pointe zu jener Mischung aus Gefühlen und männlicher Bedürftigkeit, für die der grosse Schweizer Schriftsteller stand. Er brauchte die Frauen, um sich selbst als Ganzes zu empfinden. Die Folge war meist ein Scherbenhaufen.
Wenn Julian Schütt vierzehn Jahre nach dem ersten nun den zweiten Teil seiner grossen Frisch-Biografie veröffentlicht, dann ist das ein enorm minuziöses Unterfangen. Die Schilderung eines Schriftstellerlebens in allen dramatischen Details und zugleich eine expertensichere Materialsammlung erster Güte.
Der wichtige Fluchtpunkt aber bleibt: Das Aufregendste an Frischs Vita sind die Frauengeschichten. Seine Notizen, Tagebücher und Romane verarbeiten die Beziehungen und Affären. Hier schaut sich einer beim Lieben zu, um herauszufinden, wer er ist. Was Max Frisch allerdings sicher nicht war: der Mörder Ingeborg Bachmanns.
Paarbeziehung mit Abgründen
Der Mythos vom Egomanen Frisch, der die Schriftstellerin in den Tod getrieben habe, indirekt mitschuldig sei an ihrem tragischen Ende in Rom, hat sich jahrzehntelang gehalten. Seit drei Jahren kann man den Briefwechsel des Liebespaares nachlesen, der die Gerüchte mit zwar immer noch erschütternden Wirklichkeiten ergänzt, die steilste These aber nicht bestätigt. Julian Schütts zentrales Kapitel zur Causa heisst «Eine Art von Paar». Auch er gibt Entwarnung und versucht gleichzeitig aufzuschlüsseln, was zwei Menschen so aneinanderbinden konnte, dass sich zwischen ihnen die tiefsten Abgründe auftaten.
Den entscheidenden Satz schreibt Max Frisch nach dem Ende der Beziehung. Er formuliert ihn für sein Tagebuch. Er wisse nicht, ob er Ingeborg Bachmann wirklich gekannt habe. «Vielleicht habe ich sie nur geliebt.»
Liebe in Unkenntnis des Gegenübers? Für Max Frisch scheint die paradoxe Form eines Gefühls die einzig lebbare gewesen zu sein. Bei Ingeborg Bachmann war es möglicherweise genauso. In einer tragischen Choreografie mussten die beiden einen Wahrheitskern umschleichen, dabei meinten sie sich schon zu kennen, als sie sich am 3. Juli 1958 zum ersten Mal in einem Pariser Café trafen. Man hatte einander gelesen.
Frisch war schon 1957 von einem Freund zugetragen worden, dass in einer Münchner Intellektuellenrunde heftig über seinen «Homo faber» diskutiert worden sei. Mit dabei: die junge Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Zur gleichen Zeit schreibt Frisch an seine damalige Freundin Madeleine Seigner, er lese Bachmanns Gedichte, «die ich, soweit sie mir aufgehen, bedeutend finde, herrlich».
Von Seigner wird er sich wegen der neuen Affäre trennen, aber was diesmal eine tiefe Beziehung hätte sein können, ist in Wahrheit ein einziger, insgesamt drei Jahre dauernder Abschied. Jahrzehnte später wird sich Frisch in «Montauk» an das Frühstück nach dem Abend mit Bachmann erinnern. Ein morgendlicher Kaffee, «am Nebentisch die Metzger mit den blutigen Schürzen, diese zur plumpen Warnung».
Ein Gefühl des Ungenügens
Ein «langgefürchteter Engel, der fragt Ja oder Nein», sei die Bachmann, wie Max Frisch ihr in einem Brief schreibt. Sie sei «ein Meertier, das nur im Wasser seine Farben zeigt, Du bist schön, wenn man Dich liebt, und ich liebe Dich». Der Versuch, gemeinsam zu leben, wird unter der Last symbolischer und echter Entscheidungen zusammenbrechen. Gemeinsam zu wohnen und nebeneinander zu arbeiten, bleibt der Traum einer intellektuellen Idylle. In Uetikon am See, in Zürich und in Rom eskaliert das Partnerschaftsmodell räumlicher Zweisamkeit.
Von der römischen Terrasse fliegt nachts ein Gartenstuhl auf die Strasse. Das ist der cholerische Frisch, der sich in seinen diesbezüglichen Ausdrucksformen noch steigert. Seine spätere Ehefrau Marianne Oellers wird in den siebziger Jahren im Haus in Berzona miterleben, wie der Schriftsteller aus Wut seinen Pyjama zerschneidet und draussen in die Bäume hängt.
«Du Wüstbär», «liebes Ungeheuer», steht in den Briefen der Ingeborg Bachmann von 1961/62, als man schon einiges miteinander erlitten hat. Die Österreicherin ist viel unterwegs und hat ihre Heimlichkeitsstrategien. Beziehungen, die ihr nachhängen, wie die zu Paul Celan, und sie hat neue Affären. Für Frisch ist sie eine «Meisterin der Tarnung». Er fühlt sich in ihrem Leben wie ein «Vorübergehender».
Frisch hat seine Heimlichkeitsstrategien vor sich selbst, blinde Flecken, dunkel aquarelliert. Die fünfzehn Jahre jüngere Ingeborg Bachmann ist Glück und Bedrohung zugleich. Er idealisiert und erhöht sie, wie Julian Schütt schreibt, und dadurch schrumpft er in seinem eigenen Selbstbild. Er hat «ein Gefühl des Ungenügens», wie er selbst schreibt. Ein Muster, das sich wiederholen wird.
Die Frauen von Max Frisch sind fast alle viel jünger als er. Möglich, dass das Parfum der Jugend sein Ich vernebelt, es anfällig macht für Trugbilder bis hin zum selbstzerstörerischen Wahn. Ab den späten fünfziger Jahren entwickelt sich Frisch zum berühmten Schriftsteller und zur politischen Instanz.
Selbstsüchtiger Tyrann
«Biographie einer Instanz» heisst Julian Schütts Buch auch im Untertitel, aber vor sich selbst ist er als Richter untauglich. Er braucht die Distanz und die Spiegelung des Ichs in den Notizen, Tagebüchern und der Literatur. Jeder noch so persönliche Brief ist als grosses Fragezeichen formuliert. Als würde das Gesagte schon in der Niederschrift wieder zurückgenommen. Nicht nur Ingeborg Bachmann haben diese Undeutlichkeiten in die Verzweiflung getrieben. Fast überdeutlich erscheint er seinen Partnerinnen allerdings in anderen Eigenschaften: als selbstsüchtiger Tyrann.
Gross sind Max Frischs Unsicherheiten im Liebeskarussell, das sich über Jahrzehnte dreht. Als er mit Ingeborg Bachmann zusammenkommt, ist sie gerade mit dem französischen Journalisten Pierre Évrard liiert, Frisch mit Madeleine Seigner. Ihretwegen hatte er sich von seiner ersten Ehefrau Gertrud von Meyenburg getrennt. Ingeborg Bachmanns 1959 mit Hans Magnus Enzensberger begonnene Affäre führt zum «Venedig-Vertrag». Ab jetzt soll das Bachmann-Frisch-Verhältnis eine offene Beziehung sein.
Die Blessuren des Kampfes zeigen sich deutlich. Sie flüchtet sich in Alkohol und Narkotika, hat Schreibkrisen. Er erkrankt an schwerer Hepatitis. Glaubt man den Mythen des berühmten Paares, dann waren das psychosomatische Reaktionen der Liebe. So einfach ist es aber wohl nicht. Und es gibt hier auch keine genaue Trennung zwischen Opfer und Täter.
Nach jener mit Enzensberger hat Ingeborg Bachmann noch eine Liaison mit dem Übersetzer Paolo Chiarini. Max Frisch sieht eine rote Linie überschritten, lernt in Rom aber bald die junge Studentin Marianne Oellers kennen, die damals noch die Freundin des Schriftstellers Tankred Dorst ist. Als Frischs zweite Ehefrau wird Marianne diesen später mit dem amerikanischen Autor Donald Barthelme betrügen.
1974 arbeitet Frisch in New York an seiner internationalen Karriere. Hier lernt er die junge Verlagsmitarbeiterin Alice Carey kennen. Bei einem gemeinsamen Wochenendtrip nach Long Island reserviert sie das Hotelzimmer als «Mrs. Frisch», und der Mann, der ein paar Tage später dreiundsechzig Jahre alt wird, freut sich: «Einmal wieder dieses Spielchen der frühen Jahre.»
Literatur als Vivisektion
Für Julian Schütts glänzende und ungeheuer fleissige Biografie ist die Lebensführung von Max Frisch ein enormer Kraftverstärker. Ihr Verdienst ist umso grösser, als es altbekannte Konkurrenz gibt: das Werk des Autors selbst. Kaum ein Schriftsteller hat sich in seine Bücher noch einmal so hineinerfunden wie dieser. Und keiner hat seine Weggefährtinnen so direkt möglicher Wiedererkennbarkeit ausgesetzt.
Eine «Vivisektion» nannte Ingeborg Bachmann das, als sie das Manuskript des Romans «Mein Name sei Gantenbein» las und zu retten versuchte, was zu retten war. Marianne Oellers fühlte sich durch das von Frisch veröffentlichte Tagebuch «1966–1971» blossgestellt. In «Montauk. Eine Erzählung» kommen sie fast alle noch einmal vor, die Frauen des Schweizer Blaubarts. Man kann ihm Rufmord an der Wahrheit vorwerfen, aber er ist ja Schriftsteller. «Schreiben ist Untreue», heisst es in einer ursprünglichen Fassung von «Montauk». Später wurde der Satz gestrichen.
Das, was im wirklichen Leben verworren war, hat Max Frisch in der Literatur ins Reine zu bringen versucht. Aber die Dämonen sind da, und fast scheint es, als wollten sie sich aus der Literatur heraus wieder selbständig machen. «Homo faber» war das Buch, das Ingeborg Bachmann begeistert gelesen hatte. Darin kommt das an der Schwelle zum Erwachsenwerden stehende Mädchen Sabeth vor. In ihr ist Karin, die Tochter Madeleine Seigners, porträtiert. Karin Pilliod ist genauso alt, wie ihre Mutter war, als diese mit Frisch eine Affäre begann, und sie tut es ihr gleich.
Dazwischen liegt ein Vierteljahrhundert, vor Frisch liegen noch knapp acht Jahre Lebenszeit. Lange hiess es, der grosse Schweizer Schriftsteller sei stumm gestorben. In der Biografie von Julian Schütt wird das jetzt von der Ohrenzeugin Karin Pilliod korrigiert. Er starb mit einem Schrei.
Julian Schütt: Max Frisch. Biographie einer Instanz. Suhrkamp-Verlag, Berlin 2025. 706 S., Fr. 49.90.