Das Chaos der Berliner Kanzlerwahl hat den Dax belastet. Der Spielraum der CDU ist eingeengt. Ohnehin ist unrealistisch, dass Deutschland allein mit seiner Finanzwende einen europäischen Aufschwung erzeugen kann. Viel hängt auch von der Entwicklung in den USA ab.
Die deutsche Börse wurde gebremst durch das Chaos der Kanzlerwahl. Obwohl im Vorfeld schon durch erhebliche Zugeständnisse ein Stimmenfang stattfand, musste dann im zweiten Wahlgang noch einmal mit weiteren Zugeständnissen gegenläufig zur Strategie der Union «nachgebessert» werden. Eine Financial-Times-Schlagzeile wies dann auch auf die Fragilität der Koalition hin, die den für Deutschland eigentlich notwendigen marktwirtschaftlichen Reformkurs unmöglich machen dürfte.
Bezeichnend ist, dass man nur mit den Stimmen der Partei Die Linke den zweiten Wahldurchgang am Dienstag und somit die Kanzlerschaft erreichte. Die Linkspartei ist aus der Nachfolgepartei der früheren ostdeutschen Staatspartei SED hervorgegangen. Mit der AfD zusammen will man nicht stimmen, seien die Vorschläge von dieser Seite auch vernünftig, was den CDU-Spielraum entsprechend einengt.
Ohnehin erscheint es als unrealistisch, dass Deutschland allein mit seiner deutlich steigenden Neuverschuldung für einen europäischen Aufschwung sorgen kann. Frankreich, Italien und Spanien sind so hoch verschuldet, dass sie kaum ein Wachstumsmotor für Europa sein können, sondern mit Sparmassnahmen gegensteuern müssen, damit sich die Tendenz zur Beschleunigung des Defizitwachstums nicht noch verstärkt. China fällt als Wachstumsmotor für Europa aus, könnte aber für fallende Preise in Europa sorgen, durch die Umleitung von Exporten auf den alten Kontinent (aufgrund der US-Zölle).
Bei den deutschen Rüstungsausgaben dürften die Produktionskapazitäten fehlen, um hohe dreistellige Milliardenbeträge im Inland investieren zu können. Waffenkäufe in den USA helfen dagegen der europäischen Konjunktur nicht.
Auch bei den Infrastrukturarbeiten, die in Deutschland geplant sind, fragt man sich, wo freie Kapazitäten herkommen sollen, um grössere Investitionssummen unterzubringen. Fachleute meinen, dass lediglich osteuropäische Firmen grössere freie Kapazitäten haben, was der deutschen Konjunktur kaum helfen würde.
Die grosse Frage ist schliesslich, ob sich die laufende Abschwächung in der Automobilbranche fortsetzt und ob dieser negative Effekt stärker wirkt als der positive Effekt durch steigende Rüstungsausgaben.
Auch für Europas Börsen wäre ein Ukraine-Frieden segensreich. Er würde wahrscheinlich die generelle Investitionsbereitschaft erhöhen und die zaghaft begonnenen Wiederinvestitionen der Ausländer in Europa verstärken. Wie auch US-Aussenminister Rubio zuletzt wieder gesagt hat, schwebt nach wie vor das Damokles-Schwert eines Atomkriegs über Europa. Jedenfalls treffen einige Investoren Vorsorge und verlagern grössere Gelder in die Schweiz.
Man kann also nur hoffen, dass Trump sich hier durchsetzen kann und Europa nicht noch länger unter dem Damoklesschwert eines Atomkriegs steht. Die Börsen scheinen auf vernünftige politische Lösungen zu setzen. Anders ist die gute Wertentwicklung der deutschen Börse (relativ zu den USA und auch zu Europa) kaum erklärbar.
Der Dax-Anstieg hat auch mit der Währungsentwicklung zu tun. Die Schwäche des Dollars hat zu Kapitalverschiebungen aus den USA nach Europa geführt, aber auch in asiatische Länder. Der Taiwan-Dollar stieg zuletzt an drei Tagen um fast zehn Prozent.
Ob die US-Währung nach dem Rückgang der letzten Monate noch weiter fällt, ist allerdings keineswegs sicher. Denn in Europa werden die Zinsen wahrscheinlich in den nächsten Monaten stärker gesenkt als in den USA.
Markttechnisch gesehen ist der lange von den Börsen gehegte Optimismus für den Dollar in Pessimismus umgeschlagen, was unterstützend wirken könnte. Gleiches gilt für den Terminmarkt: Hier zeigen sich inzwischen zunehmend Spekulationen gegen den Dollar.
Börsenprognosen sind zwar immer schwierig, aber diesmal scheinen die Einflussfaktoren besonders unübersichtlich. Während sich Notenbankpolitik nach volkswirtschaftlichen Einflussfaktoren wie Inflation, Arbeitsmarkt und anderen Fakten beurteilen lässt, sind Prognosen über das zukünftige Verhalten des äusserst erratisch agierenden US-Präsidenten kaum machbar.
Vieles spricht allerdings dafür, dass der Höhepunkt der Zollbelastungen für die Börsen hinter uns liegt. Den jüngsten Erleichterungen dürften weitere folgen. Die Frage ist nur, ob nicht bereits so viel Unheil angerichtet worden ist, dass die Gewinne nicht nur in den USA, sondern auch weltweit so stark zurückfallen, dass die Börsen angesichts einer ohnehin hohen Bewertung (primär in den USA) nicht doch negativ auf Gewinnrückgänge reagieren werden. Dann wäre die jüngste Erholung eine «Bear Market Rally» gewesen.
Solange nicht die alten Indexhochs überwunden werden, dürften die Gefahr neuer Rückschläge noch nicht vorbei sein. Für bessere Aktienkurse sprechen hingegen mittelfristig sowohl die monetären Faktoren als auch die Markttechnik. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der schwer unter Druck gesetzte US-Notenbankpräsident J. Powell die Zinsen überraschend senkt. Markttechnisch wirken der noch immer ausgeprägte Pessimismus und die hohen Barreserven positiv.
Konjunkturell überwiegen die negativen Indikatoren. Verfolgt man das «Beige Book» der US-Notenbank genauer (in dem Unternehmen aus allen Teilen der USA ihre konjunkturellen Erfahrungen widerspiegeln), so kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir auf eine Rezession zusteuern.
Die Schrumpfung des US-BIP im ersten Quartal um 0,3% wollen Optimisten damit entkräften, dass diese Zahl nur wegen der rekordhohen Einfuhren entstanden sei. In der Tat handelt es sich um eine Sondersituation, weil hier im Hinblick auf die Trump’schen Zölle Importe vorgezogen wurden. In Zukunft könnten die US-Konsumenten allerdings in vielen Geschäften vor leeren Regalen stehen, da viele ausländische Lieferanten im Hinblick auf die Zölle ihre Warenlieferungen ausgesetzt haben. Nicht gerade ein Faktor, der zu einer Verbesserung des Bruttoinlandsprodukts führt. Wenn ein in Indien gefertigtes iPhone (jedenfalls ab Ende nächsten Jahres) wesentlich mehr kostet, bleibt zwangsläufig weniger Geld für andere Konsumzwecke. Wie schwer die Konsumgüterkonjunktur belastet ist, spiegelt auch die Geschäftsentwicklung von McDonald’s (und Starbucks) wider. Hier gingen die Umsätze gegenüber Vorjahr zurück, obwohl die Preise teilweise zurückgenommen wurden.
Die Entwicklung beim US-Konsum spricht dafür, dass sich die BIP-Zahlen auch im zweiten Quartal im Minus befinden könnten und die USA damit rechnerisch in einer Rezession wären.
Entwickelt sich ein richtiger Handelskrieg sind die Risiken noch grösser. Kurzfristig hat man aber den Eindruck, dass Konjunktur, Börse und sinkende Zustimmungswerte den Präsidenten davon abhalten werden, neue Negativüberraschungen aufzutischen.
Zusammen mit den positiven markttechnischen und monetären Faktoren ist im Fall einer Entspannung der US-Zollpolitik die Möglichkeit gegeben, dass die Aktienmärkte in den USA, aber auch in Europa freundlicher tendieren. Das gilt besonders für den Nasdaq-Index und die amerikanischen Technologieaktien, wo die Anleger unterinvestiert sind (nach Verkäufen über den Zeitraum von fast einem halben Jahr) . Die Bewertung im Verhältnis zum Rest des Marktes ist inzwischen deutlich günstiger geworden. Aus dem Blickwinkel der zu erwartenden Gewinnsteigerungen in den nächsten Jahren hat sich das Chance-Risiko-Verhältnis dieser Titel verbessert.
Dieser Artikel ist ein Auszug aus der «Finanzwoche», dem seit 1974 erscheinenden Investmentbulletin von Jens Ehrhardt.
Jens Ehrhardt
Jens Ehrhardt ist Gründer, Hauptaktionär und Vorstandsvorsitzender von DJE Kapital. Nach fünfjähriger Partnerschaft in der seinerzeit grössten deutschen Wertpapier-Vermögensverwaltungs-Gesellschaft promovierte er 1974 über «Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt». Im selben Jahr legte er den Grundstein für den Aufbau seiner Firmengruppe, die er von Beginn an leitet. Ehrhardt verantwortet neben seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender noch die Bereiche Risikomanagement und Unternehmens-/Anlagestrategie.