Mit dem Sieg gegen Lugano am Donnerstagabend haben die Freiburger erst zum zweiten Mal mit Christian Dubé an der Bande eine Play-off-Serie überstanden. Der Klub steht unter Zeitdruck, weil sein Kader überaltert ist.
Besondere Anlässe erfordern aussergewöhnliche Massnahmen. Deshalb stieg Hubert Waeber, der Präsident des HC Fribourg-Gottéron, am Donnerstagabend vor dem Viertelfinalspiel seines Klubs gegen den HC Lugano aufs Eis hinunter und beschwor über das Stadionmikrofon die Freiburger Einigkeit «tous ensemble», alle zusammen.
Der Unternehmer aus der Automobilbranche hat ein legendäres Vorbild. Vor dem ersten Heimspiel der Play-off-Finalserie 1992 zwischen Gottéron und dem SC Bern hatte der legendäre Jeannot Martinet ein Stück Eis aus der Spielfläche gebohrt und zum Gaudi des Publikums genüsslich verzehrt. Seine Botschaft: Verspeist den Gegner und geniesst es!
Die Episode hatte wenig gebracht. Der Favorit aus Bern gewann jenen Final mit 3:2 Siegen. Selbst die beiden russischen Stars Slawa Bykow und Andrei Chomutow konnten daran nichts ändern. Held der Serie war keiner der Eishockey-Artisten, sondern der junge Berner Patrick Howald, der das letzte Spiel praktisch im Alleingang entschied.
Howald beendete seine Karriere später im Dress von Gottéron. Doch den Meisterpokal brachte der pfeilschnelle Flügel nicht nach Freiburg. Gottéron wartet auch im 87. Jahr seiner Existenz auf den ersten Meistertitel. Nun herrscht wieder Zuversicht. Hubert Waeber sagte der NZZ vor dem Beginn der Serie gegen Lugano: «Ganz Freiburg brennt auf diesen Titel!»
Der Goalie Reto Berra beweist, dass seine Reflexe mit 37 Jahren noch wach sind
Immerhin hat diese faszinierende Organisation die erste Play-off-Runde überstanden, auch wenn sie über die maximale Distanz von sieben Spielen gehen musste. Gottéron gewann die entscheidende Partie gegen Lugano 4:2. Christoph Bertschy war zweifacher Torschütze und neben dem Torhüter Reto Berra einer der Schlüsselspieler an diesem Abend. Bertschy, ein einstiger Junior von Gottéron, ist bereits Meister. Doch errungen hat er diesen Titel 2013 ausgerechnet mit dem Erzrivalen aus Bern. Auf die letzte Saison hin war er als Premium-Transfer nach Freiburg zurückgekehrt.
Nach dem Match vom Donnerstag stand Bertschy im Kabinengang und sprach von «Soulagement», Erleichterung – es war das mit Abstand am häufigsten gehörte Wort des Moments. Und bei niemandem war die Erleichterung grösser als beim Trainer Christian Dubé. Auf die Frage, wie gross sie denn sei, antwortete er: «Unermesslich gross!»
Seit 2019 ist Dubé der Coach von Gottéron, bis im vergangenen Herbst war er in einer Doppelfunktion auch als Sportchef tätig. Gewissermassen fliegend und ohne jede Vorbereitung hatte er 2015 vom Eis in die Teppichetage des Klubs gewechselt. Doch in Freiburg wuchsen die Zweifel stetig, ob Gottéron mit dem einst brillanten Techniker an der Bande tatsächlich auch Titel erringen kann. Bis zum Donnerstag hatte der Klub mit ihm nur eine von sieben Play-off-Serien gewonnen; einen Viertelfinal 2022 gegen den Lausanne HC.
Lausanne oder Dubés ehemaliger Klub SC Bern sind potenzielle Gegner von Gottéron in den Halbfinals. Der Weg zum Titel ist für die Freiburger aber noch weit, gerade auch, weil die ZSC Lions in diesem Frühjahr unschlagbar scheinen. Doch Dubé hatte am Donnerstag nicht nur Erleichterung, sondern auch Trotz in der Stimme. «Ich will nicht den Viertelfinal, sondern das letzte Spiel der Saison gewinnen», sagte er. Dubé ist ein smarter Zeitgenosse, der durchaus weiss, wie gross in Freiburg die Erwartungen sind und dass ihm nicht mehr unbeschränkt Zeit bleibt, um diese zu erfüllen.
Gottéron unterhält das wohl teuerste Kader der Klubgeschichte. Bertschy ist nur einer von mehreren Topverdienern, die das Dress mit dem Drachen tragen. Doch die Mannschaft ist auf ihrem Zenit, ja von der Altersstruktur her hat sie diesen möglicherweise bereits überschritten. Einer der Routiniers ist der Torhüter Berra, 37 Jahre alt, der sich Gottéron 2018 anschloss. Sein Vertrag läuft noch bis im Frühling 2026, dann dürfte er seine Karriere beenden. Am Donnerstag zeigte er Sekunden vor Schluss mit einem Save gegen Daniel Carr möglicherweise die Parade der Saison. Berra bewies, dass seine Reflexe noch wach sind.
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— MySports – C’est le hockey (@MySports_CH_fr) March 29, 2024
Slawa Bykow steht wie kein anderer für die unerfüllte Sehnsucht
Aber das Team befindet sich mitten im Umbruch. Auch die Zeit des Captains Julien Sprunger oder des Verteidigers Raphael Diaz neigt sich dem Ende entgegen; beide sind 38-jährig. Und bei Andrei Bykow, 36, ist beschlossen, dass er sich nach dieser Saison verabschiedet.
Zweimal im Mitteldrittel zeigte die Stadion-Regie seinen Vater Slawa auf dem Videowürfel. Dieser verfolgte den Match stehend und fast ein wenig verloren in einer Ecke der Arena. Slawa Bykow steht wie kein anderer für die unerfüllte Sehnsucht dieses Klubs nach einem Titel. Seit dem Überfall der Russen auf die Ukraine hat sich der Filigrantechniker aus der Öffentlichkeit jedoch zurückgezogen. Er ist stolzer Russe und trotzdem mit dem kriegerischen Kurs seiner Regierung nicht einverstanden.
Am Ende des Spiels vom Donnerstag kam es in den Katakomben des Stadions noch zu einer anderen berührenden Szene. Vicky Mantegazza, die Präsidentin des HC Lugano, schritt auf Christian Dubé zu und umarmte diesen innig. In der Geste lag Wertschätzung für den Franko-Kanadier, der seine Karriere in der Nationalliga A in Lugano begonnen hatte. Das letzte Kapitel von Dubés Geschichte in Freiburg ist noch nicht geschrieben.