Ein Duopol der Hersteller, ausgereizte Kapazitäten und ein Rückstau bei den Bestellungen: Wer ein Flugzeug kaufen will, hat wenig Spielraum. Und die Alternativen sind beim genauen Hinschauen meist keine.
Auch die jüngste Meldung aus dem Hause Boeing passt ins Bild eines Konzerns, der seine Abläufe nicht im Griff hat. Offenbar gibt es keine Unterlagen zu den Arbeiten, die an einem während eines Fluges herausgerissenen Rumpfteil ausgeführt worden waren. Der Zwischenfall Anfang Jahr hatte eine Untersuchung beim Flugzeugbauer ausgelöst.
Wie die Unfallermittlungsbehörde NTSB mitgeteilt hat, fehlen ausser der Dokumentation zu den Fertigungsschritten auch die Videoaufzeichnungen von Sicherheitskameras aus dem Werk. Diese sind nach 30 Tagen automatisch überspielt worden.
Die Pannenserie bei dem amerikanischen Hersteller macht Airlines nervös, weil die Untersuchungen und die verhängte Produktionseinschränkung die Auslieferung neuer Flugzeuge verzögern. Das zwingt erste Gesellschaften bereits zum Umplanen. So hat etwa Ryanair mögliche Einschränkungen im Sommerflugplan angekündigt.
Lufthansa hat im Dezember bestellt
Einen Grossauftrag hat Boeing vom Lufthansa-Konzern erhalten. Die Airline hat erst kurz vor Weihnachten eine Bestellung für 40 Boeing 737-8 Max getätigt – mit einer Option für 60 weitere Flugzeuge. Da für die Flotten von Lufthansa und Swiss bereits eine Nachfolgeplanung besteht, sind die neuen Boeing für andere Airlines innerhalb der Gruppe vorgesehen. Insgesamt hat Lufthansa bei allen Herstellern zusammen über 250 Flugzeuge auf der Bestellliste.
Von den gegenwärtigen Geschehnissen rund um die Boeing 737-Max 9 sei Lufthansa nicht betroffen, da man diesen Typ weder betreibe noch bestellt habe, heisst es auf Anfrage. Aber natürlich werde man die Schlussfolgerungen der Behörden sehr sorgfältig verfolgen. Da die ersten Flugzeuge aus der Dezember-Bestellung erst in rund zweieinhalb Jahren ausgeliefert werden sollen, sei es ohnehin zu früh, um jetzt schon über allfällige Verzögerungen zu spekulieren.
Bereits länger klar ist jedoch, dass sich andere Lufthansa-Bestellungen bei Boeing verzögern. So werden etwa in diesem Jahr weniger Dreamliner (Modell 787-9) ausgeliefert als ursprünglich geplant.
Die jüngsten Ereignisse beim Hersteller sind denn auch nicht der einzige Grund für die späteren Lieferungen.
Plötzlich wollen wieder alle fliegen
Als nach der Pandemie an Ostern vor zwei Jahren die Leute plötzlich wieder Flugreisen im grossen Stil zu buchen begannen, kam diese rasch erhöhte Nachfrage für viele Luftfahrtunternehmen früher als erwartet. Gleichzeitig hatten Covid und die Lieferkettenproblematik die Produktion bei den Flugzeugherstellern gebremst. Es fehlten Teile und Personal.
Doch über diese Verzögerung und die technischen Probleme bei Boeing hinaus gibt es noch weitere Faktoren, die der Industrie zu schaffen machen und verhindern, dass rasch genügend neue Flugzeuge auf den Markt kommen.
Gewerkschaften nutzen Gunst der Stunde
Ein limitierender Faktor ist das Personal. Weltweit fehlt es an Mechanikern und Ingenieuren für die Luftfahrtindustrie. Mit der Pensionierung der Babyboomer-Generation wird sich dieses Problem verschärfen.
Das haben auch die Gewerkschaften erkannt und nutzen die Situation, um ihren Anliegen Gehör zu verschaffen. Im September laufen bei Boeing die laufenden Verträge aus. In die Anfang März gestarteten Verhandlungen bringen die Arbeitnehmervertreter den Vorschlag einer Lohnerhöhung von 40 Prozent über die nächsten drei Jahre mit. Ebenso verlangen sie die Wiedereinführung der 2014 abgeschafften Pensionssparpläne.
Eine weitere Forderung ist ein Ausbau der Produktion im Raum Seattle im US-Gliedstaat Washington statt in Charleston, South Carolina. Boeing hatte eine Fabrik statt an der Westküste in den Südstaaten errichtet, um einerseits von Steuervergünstigungen und andererseits von schwachen Gewerkschaften zu profitieren.
Das Werk in Charleston ist wegen Unsorgfältigkeiten in die Schlagzeilen geraten. Das Flugzeug mit der herausgefallenen Tür war allerdings in Renton bei Seattle gefertigt worden.
Ein wichtiger Treiber der Flottenerneuerungen ist der Bedarf nach Flugzeugen mit geringerem Treibstoffverbrauch. Lufthansa zum Beispiel rechnet damit, dass die neuen Flugzeuge bis zu 30 Prozent weniger Kerosin benötigen. Dadurch emittieren sie nicht nur weniger CO2, sondern sorgen auch für eine spürbare Senkung der Treibstoffkosten.
Die Einführung neuer Technologien ist in der Regel mit Kinderkrankheiten verbunden. So hatte Airbus im vergangenen Jahr erklärt, dass bis 2026 Hunderte von A320neo inspiziert und repariert werden müssten. Grund sind Materialmängel bei der Geared-Turbofan-Technologie des Getriebeherstellers Pratt & Whitney.
Airlines haben wenig Auswahl
Und so haben Airlines letztlich nur sehr beschränkte Ausweichmöglichkeiten, um ihren Bedarf an Flugzeugen zu decken – wenn überhaupt. Gerade für den Mittel- und Langstreckenbereich sind die Firmen dem Duopol von Boeing und Airbus ausgeliefert.
«Die Fertigungsketten im Flugzeugbau sind ein heikles, fehleranfälliges System», sagt Joris D’Incà von der Beratungsfirma Oliver Wyman. Es sei fraglich, ob die Produktion stark genug erhöht werden könne, um den gesamten Ersatzbedarf an neuen Maschinen zu decken. Auch das neue chinesische Flugzeug C919 werde allfällige Lücken in keiner Weise füllen können.
Zuweilen gibt es die Möglichkeit, von anderen Airlines bestellte, aber dann nicht gebrauchte Flugzeuge zu übernehmen. Leasing kann theoretisch eine Option sein. Wenn es zu wenig Flugzeuge gibt, dann stehen allerdings auch weniger fürs Leasing zur Verfügung, was diesen Weg wiederum verteuert. Als letzte Alternative bleibt, die alten Maschinen länger in Gebrauch zu halten.
Ein Hersteller oder doch lieber zwei?
Es hat Vorteile, wenn die Flotte nur aus Flugzeugen eines einzigen Herstellers besteht. Die Flexibilität ist höher, weil das Personal an Bord und für die Wartung eingespielt und besser austauschbar ist.
Dennoch möchten die meisten Airlines nicht nur von einem der beiden grossen Hersteller abhängig sein. Sei es aus Sicherheitsgründen, sei es, weil man lieber bei zwei Firmen Kunde ist, um diese Tatsache bei den Preisverhandlungen in die Waagschale werfen zu können.
Selbst wenn bei Boeing in der jüngsten Affäre noch ein paar unangenehme Details zum Vorschein kommen sollten, dürfte die Firma angesichts dieser Marktverhältnisse die Angelegenheit ebenso überwinden, wie sie vor über zehn Jahren schon das Drama um den Dreamliner mit den brennenden Batterien überlebt hat.
Doch alle Massnahmen, um das Vertrauen wiederherzustellen, sind mit Kosten verbunden. Ob das nun höhere Löhne sind, mehr Kontrollen oder der geplante Rückkauf des einst ausgegliederten Zulieferers Spirit für einen stabileren Produktionsprozess.
Derweil mag Konkurrent Airbus zwar seine Marktstellung stärken. Angesichts der knappen Kapazitäten ist das aber nur beschränkt möglich.