Diplomaten und ihre Räumlichkeiten geniessen im Völkerrecht besonderen Schutz. Sie können Zufluchtsort sein wie im Fall Assange oder Angriffsziel wie die amerikanische Botschaft in Teheran.
Ecuadors konservativer Präsident Daniel Noboa hat am vergangenen Wochenende für einen Eklat gesorgt. Er schickte Freitagnacht eine Spezialeinheit der Polizei in die mexikanische Botschaft in Quito, um den früheren Vizepräsidenten Jorge Glas aus der diplomatischen Vertretung zu holen und festzunehmen.
Der unter dem linkspopulistischen Präsidenten Rafael Correa amtierende Glas war in mehreren Korruptionsprozessen zu insgesamt 14 Jahren Haft verurteilt worden. Im November 2022 entliess ihn ein Richter provisorisch aus dem Gefängnis, wobei er aber das Land nicht verlassen durfte. Im vergangenen Dezember flüchtete Glas in die mexikanische Botschaft und erhielt von den Mexikanern politisches Asyl. Inzwischen sind Hinweise aufgetaucht, gemäss denen der besagte Richter von der Drogenmafia bestochen worden war.
Die Polizeiaktion geschah gegen den Willen der Mexikaner. Präsident Noboa erklärte im Nachhinein, er werde Straflosigkeit nicht akzeptieren. Mehrere Botschaftsangehörige wurden von den Polizisten verletzt und der Botschafter zu Boden gedrückt. Mexiko brach in der Folge die Beziehungen zu Ecuador ab.
Eine Botschaft ist kein exterritoriales Gebiet
Der Vorfall brachte Präsident Noboa starke Kritik aus Lateinamerika ein, auch von konservativen Regierungen wie Argentinien und Peru. Er bedeutet einen Tabubruch, weil die Räumlichkeiten einer Botschaft besonders geschützt sind. Das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen, dem bis auf Südsudan und Palau alle Uno-Mitgliedstaaten beigetreten sind, bezeichnet die Räumlichkeiten einer diplomatischen Mission als unverletzlich. «Vertreter des Empfangsstaats dürfen sie nur mit Zustimmung des Missionschefs betreten», heisst es im entsprechenden Artikel 22 weiter.
Aus diesem Grund sprach nicht nur Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador von einem Bruch des Völkerrechts. Auch der Uno-Generalsekretär Antonio Guterres mahnte, das «fundamentale Prinzip» der diplomatischen Unverletzlichkeit müsse beachtet werden.
Die Vorrechte von Diplomaten und ihren Einrichtungen gehören zu den ältesten Spezialgebieten des Völkerrechts. Sie gehen sogar bis in die Antike zurück und sollen das Funktionieren zwischenstaatlicher Beziehungen ermöglichen. Oft wird angenommen, bei einer Botschaft handle es sich um Gebiet des jeweiligen fremden Staates – man befinde sich also eigentlich in der mexikanischen Botschaft in Quito in Mexiko und nicht in Ecuador. Diese sogenannte Exterritorialitätstheorie galt tatsächlich im 16. und 17. Jahrhundert. Heute geht es aber «nur» um eine Ausnahme der Anwendung von innerstaatlichem Recht auf dem entsprechenden Gebiet und gegenüber den Diplomaten.
Die Unverletzlichkeit einer Botschaft ist absolut, und der Empfangsstaat hat auch die Pflicht, diese zu schützen. Das gilt auch dann, wenn die Mission einer strafrechtlich verfolgten Person Zuflucht gewährt – obwohl das im Diplomatenrechtsübereinkommen nicht aufgelistet ist als Aufgabe einer Botschaft.
Zwar hält die Konvention fest, dass die diplomatischen Räumlichkeiten nicht für Zwecke benutzt werden dürfen, die unvereinbar sind mit völkerrechtlichen oder bilateralen Regeln. Selbst bei einem Missbrauch ist ein Zugriff auf die Botschaft eines fremden Staats aber nicht zulässig, weil die Diplomatenrechtskonvention ein «self-contained regime» ist, wie der Internationale Gerichtshof (IGH) 1980 im Teheraner Geisel-Fall entschieden hat. Das heisst, es dürfen nur Massnahmen ergriffen werden, die das Übereinkommen selbst vorsieht.
Dennoch gibt es kein offizielles «Botschaftsasyl», sondern es darf nur vorübergehend Zuflucht zum Schutz vor unmittelbarer Bedrohung gewährt werden. «Vorübergehend» kann aber durchaus lange sein: Der regimekritische ungarische Kardinal Jozsef Mindszenty floh 1956 nach dem Einmarsch der Roten Armee in Budapest in die amerikanische Botschaft, wo er 15 Jahre verblieb.
Auch Assange erhielt Zuflucht – ausgerechnet von Ecuador
Auch der Wikileaks-Gründer Julian Assange lebte fast sieben Jahre ausgerechnet in der ecuadorianischen Botschaft in London, nachdem 2012 die Berufung gegen seine Auslieferung nach Schweden wegen des Vorwurfs der Vergewaltigung abgewiesen worden war. 2019 wurde er dort festgenommen, aber Ecuador hatte die Polizei in die Botschaft eingeladen. Nach einer Reihe von Streitigkeiten mit den Behörden hatte ihm Quito den Schutz zuvor wieder entzogen. Andernfalls hätte es sich um einen Verstoss gegen die Unverletzlichkeit der Mission gehandelt.
Der Fall Assange macht es für Ecuador schwierig, Mexiko nun einen Missbrauch der Botschaft vorzuwerfen – zumal sich in Lateinamerika ein regionales Völkergewohnheitsrecht der Gewährung von diplomatischem Asyl herausgebildet hat. In diversen Übereinkommen wurde das Recht von Staaten, in ihren Botschaften Schutz zu gewähren, explizit festgehalten.
Das jüngste Abkommen ist die 1954 in Caracas unterzeichnete Konvention über diplomatisches Asyl, die sowohl Ecuador wie Mexiko ratifiziert haben. Es sieht vor, dass die Vertragsstaaten das Recht haben, Personen diplomatisches Asyl zu gewähren, die aus politischen Gründen oder wegen politischer Straftaten verfolgt werden. Ob eine solche im gegenwärtigen Fall Jorge Glas vorliegt, wird eine der Fragen für den Internationalen Gerichtshof sein, wenn Mexiko tatsächlich wie angekündigt gegen Ecuador eine Klage einreicht. Experten gehen davon aus, dass das Uno-Gericht jedenfalls einen unzulässigen Verstoss gegen die Unverletzlichkeit der Botschaft feststellen wird.
Diese klare Rechtslage ist auch eine Folge des wohl berühmtesten Angriffs auf eine Botschaft, als im November 1979 Studenten, welche die iranische Revolution unterstützten, in die amerikanische Botschaft in Teheran eindrangen und 53 Amerikaner – Diplomaten und gewöhnliche Bürger – als Geiseln nahmen. Die Besetzer verlangten unter anderem die Rückkehr des früheren Schahs Mohammed Reza Pahlevi, der in die USA geflüchtet war und dort Asyl erhielt. Ihr Vorgehen wurde vom Regime von Ayatollah Khomeiny als politische Waffe gegen die USA verwendet.
Nachdem Verhandlungen um die Freilassung der Geiseln misslungen waren, versuchte Präsident Jimmy Carter im April 1980 eine militärische Befreiungsaktion, die aber kläglich scheiterte. Die Geiseln wurden schliesslich nach 444 Tagen gleichzeitig mit der Amtsübernahme von Präsident Ronald Reagan freigelassen.
Israels heikler Angriff auf Irans Botschaft in Damaskus
Auf Antrag der USA verpflichtete der IGH Teheran schon im Dezember 1979, die Geiseln freizulassen und ihnen «ihre Privilegien und Immunitäten» wieder zu gewähren, auf die sie nach allgemeinem Völkerrecht Anspruch hätten. Im Sachurteil vom Mai 1980 nahm das Uno-Gericht dann umfassend zur diplomatischen Immunität Stellung und hielt fest, dass die Untätigkeit des iranischen Regimes gegen die Besetzer ein «klarer und ernsthafter» Verstoss gegen die Unverletzlichkeit der Botschaft war.
Dennoch wird dieses Prinzip immer wieder missachtet. Erst vor zwei Wochen wurde bei einem Luftangriff ein Gebäude auf dem Komplex der iranischen Botschaft in Damaskus getroffen. Der Schlag wird Israel zugeschrieben, auch von den USA. Sieben Offiziere der Revolutionsgarden wurden dabei getötet, unter ihnen zwei Generäle. Auch dieser Angriff gilt als Tabubruch, obwohl das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen lediglich den Empfangsstaat zum Schutz der Botschaft verpflichtet – in diesem Fall also Syrien – und nicht Israel.