In einem Wahrnehmungsbericht stand, dass ein Beamter der Stadtpolizei Zürich wegen einer Parkbusse von einem Automobilisten tätlich angegriffen worden sei. Das entsprach aber nicht den Tatsachen.
Es war ein Disput um eine Parkbusse von 40 Franken zwischen einem Automobilisten und drei Mitarbeitern des Polizeilichen Assistenzdienstes (PAD) der Stadtpolizei Zürich, der «völlig ausgeartet» sein muss.
Der Vorfall trug sich schon im Oktober 2018 im Zürcher Kreis 1 zu. Fünfeinhalb Jahre später muss sich nun ein inzwischen pensionierter 65-jähriger Sachbearbeiter PAD wegen falscher Anschuldigung vor Bezirksgericht Zürich verantworten.
Der Automobilist war nach dem Vorfall wegen Beschimpfung und Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte angeklagt worden. Das Obergericht sprach ihn aber zweitinstanzlich in dubio pro reo frei, was rechtskräftig ist. Danach drehte der Automobilist den Spiess um und verzeigte den PAD-Mitarbeiter wegen falscher Anschuldigung. Dies verband er ursprünglich auch noch mit einer Geldforderung von 20 000 Franken.
Wahrnehmungsbericht im «Polis»
In der Gerichtsverhandlung vor Bezirksgericht Zürich wird dem 65-Jährigen in der Anklage konkret vorgeworfen, er habe im Oktober 2018 im internen polizeilichen Informationssystem Polis einen Wahrnehmungsbericht verfasst, in dem stand, dass er vom Automobilisten gestossen, also tätlich angegangen worden sei. Der Beschuldigte sei sich dabei aber absolut bewusst gewesen, dass dies nicht stimmte.
Wichtig ist: Der Beamte nahm diese Anschuldigung bereits vor Jahren in der ersten Befragung zum Strafverfahren gegen den Automobilisten von sich aus zurück. Es handle sich um einen Fehler im Bericht. Der angebliche Stoss fand deshalb gar keinen Eingang in die Anklage gegen den Automobilisten.
Im Wahrnehmungsbericht steht unter anderem wörtlich: «Darauf drehte er (der Automobilist) sich wütend gegen mich und schrie: ‹Dir gebe ich gar nichts, du Hurensohn!› Stiess mich mit der linken Hand gegen die Brust und machte mit der rechten Faust eine Ausholbewegung zum Schlag. Ich hatte grosse Angst, dass er mich ins Gesicht schlagen würde, und machte einen Schritt zurück.»
Der 65-Jährige erklärt im Gerichtssaal, er sei unschuldig, er habe den Wahrnehmungsbericht nicht geschrieben und so etwas auch nie gesagt. «Wir sind nur Zweitklasse-Polizisten, die unsere kleinen Jobs machen», sagt er, «Bussen verteilen und den Verkehr winken.» Er habe in 24 Jahren bei der Stadtpolizei nie einen Wahrnehmungsbericht oder einen Rapport über ein Vergehen geschrieben und sei auch nicht darin ausgebildet worden.
Unbestritten ist, dass auf Grundlage des Wahrnehmungsberichts eine Stadtpolizei-Detektivin den Rapport erstellte, der zum Strafantrag führte.
Dass der Wahrnehmungsbericht im System Polis unter seinen persönlichen Log-in-Daten erstellt wurde, könne er sich nur damit erklären, dass er der fallführenden Detektivin möglicherweise seine Log-in-Daten gegeben habe, sagt der Beschuldigte vor Gericht. Er und seine zwei Kolleginnen seien damals geschockt gewesen darüber, wie der Automobilist wegen einer 40-Franken-Busse derart ausfällig habe werden können. Sie hätten die Polizei verständigt. Diese sei aber zu spät gekommen. Der Automobilist sei geflüchtet.
Er sei mit den Kolleginnen auf die Hauptwache beordert worden. Dort hätten sie die Sache zu dritt geschildert. Das sei chaotisch gewesen. Es sei im Bericht nicht festgehalten worden, wer genau was gesagt habe. Es sei möglich, dass die Detektivin etwas falsch interpretiert habe. Erst später, bei der ersten Einvernahme im Strafverfahren, habe er gesehen, was im Wahrnehmungsbericht stand, und habe das von sich aus sofort richtiggestellt.
Bei der Strafanzeige handle es sich um eine Gegenattacke des Automobilisten als Racheakt. Der Staatsanwalt, der nicht im Prozess anwesend sein muss, beantragt eine bedingte Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 80 Franken bei einer Probezeit von zwei Jahren sowie 2400 Franken Busse. Die Forderung des Automobilisten wurde kurz vor dem Prozess gegen den PAD-Mitarbeiter unter Vorbehalt der Geltendmachung in einem separaten Zivilverfahren zurückgezogen. Der Verteidiger plädiert für einen vollumfänglichen Freispruch.
Falsche Angaben in einem polizeilichen Dokument
Die Einzelrichterin erklärt dem Beschuldigten bei der Urteilseröffnung zwar, dass nach ihrer Ansicht das Strafverfahren gegen den Automobilisten – entgegen dem Obergerichtsurteil – völlig gerechtfertigt gewesen sei und dass sie Verständnis für den schwierigen Arbeitsalltag der PAD-Mitarbeiter habe. Es sei aber klar, dass nur er der Verfasser des falschen Wahrnehmungsberichts sein könne.
Auch der Rechtsdienst der Stadtpolizei habe festgehalten, dass er der Ersteller gewesen sei. Es sei nicht ersichtlich, wie jemand anders mit seinem Log-in das hätte machen sollen. Im Bericht stehe zum Beispiel auch: «Der Schreibende war unterwegs mit seinen beiden Kolleginnen.» Als Mitarbeiter des PAD geniesse er eine erhöhte Vertrauensstellung, und die falschen Angaben seien direkt auf ein polizeiliches Dokument angebracht worden.
Deshalb spricht sie ihn der falschen Anschuldigung schuldig, belegt ihn aber mit einer deutlich milderen Strafe als vom Staatsanwalt gefordert, nämlich 30 Tagessätzen à 80 Franken bedingt. Auf eine Verbindungsbusse wird verzichtet.
Urteil GG230228 vom 11. 4. 2024, noch nicht rechtskräftig.