Schnäppchen aus China werden in den USA bald teurer. Präsident Trump schliesst ein Schlupfloch, von dem Händler aus China profitieren – und stellt damit deren Geschäftsmodell infrage.
5 Dollar für ein Sommerkleid, 2 Dollar für eine Handyhülle, 79 Cent für Haargummis. Wer sich bei Temu schon einmal durch das Angebot geklickt hat, weiss: Es ist lächerlich billig. Zudem liefern die Chinesen die Bestellung direkt und zügig an die eigene Haustüre. So geht «made in China» heute.
Damit ist es nun vorbei, zumindest für die amerikanischen Kundinnen und Kunden. Und der Spielverderber heisst einmal mehr Donald Trump.
Die Meldung ging in seiner Zolltirade beinahe unter. Doch ganz nebenbei hat Präsident Trump am Mittwoch eine Verordnung unterschrieben, die eine jahrzehntealte Regelung aufhebt: die sogenannte De-minimis-Klausel. Sie diente den chinesischen Billigshops bisher als Schlupfloch, weil sie ihnen erlaubte, Waren bis zu einem Wert von 800 Dollar zollfrei in die USA zu schicken. Ab dem 2. Mai ist damit Schluss.
Künftig fallen auf sämtliche Lieferungen aus China und Hongkong mindestens 30 Prozent Zoll oder pauschal 25 Dollar pro Artikel an. Per Juni soll der Pauschalsatz auf 50 Dollar pro Artikel steigen. Wann der Zoll den Prozentsatz und wann er einen Fixbetrag verrechnen wird, bleibt offen. Das Weisse Haus schreibt dazu in seiner Mitteilung nichts.
Was klingt wie ein bürokratisches Detail, ist in Wirklichkeit ein Angriff auf das Geschäftsmodell von Plattformen wie Temu oder dem Billigmode-Hersteller Shein. Sie leben davon, ihre Produkte in Unmengen von Einzelsendungen in die Welt zu schicken. Ökologisch ist das ein Irrsinn, preispolitisch ziemlich clever. Nirgends ist Einkaufen derzeit günstiger als in den chinesischen Onlineshops.
Die Konsumenten haben das natürlich längst kapiert, allen voran die Amerikaner. Im Jahr 2024 wurden 1,4 Milliarden Pakete in die USA geschickt, die unter die 800-Dollar-Grenze fielen. 60 Prozent davon stammten aus China.
Nach Trumps Erlass dürfte sich dieses Verhältnis verändern. Was Temu und Shein davon halten, war nicht zu erfahren. Bei ihren Pressestellen hiess es einzig: kein Kommentar.
Plattformen passen ihre Strategie an
Einer, der die Entwicklung genau beobachtet, ist der niederländische China-Experte Ed Sander. Er sagt: «Wir sind in eine neue Ära eingetreten, in der China nicht mehr von den alten Gesetzen profitiert.»
Sander, der als Analyst für das Medienunternehmen Tech Buzz China arbeitet, begleitet Temu seit dessen Start im Jahr 2022. Seither habe sich gezeigt, dass das Unternehmen «unglaublich wandlungsfähig» sei, sagt Sander. Trotzdem sei klar: «Die Preise für die Konsumenten werden steigen.»
Wie sich das auf die Nachfrage auswirkt, ist derzeit unklar. Temu hat aber bereits den Wert seiner Umsatzprognose für 2025 von 100 auf 80 Milliarden Dollar gesenkt. Auch der Zeitpunkt, ab dem das Unternehmen in Nordamerika keine Verluste mehr schreibt, verschiebt sich laut Sander von 2025 auf 2026.
Doch das Unternehmen ist daran, seine Strategie anzupassen. Derzeit baut es seine Logistik um: Statt jedes Paket einzeln zu verschicken, setzt Temu vermehrt auf Lagerhäuser in den jeweiligen Ländern. Dafür werden die Waren gebündelt aus China importiert und erst am definitiven Standort auf einzelne Pakete verteilt.
Zwar fallen auch nach diesem Prinzip beim Import der Waren Zölle an. Für Sander spielt das aber eine untergeordnete Rolle. Denn die Amerikaner kaufen bei Temu im Schnitt für 43 Dollar, bei Shein für 80 Dollar ein. «Temu bleibt günstiger als viele andere Anbieter.»
Entscheidender sei, dass die zusätzliche Zeit, die der Zoll für die Abfertigung der Waren brauche, durch kürzere Distanzen am Ende der Lieferkette kompensiert werde. Laut dem Weissen Haus winkt der amerikanische Zoll täglich mehr als 4 Millionen De-minimis-Sendungen durch. Unter der neuen Regelung müssten diese theoretisch alle kontrolliert werden.
Einen anderen Weg geht Shein: Der Hersteller von Ultra-Fast Fashion verlagert derzeit Teile seiner Produktion nach Vietnam, Brasilien und in die Türkei. Auch das ist ein Weg, um unabhängig vom chinesischen Versand zu werden.
Ed Sander glaubt, dass Temu und Shein trotz den neuen Zöllen wettbewerbsfähig bleiben werden. Schliesslich wird die De-minimis-Regelung für sämtliche Einfuhren aus China abgeschafft. Betroffen sind auch amerikanische Händler wie Etsy, Ebay und Amazon, das als Antwort auf Temu erst gerade eine Abteilung für günstige, in China hergestellte Produkte gegründet hat.
Offizieller Grund: Opioidkrise
Schon im Februar hatte Donald Trump versucht, die De-minimis-Regelung auf dem Verordnungsweg zu kippen. Er nahm die Massnahme aber rasch wieder zurück, nachdem klargeworden war, dass die Zollbehörden gar nicht über die nötigen Ressourcen verfügten, um die vielen zusätzlichen Pakete zu kontrollieren. Beim zweiten Mal will er ihnen für die Vorbereitung mehr Zeit einräumen.
Glaubt man Trump, geht es ihm sowieso um eine andere Sache. Offiziell will er mit der Verordnung nämlich die Opioidkrise in den USA bekämpfen. Angeblich nutzen Kriminelle aus China und anderen Ländern die Regelung zum zollfreien Versand dafür, um Rohstoffe zur Drogenherstellung in die USA zu schmuggeln. Die Belege dafür bleiben vage, Peking weist die Vorwürfe zurück.
Eingeführt wurde die De-minimis-Regelung vor fast hundert Jahren, um den Zoll zu entlasten. Waren mit einem tiefen Wert sollten zollfrei eingeführt werden können, so die Idee. Sie überzeugte auch dann noch, als der internationale Postversand aufkam. Der Freibetrag lag lange bei 200 Dollar, 2016 hob ihn der damalige Präsident Barack Obama auf 800 Dollar an.
Für Plattformen wie Alibaba oder Wish und später Temu oder Shein war das ein Geschenk. Laut einem Bericht des Congressional Research Service exportierte China im Jahr 2018 unter der De-minimis-Regelung Pakete im Wert von 5,3 Milliarden Dollar in die USA. Fünf Jahre später waren es schon 66 Milliarden.
Die Ironie der Geschichte
Für den China-Experten Ed Sander stellt sich nun die Frage, ob andere Länder den USA folgen und ihre Schlupflöcher abschaffen werden. In der Schweiz liegt die Freigrenze bei Importen per Postversand bei 62 Franken. Waren mit einem Wert darunter sind zoll- und abgabenfrei. In Europa liegt die Grenze vielerorts bei 150 Euro.
Bereits laufen Diskussionen, die Beträge herabzusetzen oder abzuschaffen. In Deutschland kommen laut Schätzungen jeden Tag 400 000 Sendungen aus China über die Grenze. Angesichts der schieren Masse von Paketen ist ein Umdenken eine Frage der Zeit.
Die amerikanische Regierung feiert indes die Abschaffung der De-minimis-Regelung. Donald Trump sprach von einem Sieg für die «amerikanischen Arbeiter» und einem Schlag gegen «unfaire Handelspraktiken».
Tatsächlich bringt seine Verordnung dem Staat neue Einnahmen. Und eine genauere Statistik: Was früher unter der 800-Dollar-Grenze durchrutschte, wird künftig offiziell erfasst. Die Ironie der Geschichte: Damit wird das Handelsbilanzdefizit mit China zunehmen. Genau das, was Trump in erster Linie bekämpfen wollte.