Über drei brisante Fälle wird Thailands Verfassungsgericht in den kommenden Wochen entscheiden. Der einstige Tigerstaat steht in Südostasien für eine Welt von gestern.
Die Thailänder blickten Anfang Woche gebannt auf ihr Verfassungsgericht. Die Richter hatten sich mit drei Fällen zu beschäftigen, die für die thailändische Politik zukunftsweisend sind: Darf der Regierungschef Srettha Thavisin im Amt bleiben? Muss der einstige Regierungschef Thaksin Shinawatra, der nach seiner Rückkehr aus dem Exil im Hintergrund die Fäden in der Tagespolitik zieht, ins Gefängnis? Wird mit der Partei Move Forward die Gewinnerin der Wahl im Mai vergangenen Jahres verboten? Die Urteile werden im Juli und im August verkündet.
Es gibt in allen drei Fällen begründete Vermutungen: Srettha dürfte mangels Alternativen im Amt bleiben, obwohl er gegen die Verfassung verstiess, als er einen bereits vorbestraften Berater ins Kabinett holte. Thaksin werden die Richter trotz dem Vorwurf der Majestätsbeleidigung zunächst nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilen, sie werden versuchen, ihn stattdessen an der kurzen Leine zu halten. Und Move Forward wird wegen des konstruierten Vorwurfs, die konstitutionelle Monarchie unterwandern zu wollen, verboten werden.
Die Partei ist in Thailand wegen ihres Reformwillens populär, führt in den Umfragen und ist damit eine Gefahr für das Militär und die Monarchie, also für das konservative Establishment. Dessen Vertreter haben an Reformen kein Interesse. Sie dominieren Branchen, in denen sie keine Konkurrenz zulassen wollen, was ihnen hohe Gewinne beschert. Eines der Versprechen von Move Forward ist jedoch, die Macht dieser wenigen Grossunternehmen zu brechen.
Parteienverbote haben in Thailand Tradition. Parteien werden verboten, um dann unter neuem Namen wieder anzutreten. So dürfte auch Move Forward verfahren. Die Unbekannte ist jedoch, wie die Thailänder auf das Verbot reagieren werden: Kommt es zu Protesten, die das Land zum Stillstand bringen? Oder haben sie resigniert und die Hoffnung auf Reformen und ein Ende des konservativen Establishments aufgegeben?
Die Unsicherheit lähmt ein Land, das einst ein Tigerstaat war: Thailands Wirtschaft wuchs in den Boomjahren zwischen 1960 und 1996 jährlich um durchschnittlich 7,5 Prozent; auch nach der asiatischen Finanzkrise von 1997/98 legte das Land um 5 Prozent pro Jahr zu. Inzwischen ist Thailand aber zum Sorgenkind Südostasiens geworden. Die Weltbank schätzt, dass in der Region nur das zerrüttete Myanmar noch schwächer wachsen wird als Thailand.
Thailands Probleme sind hausgemacht, denn die Politik dreht sich seit 2006, als das Militär Thaksins Regierung aus dem Amt trieb, im Kreis. Die Konservativen bestimmen den politischen und wirtschaftlichen Kurs, ohne jedoch Wahlen zu gewinnen und Reformen zu wollen. Und die Parteien, die Wahlen gewinnen und reformieren wollen, werden aus dem Amt geputscht und verboten. Diese Instabilität verunsichert Investoren.
Die Region gewinnt wegen des amerikanisch-chinesischen Konflikts für internationale Konzerne, die nach Alternativen zum Produktionsstandort China suchen, an Bedeutung. Bisher galt Vietnam als Liebling der Investoren. Korruptionsskandale in der Kommunistischen Partei sorgen jedoch für Unruhe unter den ausländischen Firmen. Malaysia ist zwar ein wichtiger Standort für die Produzenten von Halbleitern. Aber auch dort leiden die Investoren unter Korruption und einer Regierung, die instabil ist. Und Indonesiens neuer Präsident Prabowo Subianto muss ab Oktober erst zeigen, welchen Kurs er einschlagen wird.
Die Chancen für Thailand stünden somit gut, um sich zu positionieren. Dafür braucht das Land jedoch politische Stabilität und den Willen, wirtschaftliche Reformen wie die Beschränkung der Macht von Grossunternehmen durchzusetzen. Stattdessen lähmen die selbsternannten Patrioten ihr Land. Südostasiens einstiger Tiger ist zum Kätzchen mutiert.