Das Abrahamic Family House besteht aus einer Synagoge, einer Moschee und einer Kirche. Die drei vom britisch-ghanaischen Architekten David Adjaye realisierten Gotteshäuser sind ein Plädoyer für religiöse Toleranz.
Das gleissende Licht der Wüste dringt unterschiedlich gefiltert in die Innenräume der drei neuen Gotteshäuser in Abu Dhabi: Hinter den sieben schlanken Spitzbögen der Al-Tayeb-Moschee sind die Glaswände mit dem typisch arabischen Gitterwerk der Mashrabiya versehen. Die geneigten Pfeiler der Moses-ben-Maimon-Synagoge sollen an die Konstruktion der Sukka des jüdischen Laubhüttenfests erinnern, während ein herabhängendes filigranes Bronzegewebe den Innenraum prägt. Bei der von vertikalen Pfeilern umgebenen St.-Franziskus-Kirche sind es herabhängende Holzlatten, die dem Inneren eine kirchenschiffartige Anmutung verleihen.
Auf der Kulturinsel von Abu Dhabi hat nun die Verwandtschaft der drei monotheistischen Religionen ihren baulichen Ausdruck gefunden: Am 1. März 2023 wurde das Abrahamic Family House eingeweiht. Die Synagoge, die Kirche und die Moschee sind Gotteshäuser derjenigen Religionen, die sich auf den Stammvater Abraham oder Ibrahim beziehen.
Anlass für das Projekt war das Zusammentreffen von Papst Franziskus und dem sunnitischen Islamgelehrten und Grossimam Scheich Ahmed al-Tayeb am 4. Februar 2019. Damals wurde das auch als Erklärung von Abu Dhabi bekannte «Dokument über die Brüderlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt» verabschiedet.
Das Dokument ist nicht nur ein unter Hardlinern der jeweiligen Konfessionen umstrittenes Plädoyer für Toleranz und interreligiösen Dialog. Es kann auch als Zeichen für eine Neupositionierung der Emirate in Religionsfragen gelesen werden – gerade gegenüber dem mächtigen Nachbarn Saudiarabien, in dem Judentum und Christentum weiter verboten sind. Die Friedensabkommen mit Israel, welche die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain 2020 schlossen, sind weitere Zeichen des Aufbruchs.
Treibende Kraft hinter dem Haus der abrahamitischen Religionen, das nach Wettbewerbsgewinn 2019 von dem britisch-ghanaischen Architekten David Adjaye realisiert wurde, war das Herrscherhaus. Es finanzierte nicht nur den Bau, sondern kommt auch für den Betrieb des Projekts auf. Mohammed bin Zayed Al Nahyan, der heutige Herrscher von Abu Dhabi und zugleich Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate, überraschte bereits Anfang 2007 die Weltöffentlichkeit mit dem Plan, auf der Westspitze der Insel Saadiyat ein Kulturzentrum der Superlative zu errichten.
Für die Einzelbauten waren Stars der internationalen Architekturszene vorgesehen: Frank O. Gehry für einen Ableger des Guggenheim-Museums, Jean Nouvel für ein Kunstmuseum, Tadao Ando für ein Meeresmuseum und Zaha Hadid für einen Konzert- und Theaterkomplex. Das Projekt war visionär, weil es auf Kultur als Standortfaktor setzte. Das ist wichtig für das Image des Landes, denn das Versiegen der Petrodollars ist absehbar. Zudem machte das Nachbarland Dubai zu dieser Zeit durch die künstlichen Immobilienparadiese in Palmenform aufgeschütteter Inseln von sich reden.
Die globale Finanzkrise der Folgejahre blieb indes auch für die wirtschaftliche Basis der Emirate nicht folgenlos, und so war Jean Nouvels Louvre Abu Dhabi von Wüstensand und Meer und nicht von weiteren Baustellen umgeben, als er 2017 seine Pforten öffnete.
Andere Perspektiven
Doch präsentiert sich ein komplett anderes Bild, wenn man sich heute von der Innenstadt Abu Dhabis aus über die zehnspurige und anderthalb Kilometer lange Scheich-Khalifa-Brücke der Kulturinsel Saadiyat nähert. Seitlich des Louvre Abu Dhabi, mit seiner gewaltigen durchbrochenen Kuppel über weissen Ausstellungskuben längst zur Architekturikone des Emirats geworden, sind weitere Grossbaustellen nicht zu übersehen.
Nördlich des Louvre entsteht das Guggenheim-Museum von Gehry, etwas landeinwärts mit wagemutig in den Himmel ragenden Dachkonstruktionen das Nationalmuseum von Norman Foster; ausserdem ist nahe dem Brückenkopf das Naturhistorische Museum nach Plänen des niederländischen Architekturbüros Mecanoo im Bau.
Das ambitionierte Projekt der Kulturinsel ist gerade in Europa auf ein geteiltes Echo gestossen. Dabei paaren sich berechtigte Skepsis gegenüber der autokratischen Staatsform der Emirate mit undifferenzierter Islamkritik und westlicher Herablassung. Ein Besuch im Louvre Abu Dhabi aber lehrt, dass hier nicht mit viel Geld ein kulturelles Vakuum kompensiert wurde. Dem Architekten aus Paris ist eine beeindruckende Mélange arabischer und westlicher Architekturvorstellungen gelungen.
Und die sehenswerte, im Grossen und Ganzen chronologisch aufgebaute Dauerausstellung zeigt sich gerade für europäische Besucher lehrreich, weil sie nicht zuletzt dank zahlreichen Exponaten aus dem arabischen Raum kulturübergreifend angelegt ist und damit andere Perspektiven eröffnet als die im Westen gewohnten.
Zeichenhafte Räume
In einem der Räume des Louvre Abu Dhabi finden sich drei kunstvoll gefertigte Schriftstücke: eine jemenitische Tora, eine gotische Bibel aus Frankreich und ein Koran aus Damaskus. Die Verwandtschaft der drei monotheistischen Religionen ist hier anhand der konstitutiven Texte im Kleinen veranschaulicht.
Im Grossen tritt das religiöse Dreigespann nun auf der Kulturinsel in Gestalt der drei Gotteshäuser in Erscheinung: Es sind drei gleich grosse Würfel von jeweils 30 Metern Kantenlänge, erstellt aus hellem Beton in leicht gebrochenem Weiss sowie Kalkstein. Ihre Ausrichtung variiert: Die Synagoge ist Richtung Jerusalem orientiert, die Kirche nach Osten, die Moschee nach Mekka.
Adjaye hat monumentale, zeichenhafte Räume entworfen, zeitgemäss, in ihrer Materialität reduziert und doch atmosphärisch dicht. Die Verwandtschaft der Bauten wird auch körperlich spürbar, und das nicht nur aufgrund gleicher Proportionen und gleicher Materialisierung.
Die drei Gotteshäuser sind integriert in einen 6 Meter hohen Sockel von 120 mal 180 Metern Grundfläche. Dieser dient als Zugang und fungiert überdies als Besucherzentrum und Lernort. Die drei würfelförmigen Gebäude dienen dem Gottesdienst, selbst wenn sie nicht von Gemeinden errichtet wurden. Etwa 3000 Juden leben beispielsweise in den Emiraten, vor allem Expats, die hier Arbeit gefunden haben. Vor allem aber versteht sich das Abrahamic Family House als ein Bildungsort, und es ist ja auch kein Zufall, dass es seinen Platz im Kontext des Kulturdistrikts von Saadiyat gefunden hat.
Das Verbindende der drei monotheistischen Religionen steht hier im Zentrum. Über die interreligiösen, aber auch die innerislamischen Konflikte erfährt man vor Ort nichts. Das liesse sich ebenso kritisieren wie die Tatsache, dass man eher auf die traditionellen Ausprägungen der Religionen setzte. So wurde in der Synagoge ein orthodoxer Rabbiner angestellt, und für die Kirche kam die Beratung vom Vatikan. Die Moschee untersteht selbstredend der Aufsicht der staatlichen Religionsbehörde.
Dennoch ist das Abrahamic Family House als ein Zeichen der Hoffnung zu werten, das vor wenigen Jahren so hier noch nicht denkbar gewesen wäre. Der Hoffnung darauf, dass wenn nicht ein Miteinander, so doch zumindest ein friedvolles Nebeneinander der Religionen in der Region möglich ist.