Die Zollpolitik von Donald Trump hat die globalen Finanzmärkte in einen Schockzustand versetzt. Wie geht es jetzt weiter? The Market präsentiert drei Szenarien.
Auch drei Handelstage nach der Ankündigung umfassender Importzölle durch die US-Regierung am 2. April sind die globalen Finanzmärkte immer noch in Aufruhr. Aktienindizes wie der S&P 500 in den USA, der Hang Seng in Hongkong oder der Stoxx Europe 600 haben einen Einbruch von 15% und mehr erlitten.
Am Montag war der Handel an Wallstreet von einem wilden Hin und Her geprägt. S&P 500 und Nasdaq 100 notierten abwechslungsweise mit Gewinnen und deutlichen Verlusten – und gingen schliesslich kaum verändert aus dem Handel.
Markante Bewegungen auch am Bondmarkt: Die Rendite zehnjähriger Treasury Notes war am Freitag auf 3,95% gefallen, stieg am Montag aber wieder um 20 Basispunkte auf 4,15%. Die Rendite zweijähriger Treasuries stieg am Montag auf 3,72%.
Diese Bewegungen sind Ausdruck erheblicher Ungewissheit unter den Investoren. Die Märkte bekunden Mühe, das breite Spektrum an Szenarien einzupreisen, das sich vor ihnen präsentiert. Dabei hilft es nicht, dass zum Teil widersprüchliche Informationen aus dem Umkreis des amerikanischen Präsidenten zur Frage an die Märkte gelangen, wie es mit den Zöllen weitergehen soll.
Fest steht bislang: Die pauschalen Importzölle von 10% auf Einfuhren aus allen Ländern stehen seit dem 5. April in Kraft. Die individuellen, «reziproken» Zölle gegen einzelne Länder sollen ab dem 9. April gelten.
Doch wie geht es danach weiter? Drei Hauptszenarien bieten sich an: eine Rezession in den USA; ein globaler Handelskrieg und eine weltweite Rezession; eine Entspannung.
Szenario 1: Rezession in den USA
Im Zeitraum der vergangenen zwei Monate, in denen Donald Trump seine Politik der Importzölle laufend verschärft hat, ist die Stimmung unter den Konsumenten und Unternehmen in den USA markant gesunken. Die unabhängig voneinander erhobenen Indizes des Konsumentenvertrauens der Universität Michigan und der Forschungsanstalt Conference Board sind eingebrochen. Auch der vom Chief Executive Magazine erhobene Index des Vertrauens der Unternehmens-CEO hat deutlich gelitten:
Der GDPNow-Echtzeitindikator der Fed-Distriktnotenbank Atlanta signalisiert für das erste Quartal einen Rückgang der realen Wirtschaftsleistung um knapp 1% (adjustiert um Goldimporte der USA).
Diverse Banken wie beispielsweise JPMorgan warnen vor einer signifikant erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Rezession.
Doch was würde eine Rezession der US-Wirtschaft für den amerikanischen Aktienmarkt bedeuten?
Vereinfacht gesagt liegt das Problem in den Unternehmensgewinnen. Gemäss einer Studie von Goldman Sachs sind die Gewinne der Unternehmen im S&P 500 in den zwölf Rezessionen seit dem Zweiten Weltkrieg im Median um 11% gesunken (dunkelblaue Balken in der untenstehenden Grafik). Den grössten Rückgang erlitten die Unternehmensgewinne mit einem Minus von 45% in der Rezession von 2008, die von einer systemischen Finanzkrise begleitet war.
Angenommen, es droht in der Folge der Trump’schen Zollpolitik tatsächlich eine «normale» Rezession, in deren Verlauf die Unternehmensgewinne in den USA um 10% sinken: Was wären die Folgen für den Aktienmarkt?
Einen Anhaltspunkt liefert die folgende Matrix. Einige Erklärungen dazu:
- Im Kalenderjahr 2024 erzielten die Unternehmen im S&P 500 auf aggregierter Basis einen Gewinn von 247 $ je Aktie (mittlere Spalte).
- Der «Bottom-up»-Konsens der Analysten sieht für 2025 ein Gewinnwachstum auf 269 $ je Aktie vor (linke Spalte).
- Im Szenario einer Rezession mit einem «normalen» Gewinnrückgang von 10% würden die Unternehmensgewinne auf 222 $ je Aktie sinken (rechte Spalte).
Sollte nun das Szenario einer Rezession eintreten, in deren Verlauf die Unternehmensgewinne im S&P 500 auf 222 $ je Aktie sinken, und sollte in diesem Szenario das Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 wegen erhöhter Unsicherheit unter den Investoren auf 18 sinken, dann würde ein Indexstand von 3996 resultieren. Das wäre nochmals gut 20% unter dem gegenwärtigen Niveau.
Aus diesen Überlegungen wird klar, weshalb die Frage für den S&P 500 so wichtig ist, ob die US-Wirtschaft in eine Rezession fällt oder nicht.
Szenario 2: Globaler Handelskrieg, globale Rezession
Die Konjunktur in Europa und in China hat bis zum Zollhammer der US-Regierung in den vergangenen Monaten Signale einer leichten Erholung gezeigt. Die Einkaufsmanagerindizes des europäischen Industriesektors beispielsweise nähern sich allmählich der Expansionsschwelle von 50.
Doch die Trump-Zölle bedrohen nun diese Erholung. Deshalb wird es relevant sein, wie andere Länder auf die Importzölle der USA reagieren. Werden sie Gegenmassnahmen beschliessen oder nicht? Und werden sie die eigene Wirtschaft stützen oder nicht?
Diese Fragen werden entscheidenden Einfluss darauf haben, ob aus einer Rezession in den USA eine globale Krise wird.
Die Regierung der Volksrepublik China hat bereits Gegenzölle von 34% auf allen Importen aus den USA beschlossen, gültig ab dem 10. April. Donald Trump wiederum hat am Montag gedroht, als Gegenmassnahme zur Gegenmassnahme die US-Zölle auf Einfuhren aus China um weitere 50% zu erhöhen. Damit droht eine Eskalationsspirale, die die beiden weltgrössten Volkswirtschaften hart treffen könnte – und aus der keine Seite aussteigen kann, ohne innenpolitisch das Gesicht zu verlieren.
Im schlimmsten Szenario erheben nicht nur China, sondern auch die EU, Japan, Korea und diverse andere Handelspartner Vergeltungszölle gegen die USA: Eine derartige Eskalation führte in den 1930er-Jahren zu einem Einbruch des Welthandels und zur Grossen Depression.
In diesem Szenario würden nicht nur in den USA, sondern weltweit die Unternehmensgewinne sinken – mit entsprechend düsteren Folgen für die Aktienmärkte.
Dieses Szenario liesse sich allerdings abwenden, wenn die meisten Staaten auf Vergeltungsmassnahmen verzichten und wenn sie zudem – besonders in Europa und Asien – ihre fiskalpolitischen Stimulusprogramme erhöhen, um die heimische Wirtschaft zu stützen.
Szenario 3: Entspannung
Das weitaus beste Szenario für die Finanzmärkte liegt in einer Entspannung der Zollpolitik von Trump. Pikanterweise äusserten sich in den vergangenen Tagen mehrere schwergewichtige Stimmen aus der Finanzwelt gegen die Zollpolitik des Präsidenten. Jamie Dimon, CEO von JPMorgan, nannte die Zölle eine Gefahr, weil sie das Wachstum schwächten und die Inflation anheizten.
Die Hedge-Fund-Manager Stan Druckenmiller und Bill Ackman – letzterer ein flammender Unterstützer Trumps – kritisierten die Zölle ebenfalls. Der an Wallstreet hoch angesehene Druckenmiller war einst Chef von Scott Bessent, dem heutigen Finanzminister von Trump. Am Sonntag sagte Druckenmiller öffentlich, er halte Zölle von mehr als 10% für falsch.
Selbst Elon Musk outete sich als Unterstützer des freien Handels und stellte die Idee einer Freihandelszone zwischen Nordamerika und Europa vor. Am Montag teilte Musk auf seiner Plattform X ohne weiteren Kommentar ein Video des Ökonomen Milton Friedman, der am Beispiel eines Bleistifts die Vorzüge der globalen Arbeitsteilung erklärt.
Allerdings sind in den Äusserungen Trumps noch keine Anzeichen zu erkennen, dass diese Stimmen zu ihm vorstossen. Er bedient sich bislang weiterhin einer Rhetorik der «kurzfristigen Schmerzen zum langfristigen Wohl».
Dennoch: Wie könnte eine Entspannung aussehen? Vier Möglichkeiten:
Aufschub: Trump räumt ein, dass die Frist für die «reziproken» Zölle mit einem Inkrafttreten am 9. April zu kurz angesetzt ist. Um Zeit für bilaterale Verhandlungen («Beautiful Deals!») zu lassen, wird das Inkrafttreten der individuellen Zölle um einige Wochen oder Monate aufgeschoben.
Trump feuert Howard Lutnick: Mit der Liste der «reziproken» Zölle gegen unbewohnte Inseln sowie der stumpfsinnigen Berechnungsmethode hat sich die Trump-Regierung vor der Weltöffentlichkeit lächerlich gemacht. Das könnte ein Opfer in der Person von US-Handelsminister Howard Lutnick fordern. Lutnick ist an den Finanzmärkten unbeliebt, weil er in Handelsfragen als einer der grössten Hardliner gilt.
Trump präsentiert Deals: Die US-Regierung führt gemäss eigenen Angaben bereits mit mehreren Dutzend Regierungen bilaterale Gespräche. Vietnam und Taiwan sollen besonders weit sein; beide sollen angeboten haben, ihre Zölle auf US-Importe abzuschaffen. Sollte Trump einen Deal mit Vietnam oder Taiwan abschliessen, der den gegenseitigen Abbau von Zöllen vorsieht, könnten dies als Vorlage für andere Staaten dienen.
Der Kongress diszipliniert Trump: Der republikanische Senator Chuck Grassley (Iowa) hat eine Vorlage in den Senat gebracht, wonach die Trump-Zölle nur für 60 Tage gelten sollen. Für weitere Zollmassnahmen soll, wie in der Verfassung vorgesehen, der Kongress zuständig sein. Die Vorlage bräuchte im Kongress zwar eine Zweidrittelmehrheit, damit sie von Trump nicht per Veto verhindert werden kann. Das ist eine hohe Hürde, aber mehrere Republikaner, selbst Ted Cruz aus Texas, haben bereits ihre Besorgnis geäussert, dass Trump mit seiner Politik unnötig eine Rezession auslösen könnte. Republikanische Kongressmitglieder könnten den Druck auf Trump erhöhen, von einer allzu harten Linie in der Zollpolitik abzuweichen.
Sollte es aus einem dieser Gründe zu einer Entspannung kommen, dürften die Finanzmärkte zumindest kurzfristig mit einem Freudensprung reagieren. Wie das Risk Barometer von The Market zeigt, hat die Stimmung an den Märkten bereits Panikniveau erreicht; das kann ein taktisches Kaufsignal darstellen.
Aber ob es den Märkten gefällt oder nicht; am Ende wird nur eine Person darüber entscheiden, ob es zu einer Entspannung oder zu einer Eskalation samt Rezession kommt: Donald Trump.