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Was bleibt von der populärsten Girlband aller Zeiten?
Es ist der vielleicht berühmteste Lacher der Pop-Geschichte: das freche «Hahaha» zu Beginn des Songs «Wannabe». Wenn der Lacher an einer Party ertönt, gucken sich zig erwachsene Frauen verschwörerisch an, springen auf, beginnen zu singen. «I tell you what I want, what I really, really want» – «Ich sag dir, was ich will, was ich wirklich, wirklich will» – ertönt. Und der Raum füllt sich für einen kurzen Moment mit weiblicher Solidarität.
Der Song «Wannabe» erschien im Sommer 1996. Er war die erste Single der Spice Girls und machte die britische Band weltberühmt. Der Song lief im Radio, auf MTV, in Bars und Klubs weltweit. In 37 Ländern stand das Lied wochenlang zuoberst in den Musikcharts. Und es ist bis heute die meistverkaufte Single einer Girlband überhaupt.
Die Spice Girls begeisterten, weil sie die Idee verkörperten, dass Mädchen frech, laut, schrill sein dürfen. Und dass sie sagen dürfen, was sie wollen, was sie wirklich, wirklich wollen. Der Gedanke war nicht neu, doch die Spice Girls gaben ihm einen neuen Sound und einen Namen. Die Spice Girls hatten knappe, glitzernde Outfits und waren immer etwas unverschämt. Etwa, als sie den damaligen Prinzen Charles trafen und Geri Halliwell («Ginger Spice») sagte: «Sie sind sehr sexy.» Und ihn auf die Wange küsste.
Die einen fanden das inspirierend, die anderen völlig überbewertet. So oder so waren die Spice Girls eine Erscheinung. Bis heute sind sie die erfolgreichste britische Girlband der Geschichte.
Zu fünft gegen die Welt
Die Geschichte der grossen Girlband begann zwei Jahre zuvor, vor genau dreissig Jahren. Und zwar – ja, es ist wahr – mit zwei Männern und einer Idee: Bob und Chris Herbert, Vater und Sohn, sahen eine Lücke in der Musikszene. Es brauche eine weibliche Antwort auf die sehr beliebte britische Boyband Take That, so waren sie überzeugt.
Am 4. März 1994 luden die zwei Manager mit einer Anzeige im Magazin «Stage» zum Casting in London ein, 600 junge Frauen kamen. Ein paar Wochen später waren die fünf Frauen gefunden: Emma Bunton, Geri Halliwell, Victoria Adams (heute Beckham), Melanie Brown und Melanie Chisholm. Die Musikmanager organisierten Gesangsproben, Tanzunterricht, Songwriting-Sessions, sogar Medientraining. Der initiale Name der Band: «Touch».
Zu Ehren des Dreissig-Jahr-Jubiläums der Spice Girls hat die Royal Mail in England fünfzehn Sonderbriefmarken entworfen.
Doch die fünf Frauen fanden das zu fade. Sie wollten «Spice» haben. Und auch sonst kollidierte ihre Vision mit der von Bob und Chris Herbert. Sie wehrten sich gegen das übliche Modell einer Band, bei dem es eine Leadsängerin und Backgroundsängerinnen gab. Sie sahen sich als gleichwertige Mitglieder und teilten die Texte auf. Arbeit und Aufmerksamkeit so schwesterlich zu teilen – das war neu.
Die Band liess ihre Manager sitzen. Sie fand einen neuen, Simon Fuller, der die Vision der fünf Frauen teilte. Von Fuller wurden sie ermutigt, persönliche Stile zu entwickeln. Jede kleidete sich in eigener Manier. Eine geniale Idee, wie sich bei der Veröffentlichung von «Wannabe» herausstellen sollte. Bei den Spice Girls gab es nicht einen Stil, nicht ein Vorbild. Sondern fünf.
Ihre Spitznamen erhielten die Spice Girls von einem Journalisten. Weil dieser zu faul war, sich die Namen der Frauen zu merken, benannte er sie nach ihrem Aussehen. Die Spice Girls machten sich die Namen zu eigen. Aus der damals rothaarigen Geri Halliwell wurde «Ginger Spice», aus der lauten Melanie Brown «Scary Spice», aus der sportlichen Melanie Chisholm «Sporty Spice», aus dem jüngsten Mitglied Emma Bunton «Baby Spice». Und die elegante Victoria Adams wurde zu «Posh Spice». Die Fans identifizierten sich mit dem Spice Girl, das ihnen am ähnlichsten war.
Feminismus for sale
Im Herbst 1996 veröffentlichte die Band ihr Debütalbum «Spice», auch das wurde gross gefeiert. In den Jahren danach folgten Alben Nummer zwei und drei, ein Buch, ein Film, eine Welttournee. Die Fans fanden alles riesig. Doch die Medien waren oft anderer Meinung.
In den Feuilletons äusserten sich Kritiker skeptisch bis abfällig zum Phänomen Spice Girls, bezeichneten die Frauen als «schrille Tussis» und ihre Musik als banal, uninspiriert, oberflächlich. Die NZZ schrieb 1997: «Sexy, selbstbewusst, frech und clever machen die Spice Girls eine Musik, die sich millionenfach verkauft und dennoch nicht der Rede wert ist.» Und: «Rette sich, wer kann.»
Was wahr ist: Die Spice Girls lebten nicht von besonders tiefgründigen Texten oder komplexen Melodien. Ihre Botschaften waren simpel. «Lass dir von Typen nichts gefallen» oder «Setz dich für andere Frauen ein». Doch genau darin lag ihr Erfolg.
Eigentlich verbreiteten die Spice Girls nichts anderes als traditionelle feministische Botschaften wie Chancengleichheit, Unabhängigkeit, weibliche Solidarität. Aber sie taten das auf eine neue und erfrischende Weise. Sie waren laute, coole Vorbilder, die Frauen dazu ermutigten, sich selbst zu sein. Und definierten so den Sound einer jungen Generation, die gehört werden wollte.
Dazu zählte auch, dass sich die spicy Interpretation von Feminismus blendend mit dem Kommerz vertrug. Feministische Aktivistinnen kritisierten das, doch es funktionierte. Die Spice Girls waren nicht nur eine Band, sie waren auch eine Marke. Sie verkauften Merchandise-Artikel und machten Werbung für den Süsswarenhersteller Chupa Chups oder den Getränkehersteller Pepsi. Feminismus for sale.
Die Spice-Girls-Ära markierte den Beginn einer Zeit, in der eine Girlband nach der anderen gegründet wurde. Der zugängliche Feminismus, die sexy Outfits – all das funktionierte auch bei anderen. Bei den Pussycat Dolls, bei Atomic Kitten oder bei Little Mix. Aber auch grosse Solokünstlerinnen wie Billie Eilish, Beyoncé oder Adele sagen, die Spice Girls hätten sie mit ihrer Art inspiriert.
Die Spice Girls verschwanden so schnell, wie sie aufgestiegen waren. Fünf Jahre nach der Veröffentlichung der ersten Single wollten die Girls es solo versuchen. 2007 gab es eine Comeback-Tournee, 2012 eine letzte Show mit allen fünf.
Die Spice Girls haben damals, vor dreissig Jahren, als Girlband die Musikszene ein Stück weiblicher gemacht. Heute macht jede ihr eigenes Ding. Melanie Chisholm ist mit Hits wie «Never Be The Same Again» die Solokarriere gelungen, auch Geri Halliwell singt, und sie schreibt Kinderbücher, Melanie Brown moderiert und war Jurorin bei mehreren Fernsehshows, Emma Bunton ist Schauspielerin und entwirft Kindermode. Und Victoria Beckham, bis heute auch wegen ihres Ehemannes David Beckham das bekannteste Spice Girl, ist Model und Designerin.
Was also bleibt? Ein paar eingängige Lieder, die die Pop-Kultur bis heute prägen. Und ein bisschen Feminismus für alle.
Text: Elena Oberholzer, Bildredaktion: Dario Veréb