Schweizer Unternehmen werden die nächsten Monate stark gefordert sein, und gewisse dürften sogar in Schieflage geraten. Was das für die Politik bedeutet.
Der Frühling symbolisiert wie keine andere Jahreszeit die Erneuerung, den Aufbruch. Doch Frühlingsgefühle spürt wohl kaum, wer die geopolitischen Verschiebungen der vergangenen Wochen verfolgt hat. Zu vieles erinnert an Abbruch, aus Washington weht ein eisiger Wind. Diverse Kommentatoren haben nach dem eskalierenden Zollstreit denn auch wahlweise das Ende des Westens oder der Globalisierung ausgerufen.
Wohin der Kurswechsel der USA letztlich führt, ist unklar. Was wir jedoch wissen: Gerät die globale Handelsordnung ins Wanken, hinterlässt das Spuren. Das gilt in besonderem Masse für eine kleine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz. Anpassungen werden unvermeidlich und teilweise schmerzhaft sein. Fabrikschliessungen und Konkurse sind nicht auszuschliessen. Diese Aussicht ist beunruhigend, gerade für eine krisengeschüttelte Gesellschaft, die sich nach Stabilität sehnt. Entsprechend wird die Politik reagieren wollen. Doch was soll sie tun?
Nur die Hälfte der Firmen wird älter als fünf Jahre
Ein Blick auf die Firmenlandschaft hilft bei der Einordnung. Was im Jahresverlauf für die Natur gilt, gilt auch für die Wirtschaft: Unternehmen entstehen, wachsen, verändern sich – und verschwinden. So beträgt das mittlere Alter von Unternehmen in der Schweiz je nach Rechtsform nur gerade 7 bis 14 Jahre. Vor allem kurz nach der Gründung scheiden viele rasch aus dem Markt wieder aus. Gerade einmal die Hälfte der Firmen wird älter als fünf Jahre. Gleichzeitig werden aber auch kontinuierlich neue Firmen gegründet. Ihr Bestand hat in der Schweiz über die vergangenen Jahre denn auch zugenommen.
Die Firmendemografie zeigt zudem, dass sich in Krisen normalerweise die Zahl der Marktaustritte erhöht. Spitzt sich die globale Handelssituation weiter zu, dürften somit auch die Konkurse zunehmen. Das gilt umso mehr, als die jüngste Wirtschaftskrise speziell war. So haben sich während der Corona-Pandemie wegen der Stützungsmassnahmen die Konkurse in der Schweiz unterdurchschnittlich entwickelt, ja es kam sogar zu einem Gründerboom. Erst nach knapp drei Jahren setzte ein Aufholeffekt bei den Konkursen ein. Diese verzögerte Strukturbereinigung könnte sich nun verstärken.
Verzicht auf Industriepolitik zahlt sich aus
Eine allfällige «Konkurswelle» dürfte die Politik aufschrecken, sie wird in den Wirtschaftswissenschaften derweil kontrovers bewertet. Die einen beklagen einen Verlust von Know-how, wenn Arbeitsplätze reduziert werden oder Firmen schliessen müssen. Andere betonen das Konzept der «schöpferischen Zerstörung», wonach Konkurse und Innovationsschübe Hand in Hand gehen. Beides hat seine Berechtigung – und in der konsensorientierten Schweiz schlägt sich dieser Balanceakt auch in der Wirtschaftspolitik nieder.
So soll das Instrument der Kurzarbeit einerseits einen übermässigen Arbeitsplatzabbau in einer Krise verhindern. Anderseits hat das Land den langfristigen Strukturwandel fast immer zugelassen. Die Schweiz verzichtete weitgehend auf Industriepolitik. Mit Ausnahme der Landwirtschaft werden also in der Regel einzelne Firmen oder Branchen nicht staatlich unterstützt. Dieser Ansatz hat sich bisher als sehr erfolgreich erwiesen, während industriepolitische Initiativen im Ausland zu Milliardenverlusten geführt haben.
Subventionen schaffen «Zombie-Firmen»
Dennoch dürfte wegen der handelspolitischen Verwerfungen auch hierzulande der Ruf nach staatlicher Stützung wieder lauter werden. Diverse Kantone in der Romandie haben schon in den Monaten davor damit begonnen, mit Millionenbeträgen ihre lokale Industrie zu subventionieren. Diese Entwicklung ist bedenklich. Subventionen schaffen kaum je prosperierende Unternehmen. Vielmehr drohen «Zombie-Firmen», die über eine längere Zeitspanne nicht einmal ihre Kapitalkosten erwirtschaften können.
Solche Zombie-Firmen binden Arbeitskräfte, Kapital und Boden und behindern damit produktivere Firmen am Wachstum. Das Ziel von strukturerhaltender Wirtschaftspolitik mag zwar nachvollziehbar sein, aber meist wird das Gegenteil erreicht. Wer in den Lebenszyklus von Firmen mit staatlichen Mitteln eingreift, verschwendet langfristig Ressourcen. Wie in der Natur hat in der Wirtschaft das Neue nur dort eine Chance, wo auch Altes weichen kann.
Die Stärke der Schweizer Wirtschaft lag somit nie in der Bewahrung bestehender Strukturen, sondern in ihrer Fähigkeit zur Erneuerung. Diese Fähigkeit ist besonders in widrigen Zeiten von Vorteil. Natürlich ist der derzeitige Wandel alles andere als erfreulich, und vieles stimmt nachdenklich. Die Politik ist durchaus gefordert, diesen geopolitischen Umbruch umsichtig zu begleiten und zu gestalten. In eines sollte sie ihre Energie aber nicht stecken: in die Konservierung der heutigen Firmenlandschaft.
Jürg Müller ist Direktor des Think-Tanks Avenir Suisse.
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