Nach Europa ausgerichtete Politiker hatten in Georgien und der Moldau einen schweren Stand. Der Kreml punktete dank Drohungen, Lügen und der Schwäche seiner Gegner. Das bringt Russland seinen geopolitischen Zielen näher.
In Georgien und in der Moldau haben jüngst Wahlen und eine Abstimmung stattgefunden, die Russland frohlocken liessen. Wahlkämpfe, die suggerierten, es gehe um Gedeih oder Verderben, trugen in beiden Ländern die Attribute eines Richtungskampfs: Westen oder Russland. In Georgien gewann nach offiziellen Angaben erneut die Regierungspartei Georgischer Traum, die mit Worten zwar nach Europa strebt, aber mit vielen ihrer Taten den Westen gegen sich aufbringt.
In der Moldau siegte zwar die Präsidentin Maia Sandu über ihren russlandfreundlichen Herausforderer und entschied haarscharf auch eine Abstimmung über die Verankerung der europäischen Integration in der Verfassung für sich. Aber die Ergebnisse zeigen ein gespaltenes Land. Der Erfolg für Sandu ist so hauchdünn, dass sich Moskau und seine Aktivisten dennoch auf der Siegerseite fühlen können.
Russland verneint Einmischung
Das ist aus westlicher Sicht so bedrohlich wie bemerkenswert. Der Europäischen Union – im Falle Georgiens auch den USA – gelingt es offenbar immer weniger, die Gesellschaften an den Bruchstellen von Ost und West von sich zu überzeugen. Russland dagegen, das mit brachialer Gewalt in der Ukraine seine Interessen durchsetzen will und den blutigsten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg auf europäischem Boden losgetreten hat, erscheint gleichwohl attraktiv. Entgegen den Anzeichen in den ersten beiden Jahren des Ukraine-Krieges findet Moskau doch noch Kraft und Aufmerksamkeit für andere Schlüsselregionen seiner Nachbarschaft.
An den Rändern des untergegangenen Imperiums ist es wieder erfolgreich. Maria Sacharowa, die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, gab nach den Wahlen in Georgien zum Besten, Russland mische sich in innere Angelegenheiten anderer Staaten nicht ein und respektiere im Unterschied zu den «Westlern» die souveräne Willensbekundung des georgischen Volkes.
Dabei zieht Russland überall dort, wo es Chancen zur Beeinflussung wittert, alle Register, die ihm zur Verfügung stehen – von Schalmeienklängen und verlockenden politischen Angeboten über Desinformation bis zu unmissverständlichen Drohungen.
Georgiens Abneigung gegenüber Russland
Der Kreml ist mit unterschiedlichen Ausgangslagen konfrontiert. Georgien hatte er durch die Unterstützung der abchasischen und südossetischen Sezessionsbestrebungen, spätestens aber nach der Machtübernahme Micheil Saakaschwilis 2004 verloren. Auch unter den Wählern des Georgischen Traums sieht die Mehrheit in Russland einen Aggressor und keinen vertrauenswürdigen Partner. Aber die Angst vor Russlands militärischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten sitzt tief. Seit dem kurzen Krieg vom August 2008 stehen russische Panzer in Südossetien, vierzig Kilometer vor Tbilissi.
Mit Verweis auf geopolitische Zwänge, gemischt mit einer Nostalgie über historische Verbindungen nach Russland, ist eine Form von Beschwichtigungspolitik gegenüber Moskau nicht unpopulär. Kombiniert wird das mit dem Versprechen einer Integration in Europa. Der in Russland zu Vermögen gekommene Milliardär Bidsina Iwanischwili, bei dem alle Fäden der Regierungspartei zusammenlaufen, bewirtschaftet diesen Zwiespalt. Inwieweit Russland dessen politische Agenda direkt beeinflusst, ist umstritten. Immerhin tummeln sich Agenten und Propagandisten russischer Staatsmedien ungeniert im Land. Russlands Politiker spielen mit Zuckerbrot und Peitsche.
Der Georgische Traum greift zumindest die in Russland beliebten Narrative auf: die Dämonisierung westlicher Gesellschaftsvorstellungen, die angebliche Unterwanderung des Staates durch «ausländische Kräfte», die vorgebliche Gängelung durch westliche Institutionen und Staaten. Das Heraufbeschwören von Kriegsangst, vom Westen orchestrierten Unruhen und wirtschaftlichem Kollaps bei einer Hinwendung zur Opposition und einer «Unterwerfung» unter die EU fiel auf fruchtbaren Boden. Wie die Opposition und Wahlbeobachter belegen können, war auch viel Stimmenkauf im Spiel.
Moskauer Tentakel in der Moldau
In der Moldau fallen Kriegsangst und Furcht vor Russlands wirtschaftlichem Liebesentzug ebenfalls ins Gewicht. Aber im Unterschied zu Georgien scheint ein beträchtlicher Teil der moldauischen Gesellschaft viel eher bereit, die Zukunft tatsächlich mit Russland zu verbinden. Desinformationskampagnen sind erfolgreich. Während aber mit Iwanischwili ein schwerreicher Geschäftsmann in Georgien direkt die Politik bestimmt, legt der moldauische Magnat Ilan Sor von Moskau aus seine Tentakel in Gesellschaft und Politik aus.
Russland gelingt es bei einem Teil der Bevölkerung dieser Staaten, sich als unabdingbaren «grossen Bruder» zu positionieren. Das hat in Georgien wie in der Moldau auch mit eingefrorenen Konflikten zu tun: Transnistrien, Abchasien und Südossetien hängen am Tropf Moskaus. Dort sind russische Soldaten stationiert, und ohne Russland wird es keine Lösung geben. Der Ukraine-Krieg wirkt als Drohmittel. Immer wieder verweisen russische Politiker und Propagandisten auf das Schicksal der Ukraine, wenn sie postsowjetische Staaten vom Westkurs abbringen wollen. Neben der negativen Anziehungskraft kommen zunehmend die wertkonservativen Töne auch ganz gut an.
Auch loyale russische Kommentatoren bemängeln aber, dass Russland keine überzeugenden Angebote machen kann und Politiker unterstützt, die vor allem in die eigene Tasche wirtschaften. Besonders deutlich tritt das in Armenien zutage, wo Russland fast drei Jahrzehnte lang auf grosse Sympathien stiess. Das Gefühl, von Moskau im Konflikt mit Aserbaidschan im Stich gelassen worden zu sein, und Russlands Verbandelung mit unpopulären Figuren der armenischen Politik haben Erewans Hinwendung nach Westen befördert.
Russland fühlt sich stark
Selbstkritik müssten aber auch die proeuropäischen Kräfte üben. Offenbar bieten sie genügend Nährboden für das Gedeihen des russischen Einflusses. In Georgien hat das einerseits mit der Opposition zu tun, die keine überzeugenden neuen Anführer präsentiert, anderseits aber auch mit dem Gefühl vieler Georgier, von der EU zu wenig gewürdigt zu werden. In der Moldau scheint die Präsidentin die Innen- und Wirtschaftspolitik zugunsten der nach Europa ausgerichteten Aussenpolitik vernachlässigt zu haben.
Russland fühlt sich wieder erstarkt. Es ist Präsident Wladimir Putins Ziel, mit dem Feldzug gegen die Ukraine eine neue Sicherheitsordnung in Eurasien nach dem Geschmack Moskaus durchzusetzen. In den von ihm als Einflusszone beanspruchten Ländern in der Grauzone wendet Russland alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel dafür an, diesem Ziel näher zu kommen.