Was es bedeutete, die einzige Frau zu sein. Rückblende in eine noch nicht lange vergangene Zeit.
Als Margrit Weber-Röllin im Jahr 1988 zur ersten Regierungsrätin von Schwyz gewählt wurde, wusste sie, dass es «in diesem Kanton keine extremen Frauen leiden mag». Im Wahlkampf hatte sie anonyme Briefe bekommen, in denen sie als «Emanze» beschimpft wurde. Man gab ihr zu verstehen, es sei in Ordnung, wenn Frauen politisierten, aber bitte auf einer tieferen Stufe.
Weber-Röllin hatte ihren eigenen Umgang mit den Zumutungen der Zeit gefunden: Bevor es das Frauenstimmrecht gab, soll sie die Gemeindeversammlungen in ihrem Wohnort Freienbach heimlich besucht haben. Später war sie in vielen Gremien die einzige Frau – sie wisse langsam, «wie die Männer reagieren». Nach ihrer Wahl seien ihre Angestellten aus dem Erziehungsdepartement gefragt worden: «Du, wie ist das so mit einem ‹Wiibervolch› als Chef?» Sie reagiere aber verständnisvoll auf «miini Manne», so formulierte sie es im Jahr 1993 in der «Weltwoche».
Am 6. März ist Margrit Weber-Röllin im Alter von 86 Jahren in Pfäffikon, Kanton Schwyz, verstorben. An ihrer Biografie zeigt sich, wie es für die ersten Frauen war, die in die obersten Ämter der schweizerischen Politik aufstiegen.
Pfadiname Alpha
Sie kam aus einer anderen Zeit – und sollte später am Übergang zu einer neuen stehen. Im Jahr 1937 wurde sie in eine Bauernfamilie in Baar hineingeboren, wo sie anzupacken lernte. Nach dem Theresianum in Ingenbohl zog sie als Lehrerin nach Freienbach, wo in der Pfarrstube der Schulpräsident erklärt hatte: «Fräulein, mer nemed Sie.» Sie ging in die Pfadi und in die CVP. Ihren Mann lernte sie an der Hochzeit einer Pfadifreundin kennen. «Die Liebe war nicht so stürmisch», erzählte sie, «bis es dann doch klappte.» Noch als Regierungsrätin wurde sie im «Brückenbauer» als «Freienbacher Hausfrau und Mutter» bezeichnet.
Das Leben muss sie mit einem untrüglichen Sinn für das Gerade-noch-Zumutbare ausgestattet haben. In der Pfadi wurde sie Alpha genannt, in der CVP war sie es auf ihre eigene Art. «Ich bin eher für kleine Schritte», sagte sie. In die Politik ging sie erst, als ihre beiden Kinder schon grösser waren. «Ich glaube heute noch, dass die Frau zuerst ihre Aufgabe als Mutter erfüllen soll», sagte sie in der «Sonntags-Zeitung». Danach gefragt, was Emanzipation für sie bedeute, gab sie keine feministische, sondern eine allgemeine Antwort: «Emanzipiert ist, wer in seiner Haut Platz genommen hat.» Sie betonte, sie wolle nicht die Männer kopieren – so achte sie darauf, keine militärischen Begriffe zu gebrauchen. Dann stellte sie dennoch fest, «wie ich von ‹Aufmunitionieren› sprach». Sie wolle Schwyz nicht «total verändern», beruhigte sie bei ihrer Wahl.
«Wenn ein Weibsbild . . .»
Es war die Zeit der politischen Pionierinnen. Die erste Bundesrätin, Elisabeth Kopp, war gerade abgewählt worden. Und die zweite Bundesrätin, Ruth Dreifuss, musste «schockiert» feststellen, dass nicht die offiziell portierte Christiane Brunner, sondern sie gewählt wurde: «Ich beruhige die Leute, weil ich ein wenig bieder aussehe.» Im Kanton Schwyz war Elisabeth Blunschy-Steiner zurückgetreten, die erste Nationalratspräsidentin der Schweiz – und die Frauen blieben die Abweichung von der Norm. Noch vor den Wahlen im März des Jahres 2024 war der tiefe Frauenanteil im Schwyzer Parlament ein grosses Thema. Er stieg schliesslich von vierzehn auf zwanzig Prozent an.
Als Margrit Weber-Röllin im Jahr 1992 als erste Frau die Regierung präsidieren sollte, titelte der «Tages-Anzeiger»: «Wenn ein Weibsbild Landammann wird». Die grosse Frage war, welchen Titel sie tragen solle: Landammännin? Landamtfrau? Oder Regierungspräsidentin? Die Schwyzer Regierung fragte bei der Bundeskanzlei um Rat. Der Landammann aus Obwalden meldete: «Landammann ist ein Begriff. Den kennt man. Einen Regierungspräsidenten kennt man nicht.» Sie selbst wünschte, Frau Landammann genannt zu werden.
Margrit Weber-Röllin steht für die Frauen, die die Männerwelt veränderten, indem sie sich ihr auch anpassten – weil es anders gar nicht möglich war.