Deutschland braucht auch im Umgang mit China eine Zeitenwende.
Seit vergangener Woche gibt es Hinweise dafür, dass Volkswagen in China in das System der Unterdrückung der Uiguren verwickelt ist. Beim Bau einer Teststrecke zusammen mit dem staatlichen Autobauer und Joint-Venture-Partner Saic sollen Zwangsarbeiter zum Einsatz gekommen sein. VW kündigte nach den Enthüllungen eine Untersuchung an. Ein Konzernsprecher sagte, man sei im Austausch mit Saic und «prüfe verschiedene Szenarien».
VW sucht offenbar den Ausstieg aus Xinjiang, ohne das Kind beim Namen zu nennen und somit den Ärger der chinesischen Regierung auf sich zu ziehen. Ein Rückzug aus der Region ist überfällig.
Der Moment für einen Rückzug ist günstig
Dieser lohnt sich für VW auch aus ökonomischer Sicht. Erstens kann der bereits entstandene Reputationsschaden so minimiert werden. Zweitens ist das Werk aus einer rein unternehmerischen Perspektive sowieso wenig sinnvoll. Im Werk in Xinjiang werden Teile zusammengebaut, die in einem anderen – 3000 Kilometer entfernten – chinesischen Werk hergestellt wurden. Daher hätten sie gleich auch dort zusammengebaut werden können. Doch musste sich VW im Jahr 2011 verpflichten, in Xinjiang zur Wirtschaftsförderung ein Werk aufzustellen und erhielt dafür im Gegenzug staatliche Genehmigungen für neue Werke.
Der Moment für VW könnte günstig sein, um mit Saic und den Vertretern des Parteistaats über einen Ausstieg aus Xinjiang zu verhandeln. Denn VW hat jüngst ein neues Werk in der Industriestadt Hefei in der Provinz Anhui eröffnet und ist dabei, ein Entwicklungszentrum und eine zweite Konzernzentrale aufzubauen. VW schafft damit in der wirtschaftlich angespannten Lage, in der sich China befindet, Tausende neue Arbeitsplätze.
Der deutsche Chemiekonzern BASF hat Anfang des Monats vorgemacht, dass ein Rückzug aus Xinjiang möglich ist. Die Firma hat angekündigt, ihre Anteile an den Joint Ventures in Xinjiang zu verkaufen. Sie tat damit das einzig Richtige, nachdem nicht mehr von der Hand zu weisen war, dass Mitarbeiter der BASF-Partnerfirmen in Xinjiang direkt an einer Überwachungs- und Unterdrückungskampagne von Parteikadern beteiligt gewesen waren.
Es braucht offenbar Druck von aussen von Forschern und Journalisten. Dass BASF und VW aufgrund eigener Untersuchungen und Risikoanalysen nicht früher handeln, zeigt, wie komplex das chinesische Umfeld ist. Wer in China investiert, muss eng mit den Behörden zusammenarbeiten und dafür sowohl ökonomische Risiken wie auch moralische Kompromisse eingehen.
De-Risking muss strategische Priorität haben
Dass sich diese Rechnung für die grossen deutschen Unternehmen in China wie VW, BASF, Bosch oder Siemens weiterhin lohnt, ist offensichtlich. Deutsche Firmen investieren so stark wie nie zuvor in China. 2023 hat das Investitionsvolumen im dritten Jahr in Folge einen Rekord erreicht.
Das ist sonderbar, denn insgesamt sind die Direktinvestitionen in China vergangenes Jahr auf dem niedrigsten Stand seit drei Jahrzehnten gesunken. Der globale Trend geht offenkundig dahin, strategische Abhängigkeiten von China zu reduzieren. Deutschland erhöht sie. Das ist zu kurzfristig gedacht.
Die deutsche Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen hat schmerzlich offengelegt, wie wichtig es ist, sich als Volkswirtschaft gegenüber unberechenbaren Staaten abzusichern und weniger angreifbar zu machen. Der Prozess des De-Riskings muss nun Priorität haben. Denn Deutschland macht sich durch die wachsende Abhängigkeit von den Gewinnen in China leichter erpressbar und schränkt seinen Handlungsspielraum ein, sollte Peking etwa Waffen an Russland liefern oder Taiwan angreifen.
Der Fall von VW in Xinjiang hat gezeigt: Es liegt im Eigeninteresse von deutschen Unternehmen, ihre Risiken in China zu analysieren und entsprechend zu handeln. Nach dem Kriegsbeginn Russlands gegen die Ukraine sprach der deutsche Kanzler Olaf Scholz von einer Zeitenwende. Diese braucht es nun auch bei den deutschen Unternehmen im Umgang mit China.