Kundinnen und Kunden legen heute viel Wert auf ethisches und umweltfreundliches Handeln, wollen aber keine Abstriche bei Qualität und Exklusivität machen. Wie die Luxusbranche auf die gegenwärtigen Bedürfnisse reagiert.
Bis ins Mittelalter, als er mit den sieben Todsünden in Verbindung gebracht wurde, hatte der private Luxus einen schlechten Ruf. «Üppigkeit» und «Ausschweifung» bedeutete der lateinische Begriff ursprünglich. Mit der Industrialisierung begann schrittweise eine Demokratisierung. Technologischer und wirtschaftlicher Fortschritt ermöglichte die Massenproduktion, und Luxusgüter wurden für breitere Bevölkerungsschichten zunehmend erschwinglich. Das aufstrebende Bürgertum übernahm Konsumgewohnheiten der Oberschicht und fand zu eigenen luxuriösen Lebensstilen.
Heute steht die Luxusindustrie vor der Herausforderung, die Dualität von Exklusivität und Nachhaltigkeit zu meistern. Laut einer Studie von Bain & Company (2023) geben 80 Prozent der Luxuskonsumenten an, dass Nachhaltigkeit ihre Kaufentscheidung beeinflusse. Haupttreiber sind die Generation Z und die Millennials. Ihr Verständnis von Luxus geht über rein materiellen Besitz hinaus. Sie suchen nachhaltige, authentische Produkte, die umweltfreundlich und ethisch hergestellt werden. Gesellschaftliches Engagement, Individualität und der Wunsch nach einzigartigen Erlebnissen prägen ihre Konsumwünsche.
Der Luxury Innovation Summit (LIS), der im Oktober 2024 in Genf stattfand, zeigte, wie die Luxusbranche auf die gegenwärtigen Bedürfnisse eingeht. Bei 142 Bewerbungen aus 29 Ländern zeigten die Innovationsgewinner in sieben Kategorien, wie sich die Entwicklung in der Branche darstellt.
Technologie und Handwerk im Einklang
Massgeschneiderte Design-Elemente, wie sie das niederländische Unternehmen Aectual aus Abfallkunststoffen, rezyklierten Tetra-Pak-Kartons und Holzabfällen mithilfe von 3-D-Druck-Technologien herstellt, finden Anwendung in Möbeln, architektonischen Elementen und individuellen Prototypen. Was theoretisch klingt, kann faszinierend aussehen. Zum Beispiel die Tiffany-&-Co.-Filiale am Changi Airport in Singapur, die mit koralleninspirierten Elementen aus rezykliertem Ozeanplastik sowie Fischnetzen im traditionellen Tiffany Blue die ozeannahe Lage nachempfindet.
Oder die Boss-Filiale im Istinye Park in Istanbul, bei der auf 73 Quadratmetern 136 massgefertigte Fassadenelemente nahtlos ineinandergreifen. Dabei liegt der Anspruch im Design darin, die Identitäten der Firmen – bei Boss beispielsweise die Textilweberei oder bei Tiffany das Design-Vermächtnis – haptisch ansprechend und einzigartig umzusetzen. Aectual verfolgt eine zirkuläre Produktionsstrategie, bei der 95 Prozent der eingesetzten Materialien rezyklierbar sind und 60 Prozent der Produkte nach Gebrauch zurückgenommen und direkt zu neuen Produkten rezykliert werden, um die Umweltbelastung zu minimieren.
Woola aus Finnland erhielt den Innovationspreis in der Kategorie Sustainable Luxury für eine umweltfreundliche Verpackung aus Abfallwolle. Diese Alternative zu herkömmlichem Plastik-Bubble-Wrap ist auch für Luxusuhren, -handtaschen und -accessoires geeignet. Die nachhaltige Lösung verbindet Umweltverantwortung mit Funktionalität und erfüllt die Anforderungen an Luxusverpackungen.
Zum Nachdenken über die Verbindung zwischen Technologie und jahrtausendealtem Handwerk der Schmuckkunst will etwa Faurschou Jewellery mit einer sogenannten Blockchain-Kollektion anregen. Handgefertigte Goldblöcke sollen als Non-Fungible Tokens (NFT) sowohl die Einzigartigkeit als auch die hohe Handwerkskunst repräsentieren. Die Anordnung der Schmuckstücke, deren Liefer- und Produktionskette Fairmined-zertifiziert und damit vollständig transparent ist, symbolisiert die digitale Verbindung und die Einheit der Träger.
Zeig mir dein digitales Ich, und ich sage dir, welcher Luxustyp du bist
Weniger glamourös, aber nicht minder wichtig sind Dienstleistungen, die sich auf datengestützte Entscheidungen konzentrieren. Strategische Datenerfassung und -analyse entwickelt sich zu einem entscheidenden Wettbewerbsvorteil – quasi klassische Kundenverhaltensforschung (Consumer Behavior Research) im Zeitalter von KI. Sie bildet die Grundlage für ein tiefes Verständnis der Kundenpräferenzen im Netz und zielt darauf ab, die Wünsche der Kunden vorherzusehen, sie mit passenden Angeboten anzusprechen und langfristig über mehrere Kanäle zu binden.
Floor aus Deutschland etwa greift die wachsende Nachfrage nach personalisierten, technologiegestützten Luxus-Shopping-Erlebnissen auf. Die App bringt Personal Shopper und Stylisten mit Kunden zusammen und integriert fragmentierte Arbeitsprozesse, um einen aussergewöhnlichen Kundenservice zu schaffen. Auch Chatlabs aus den USA will das Verhalten der Kunden anhand von Social-Media-Daten und mithilfe von generativer KI besser verstehen: Es wandelt diese Drittanbieterdaten in Erstanbieterdaten für Luxusmarken um, die daraus hyperpersonalisierte Produkte und Dienstleistungen schaffen. Die Zusammenarbeit mit Nobeljuwelier Graff, bei der hochpersonalisierte Kundenreisen entwickelt wurden, ist ein Beispiel.
Ein Thema, das man auf dem Luxury Innovation Summit hingegen vermisste, war Longevity (Langlebigkeit), obwohl es derzeit allgegenwärtig ist. Mit wachsender Bedeutung von Gesundheit und Wellness in der Gesellschaft mag dies eine verpasste Gelegenheit sein, einen Blick in die Schnittstelle zwischen Luxus und dem zunehmend wichtigen Bereich von Gesundheitsoptimierung und Lebensverlängerung zu bieten.
Traditionelles Handwerk weiterhin sehr wichtig
Die Themen der Paneldiskussionen – der Einsatz generativer KI, die Nutzung von Blockchain für transparente Lieferketten sowie die Zukunft des Einzelhandels und von Second-Life-Produkten – waren zwar vielfältig und boten inspirierende Impulse, blieben jedoch wenig greifbar. Besonders deutlich wurde dies beim Einsatz von KI. Die Vielfalt der Anwendungsbereiche und die unterschiedlichen Herausforderungen, mit denen Marken konfrontiert sind, reichen von einfachen Anwendungen im Marketing über Datenanalyse mit KI-Tools bis hin zu komplexeren Anwendungen bei Design und Prototyping.
Einige Unternehmen können die Vorteile von KI schnell nutzen, während andere möglicherweise noch mit den Grundlagen kämpfen. Alessandro Valenti, CEO von Givenchy, sah im Panel die Hauptaufgabe von KI darin, die Handwerkskunst zu bewahren, indem sie den Herstellungsprozess in mehreren Aspekten unterstützt: Optimierung der Abläufe mit dem Fokus, Verschwendung zu reduzieren und Kreislaufwirtschaft zu fördern, verbessertes Prototyping, Übernahme von Routineaufgaben.
Einig war man sich darüber, dass der Luxussektor trotz der derzeitigen Abschwächung in Zukunft ein bedeutender Markt bleiben wird. Gemäss Prognosen könnte das Marktvolumen bis 2025 auf bis zu 400 Milliarden Euro anwachsen. Zudem ist der Luxussektor für die meisten teilnehmenden Firmen nur ein Teil ihrer Tätigkeitsfelder. Sie sind auch in anderen Bereichen aktiv, und das innovative Potenzial reicht über das Luxussegment weit hinaus (für Luxusmarken bedeutet dies, dynamisch und anpassungsfähig mit neuen Technologien und Konzepten umzugehen).
Insgesamt wurde am LIS deutlich, wie sich die Werkbank der Luxusindustrie grundlegend verändert. Datenmanagement, künstliche Intelligenz und neue Technologien sind heute wichtige Pfeiler, die die Produktion, Kundenerlebnisse und die Interaktion von Luxusmarken mit ihren Kunden massgeblich prägen. Traditionelles Handwerk bleibt jedoch essenziell. Diese Symbiose aus Tradition und Innovation könnte die Grundlage für eine zukunftsfähige, verantwortungsvolle Luxusindustrie sein. Voraussetzung dafür sind ein fundiertes und gegenseitiges Verständnis der jeweiligen Bereiche sowie eine nahtlose, enge Verzahnung von Handwerk, digitaler Technologie, den Anforderungen des Umweltschutzes und ethischer Normen.