Jean-Noël Barrot hat ein spezielles Verhältnis zur Schweiz.
Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Frankreich sind besonders eng. In keinem anderen ausländischen Land leben mehr Franzosen, während es in Frankreich im Vergleich mit anderen Nationen am meisten Auslandschweizer gibt. Diese Verbundenheit personifiziert der französische Minister für Europa und auswärtige Angelegenheiten, Jean-Noël Barrot. Der 41-Jährige ist französisch-schweizerischer Doppelbürger und kennt die Schweiz gut. Seine Mutter stammt aus der Region Lausanne.
Barrot ist seit dem vergangenen September im Amt und Mitglied der zentristischen Kleinpartei Mouvement démocrate (Modem), der auch der französische Premierminister François Bayrou angehört. Unlängst äusserte sich der Aussenminister zu seinem Verhältnis zur Schweiz.
Lob für Schweizer Initiativen
Seine Geschichte sei mit Frankreich und der Schweiz verbunden, sagte er in einem Interview mit der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps». «Meine persönliche Erfahrung ist, dass ich dieses Land liebe. Ich tanke hier gerne Kraft, vom Tessin über den Genfersee oder das Wallis bis zum Berner Oberland.» Die Schweiz sei voller Schätze, die es wert seien, entdeckt zu werden. Barrot sprach von dieser als einer «Cousinen-Nation».
Er verwies auf die wirtschaftliche Bedeutung der Schweiz, die in Frankreich zur zweitwichtigsten Investorin geworden sei. Zudem lobte er die Schweizer Initiativen im Ukraine-Krieg, darunter die Aufnahme von rund 60 000 Schutzsuchenden und die Organisation der Bürgenstock-Konferenz. Der russische Angriffskrieg bedrohe die schweizerischen und die französischen Sicherheitsinteressen, sagte er.
Barrot vertritt dennoch allein die Interessen seines Landes, nicht jene Berns. «Ich bin in erster Linie ein französischer politischer Verantwortlicher», räumte er diplomatisch ein. Dass der Aussenminister mit der Schweiz vertraut ist, hilft im bilateralen Verhältnis trotzdem. Dieses hat sich nach einer schwierigen Phase entspannt, seit Präsident Emmanuel Macron im Jahr 2023 die Schweiz besucht hat. In blockierten Dossiers wie der Regulierung des Wassers der Rhone gibt es wieder Bewegung.
Frankreich wehrte sich in der EU nicht dagegen, die Schweiz zumindest provisorisch wieder an das Forschungsprogramm Horizon Europe zu assoziieren – im Rahmen der geplanten Verträge zwischen Bern und der Europäischen Union. Dabei stand Paris in diesem Dossier gemäss Diplomatenkreisen für einen harten, auch protektionistischen Kurs. Der Ökonom Barrot kennt nicht nur französische Elitehochschulen; vor seiner Politkarriere unterrichtete er am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA. Später war er Professor an der École des hautes études commerciales (HEC) in Paris.
Barrot ist nicht das einzige Mitglied der Regierung Bayrou, das einen engen Bezug zur Schweiz hat. Marc Ferracci, der Minister für Industrie und Energie, vertrat als Mitglied der Nationalversammlung die Französinnen und Franzosen, die hierzulande leben.
Beziehung mit der EU vertiefen
Am wichtigsten für die französisch-schweizerischen Beziehungen ist, dass Bern und die EU es schaffen, ihr Verhältnis zu stabilisieren. Barrot bezeichnete die geplanten Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union als gute Sache. «Ich wünsche mir natürlich, dass die Abkommen auf Schweizer Seite genehmigt werden können, damit wir vorankommen», sagte er.
Barrot stellte die Verträge mit der EU in einen grösseren Kontext. Die Welt trete in eine Phase ein, die von der Rückkehr des Rechts des Stärkeren geprägt sei. Die Schweiz und die Europäische Union müssten eine engere Beziehung pflegen, um stark sein zu können. Es gehe darum, ihr Modell und die gemeinsamen Interessen der zahlreichen Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen.
Eine andere Frage ist, wie lange Barrot im Ausland die französischen Interessen verteidigen kann. Er behielt zwar seinen Posten, als Premierminister Michel Barnier im Dezember nach wenigen Monaten zurücktreten musste. Dessen Nachfolger Bayrou überstand im Januar ein Misstrauensvotum. Doch die neue Regierung ist nicht weniger fragil als die alte, da ihr in der Nationalversammlung und im Senat eine Mehrheit fehlt. Bayrou brachte diese Woche das Budget nur durch, indem er den Verfassungsartikel 49,3 benutzte. Dieser erlaubt es dem Premierminister, bei einem Gesetzesprojekt das Parlament zu übergehen.