Yan Balistoy sieht sich durch das Theater diskriminiert. Nun gibt es in dem Fall eine überraschende Wendung.
Die Vorwürfe an das Theater Neumarkt, eine der bekanntesten Bühnen Zürichs, waren heftig. Letzten Dezember erklärte der Schauspieler Yan Balistoy, er werde diskriminiert.
Seit Beginn seiner Anstellung im August 2021 sei er nur bei der Hälfte aller Stücke besetzt worden – weil er Israeli sei. Das Theater lasse ihn nicht mit einer libanesischen Kollegin auf eine Bühne.
Seit Ausbruch des Kriegs in Nahost sei diese Diskriminierung für ihn «unaushaltbar». Balistoy arbeitet mittlerweile nicht mehr beim Theater, die Leitung hat den Vertrag mit ihm nicht verlängert.
Balistoy reichte wegen «Diskriminierung und Aufruf zu Hass» Strafanzeige ein – gegen den Verwaltungsratspräsidenten, die drei Direktorinnen und den Hausdramaturgen des Theaters Neumarkt.
Nun hat die Staatsanwaltschaft beschlossen, den Fall nicht weiter zu verfolgen. Die Voraussetzungen für die Eröffnung einer Untersuchung seien nicht gegeben, heisst es in einer Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft Zürich. Sie liegt der NZZ vor. «Unter keiner Prämisse» könne davon die Rede sein, dass Balistoy als Jude herabgesetzt werde.
Der Berater von Yan Balistoy, Sacha Wigdorovits, ist empört. Er sagt: «Die Staatsanwaltschaft hat kein grosses Interesse, mutmassliche antisemitische Straftaten zu verfolgen.»
Eine angebliche Straftat mit mutmasslich antijüdischer Schlagseite, die in den Augen der Staatsanwaltschaft strafrechtlich nicht relevant ist – wie kann das sein?
Eine Schauspielerin legt ihr Veto ein
Die Geschichte beginnt nach der Attacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Während der Krieg in Nahost allgegenwärtig ist, schreibt Yan Balistoy einen offenen Brief an die jüdische Gemeinschaft in Zürich. Er schildert seltsame Vorgänge am Theater Neumarkt. Dort ist Balistoy angestellt.
Eine libanesische Kollegin habe ihr Veto eingelegt, sie weigere sich, mit ihm auf der Bühne zu stehen. Sie fürchte um ihre Sicherheit, sollte ihre Zusammenarbeit mit einem Israeli öffentlich werden.
Der Schauspieler schreibt, die Theaterleitung baue damit «den antiisraelischen Boykott des Hizbullah in die Arbeitsstrukturen am Theater Neumarkt» ein.
Tatsächlich gibt es ein solches Boykottgesetz in Libanon, das sowohl persönliche als auch geschäftliche Kontakte zwischen Libanesen und Israeli unter Strafe stellt.
So ist es Libanesen theoretisch sogar untersagt, im Ausland mit Israeli zu sprechen. Dazu gehört auch der gemeinsame öffentliche Auftritt an Veranstaltungen. Allerdings ignorieren viele Libanesen dieses Gesetz im Alltag.
Dass ein solches Gesetz in einem Schweizer Theater Anwendung finden soll, stösst auf breites Unverständnis.
Die FDP reicht im Stadtparlament Vorstösse zum Thema ein. Das Theater gerät unter medialen und politischen Druck. Zumal es von der Stadt Zürich mit jährlich 4,5 Millionen Franken subventioniert wird und dazu noch einen Mietzinserlass von 700 000 Franken erhält.
Die Theaterverantwortlichen geben selbst eine externe Untersuchung durch ein Anwaltsbüro in Auftrag, um die Vorwürfe zu prüfen. Im Frühling 2024 liegt das Resultat vor. Es fällt für das Theater vorteilhaft aus.
Nur: Die Untersuchung kommt lediglich zum Schluss, dass am Neumarkt allgemein keine diskriminierenden Zustände herrschten. Der Fall Balistoy selbst wird nicht aufgearbeitet. Die Kritik bleibt laut.
Im Juni reicht Yan Balistoy seine Anzeige ein.
Von Beginn des Konflikts weg ist unklar, ob es sich wirklich um Diskriminierung handelt, ob ein arbeitsrechtlicher Streit dahintersteckt – oder ob beide Elemente vorhanden sind.
Mit diesen Fragen hat sich auch die Staatsanwaltschaft auseinandergesetzt. Sie kommt zum Schluss, dass die gewählte «Lösung» ungeschickt gewesen sei, aber strafrechtlich nicht relevant.
Es bestünden keine Hinweise dafür, dass das Theater Balistoys Vertrag aufgrund seiner ethnischen oder religiösen Herkunft nicht verlängert habe. Anzeichen gebe es hingegen für einen Streit zwischen ihm und seinem ehemaligen Arbeitgeber.
Gemäss Darstellung des Theaters habe sich Balistoy «wiederholt nicht an die internen Abwesenheitsregelungen gehalten», wofür er wiederholt verwarnt worden sei. So steht es in der Verfügung.
Seine zweite Verwarnung erhielt Balistoy aufgrund eines Filmdrehs mit Staraufgebot. Dies geht aus einem Brief hervor, welcher der Rechtsvertreter des Theaters Neumarkt an den Anwalt Balistoys schrieb und welcher der NZZ vorliegt.
Demnach hat sich der Schauspieler kurzfristig als krank von einer Probe abgemeldet. Er wurde dann aber zum Zeitpunkt der Probe an einem öffentlichkeitswirksamen Dreh im Hauptbahnhof Zürich gesichtet. Es muss sich um einen Werbefilm von Schweiz Tourismus mit Roger Federer und dem südafrikanischen Komiker Trevor Noah gehandelt haben. Balistoy mimt darin einen Regieassistenten.
Der Film wurde drei Wochen vor seiner Verwarnung gedreht. Weitere Drehtermine im HB gab es gemäss SBB im fraglichen Zeitraum nicht.
Damit verschlechtert sich das Verhältnis dramatisch. Später wird Balistoy die getrennte Besetzung auf der Theaterbühne in einer grösseren Öffentlichkeit anprangern.
«Kein Menschenrecht auf einen Zuschlag»
Doch unabhängig von diesem Vorkommnis: Weshalb ist die Regel, wonach ein jüdischer Schauspieler nicht mit einer libanesischen Schauspielerin auf der Bühne stehen darf, in den Augen der Staatsanwaltschaft nicht diskriminierend?
Von Diskriminierung spreche man dann, wenn eine Personengruppe «umfassend herabgesetzt» werde, schreibt die Staatsanwaltschaft. Es sei den Theaterverantwortlichen aber nie darum gegangen, Yan Balistoy als Juden herabzusetzen oder allgemein Juden als minderwertig darzustellen – wie es zum Beispiel bei einem pauschalen Lokalverbot für Juden der Fall wäre.
Im Gegenteil hätten die Verantwortlichen ihn trotz den Bedenken der libanesischen Schauspielerin engagieren wollen.
Weiter heisst es: «Der Staatsanwaltschaft ist kein Menschenrecht bekannt, aus welchem ein Stellensuchender einen Anspruch auf den Zuschlag einer bestimmten Arbeitsstelle zu seinen Bedingungen ableiten könnte.»
Der Verfügung ist auch zu entnehmen, wie die Theaterverantwortlichen die Situation sehen: Sie hätten sich nach Kräften um die bestmögliche Lösung dieser eigentlich unlösbaren Situation bemüht. Weder habe man ein Ensemblemitglied und dessen Familie in Gefahr bringen noch von einer Anstellung Balistoys absehen wollen.
Wichtig ist für die Staatsanwaltschaft auch dessen eigenes Verhalten. Der Schauspieler habe vor der Unterzeichnung seines Vertrags vor Stellenantritt von der Regelung gewusst und diese akzeptiert. Demnach habe er für die Situation der Schauspielerin Verständnis gezeigt und sich einverstanden erklärt.
Die Staatsanwaltschaft schreibt, es mute «irritierend und allenfalls rechtsmissbräuchlich an, wenn sich dieser der Problematik von Anfang an bewusst war und sich mit dem vorgeschlagenen Weg einverstanden erklärte, um den Verantwortlichen dann im Nachhinein rassendiskriminierendes Verhalten vorzuwerfen».
Ein Dilemma, das es «nicht geben dürfte»
Die Staatsanwaltschaft taxiert das Handeln der Verantwortlichen also als nichtdiskriminierend. Aber sie kritisiert diese dennoch deutlich.
Es sei «stossend», dass die Existenz «irgendeines antisemitischen libanesischen Gesetzes» überhaupt zu einer Situation führen konnte, in der sich die Verantwortlichen im Dilemma gesehen hätten. «Ein solches Dilemma dürfte es nach dem hiesigen Verständnis schlicht nicht geben.»
Man hätte wohl auf die Trennung verzichten und stattdessen der libanesischen Schauspielerin «die Wahl betreffend die weitere Zusammenarbeit überlassen sollen», so die Staatsanwaltschaft. Die Schauspielerin hätte also entweder akzeptieren müssen, dass sie mit Balistoy gemeinsam auf der Bühne steht, oder das Ensemble verlassen müssen.
Doch all dies sei strafrechtlich nicht relevant.
Der Verwaltungsratspräsident des Theaters, Thomas Busin, reagiert gegenüber der NZZ erleichtert. «Wir sind froh über die sachliche und deutliche Einschätzung», sagt er. Die Vorwürfe hätten «nicht nur der Reputation unseres Hauses geschadet, sondern auch unsere Integrität als Arbeitgeber und uns als Menschen in Zweifel gezogen».
Balistoy selbst hat Beschwerde beim Obergericht gegen die Nichtanhandnahmeverfügung eingereicht. Auch diese liegt der NZZ vor.
Darin steht, der einzige Grund dafür, dass er nur eingeschränkt auf der Bühne eingesetzt worden sei, sei, dass er «israelischer Herkunft und jüdischen Glaubens ist». Da zu behaupten, er werde nicht als Mensch zweiter Klasse behandelt, sei absurd.
Ein Indiz für systematische Diskriminierung sei, dass die Regel theoretisch für alle Schauspieler israelischer Herkunft gegolten habe. Hätte es solche gegeben, hätten sie ebenfalls nicht gemeinsam mit der libanesischen Schauspielerin auftreten dürfen.
Weiter habe sich das Theater an ein libanesisches Boykottgesetz gehalten. Und durch die Diskriminierung Balistoys habe es dieses rassistische Gesetz öffentlich verbreitet.
Schliesslich deuten Balistoys Anwälte «andere Gründe» an, welche die Theater-Verantwortlichen dazu bewogen hätten, ihn nur eingeschränkt auftreten zu lassen. Diese könnten ohne Befragung der Beschuldigten «nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden». Welche «anderen Gründe» dies sein könnten, bleibt offen.
Balistoys Forderung ist klar: Das Obergericht soll die Staatsanwaltschaft dazu bringen, doch noch ein Verfahren an die Hand zu nehmen.