Klassische Autos sind beliebt, aber sie haben künftig ein Problem: den Verbrennungsmotor. Jetzt glaubt ein Liechtensteiner, einen Weg gefunden zu haben, Oldtimern eine nachhaltige Zukunft zu geben. Doch Zweifel am Vorhaben bleiben.
Einen automobilen Klassiker wie den Lamborghini Miura zu elektrifizieren, gilt als absolutes No-Go. Selbst Anhänger der Elektromobilität geben sich reserviert, wenn es um den Umbau eines Oldtimers zu Batterieantrieb geht. Wie kann man nur einem edlen Fahrzeug aus den 1960er Jahren sein Herz entreissen und anstelle eines mechanisch genial konstruierten Zwölfzylinder-Benziners einen modernen E-Antrieb mit Akku einpflanzen?
Es könnte aber auch anders funktionieren. Wie wäre es, wenn man die klassischen Fahrzeuge digitalisiert und in die virtuelle Welt überträgt? Dann könnte man damit herumfahren, ohne den echten Wagen aus der Garage zu holen. Und man könnte sich gar aussuchen, auf welchen Strassen und Rennstrecken man damit unterwegs sein will. Ganz bequem vom Wohnzimmer aus.
So hat sich der Vaduzer Unternehmer Fritz Kaiser das vorgestellt, und so hat er es 2023 umgesetzt. Der 69-Jährige war Teilhaber des Sauber-Formel-1-Teams und zählt mittlerweile eine Privatbank, eine Firma zur Herstellung nachhaltiger Energie und ein Immobiliengeschäft zu seinem Portfolio.
Der ehemalige Olympia-Judoka widmet sich seit der Jahrtausendwende verstärkt der Welt der klassischen Automobile. Mit seinem Classic Car Trust (TCCT) setzt er sich für den Erhalt der kulturellen Werte beim Sammeln von Oldtimern ein. Kaiser gilt als begnadeter Netzwerker.
Seit 2016 gibt TCCT das Jahrbuch «The Key» heraus, das eine Liste der hundert wichtigsten Sammler von prestigeträchtigen Oldtimern enthält – zu denen auch Kaiser selbst gehört.
Mit der virtuellen Stadt «Roarington» schuf Kaiser vor einigen Monaten eine Art Metaversum für klassische Autos und ihre Besitzer. Im «virtuellen Ökosystem des klassischen Automobils», wie der Unternehmer das Projekt nennt, finden sich verschiedene Bereiche, die als Quartiere der Stadt dargestellt sind. Im Exhibition-District sind digitalisierte 3-D-Nachbildungen legendärer Autos aus den 1950er und 1960er Jahren zu betrachten.
Anders als in einem Museum sollen die Besucher mit den digitalen Fahrzeugen interagieren können, zum Beispiel virtuell die Türen öffnen, sich hinters Steuer setzen oder die Motorhaube öffnen. Dabei fehlt allerdings das haptische Erlebnis, bei dem man die Mechanik unmittelbar spürt – ein Nachteil, den alle virtuellen Nachempfindungen in sich tragen.
Zu den Skeptikern, was Roarington betrifft, gehört Urs P. Ramseier, Präsident des Swiss Car Register, einer Stiftung zur Bewahrung der Geschichte von Fahrzeugen über ihren gesamten Lebenszyklus. Der langjährige Experte für internationale klassische Fahrzeuge sagt: «Ich komme aus der analogen Welt, das ist für mich die wahre Welt. Aber Immerhin öffnet Roarington der Fahrzeugklassik ein Tor in die digitale Welt.»
Kritisch sieht auch der Oldtimer-Restaurateur Marcel Widler aus St. Margrethen die virtuelle Welt der Klassiker: «Die Digitalisierung schluckt Emotionen, die den unmittelbaren Eindruck eines echten Produkts verschwinden lassen», sagt der Unternehmer, der sich mit seinem Angebot Goodtimer seit 24 Jahren in der Klassikwelt bewegt, Oldtimer aufbereitet und handelt.
Die Handelsplattform ist die eigentliche Geschäftsidee
Roarington veröffentlicht unter anderem auch Marktanalysen zum Oldtimer-Geschäft. Viele der realen Fahrzeuge aus den Sammlungen stehen als digitale Zwillinge auf dem Collectors’ Hill. Er soll einen Ausblick über die künstliche Stadt geben, aber auch auf die eigentliche Geschäftsidee hinter dem Oldtimer-Meta-Land.
Denn bei der Handelsplattform von Roarington geht es um echtes Geld. Der Marktplatz ist die Plattform für den Kauf und Verkauf von Oldtimern aus der realen Welt und digitalen NFT (Non-Fungible Tokens). Zudem können die Besucher virtuelle Grundstücke erwerben.
Der Hype um NFT und virtuelle Immobilien im Metaversum ist jedoch längst verebbt. Fritz Kaiser versucht daher, seine digitale Welt den Gegebenheiten anzupassen. Derzeit erweitert er sein Netz der Partner für Roarington. Nach dem Einzug des Museo Nazionale dell’Automobile Turin (Mauto) in der virtuellen Stadt mit einer Auswahl an digitalisierten Museumsfahrzeugen folgte im September 2024 mit der Klassikabteilung von Mercedes ein weiterer wichtiger Partner.
Ein zentrales Thema des Classic Car Trust und von Roarington ist nicht nur, schöne klassische Fahrzeuge zu betrachten, sondern auch, sie zu bewegen. Fahrten im Oldtimer sind oft aufwendig. Sie müssen mit ihrer aus heutiger Sicht veralteten Technik fahrbereit sein und bei Rallys und Klassikrennen einiges aushalten. Noch gibt es genügend Treibstoff und Ersatzteile wie auch genug Wissen hinsichtlich der Instandstellung der Oldtimer, aber das könnte sich eines Tages ändern.
Viel einfacher und dank Gamification auch für junge und jung gebliebene Menschen attraktiv sind virtuelle Fahrten in der digitalen Welt. Sie sind vollelektrisch, Reichweitenprobleme und Verschleiss entfallen. Fritz Kaiser sieht diesen Umstand als Chance: «So können wir den kulturellen Schatz der klassischen Automobile konservieren und gleichzeitig auch neue Generationen für das Thema begeistern.»
Urs P. Ramseier zeigt hingegen etwas weniger Enthusiasmus gegenüber den virtuellen Fahrten: «Bei Oldtimer-Fahrten werden alle Sinne angesprochen. Augen, Haut, Nase, Haare im Wind – all das fehlt in der Simulation. Meine Seele berührt es nicht, das ist für mich eine kalte Welt.»
Neu ist diese Idee freilich nicht. Das Fahren mit Autos im virtuellen Raum gibt es seit vielen Jahren bereits auf der Spielkonsole. Games wie «Gran Turismo» oder «Forza Motorsport» begeistern die Auto- und Rennsportfans bereits seit den späten 1990er Jahren. Hinzu kommt eine Vielzahl von Spielen für den PC. Einige dieser Games ermöglichen auch den Erwerb besonders seltener Autos – immer im virtuellen Raum. Auch die Spielumgebung kann gewählt werden. Und wer mag, kann sein virtuelles Fahrzeug auch vor einem berühmten Gebäude platzieren.
Simulatoren aus Blech und Leder vom Stardesigner
Roarington will weitergehen und den Kunden auch ein «Hands on»-Erlebnis bieten. Wem das Hantieren mit einem Game-Controller zu technisch-spielerisch erscheint, der kann auch in einem der eigens für Roarington gefertigten Simulatoren Platz nehmen und sich am Nardi-Holzlenkrad und den Edelstahl-Pedalen betätigen. Die Simulatoren sind von den Designhäusern Pininfarina und Zagato mit einer Teilkarosserie ummantelt und mit Leder-Steppsitzen versehen.
Man kann sich stellvertretend für viele Experten fragen, ob diese Art der Gamification noch zur Welt der klassischen Automobile passt. Fritz Kaiser aber nutzt die Simulatoren als Marketinginstrument, um sein virtuelles Roarington-Meta-Land auch in der realen Welt bekanntzumachen. Am World Economic Forum in Davos waren zwei der Geräte bereits im Einsatz, zudem kann man im Mauto Turin und im Mercedes-Museum Stuttgart in ihnen Platz nehmen und eine digitale Fahrt unternehmen.
Der Experte Ramseier ist unsicher bezüglich der juristischen Situation: «Verfügt Roarington über die Marken- und Designrechte, um digitale Kopien von analogen Oldtimern zu erstellen? Wenn ja, dann ist die Digitalisierung sogar wertvoll, denn dann entstehen Daten, die sich auch zur Restauration von Fahrzeugen eignen, von denen es keine historischen Pläne mehr gibt. Eine Art Back-up.»
Als prominentes Aushängeschild aus der realen Welt und neuen Investor gewann Fritz Kaiser einen ehemaligen Formel-1-Weltmeister. Kimi Räikkönen engagiert sich bei Roarington und nimmt gelegentlich in einem der Simulatoren Platz. Jüngst heizte er den Vorständen der Mercedes-Klassikabteilung in Stuttgart ein, als er die Richtzeit in einem digitalen Silberpfeil setzte. Kaiser und Räikkönen kennen sich schon viele Jahre aus ihrer gemeinsamen Sauber-Formel-1-Zeit und sind heute Nachbarn am Luganersee.
Der Goodtimer-Chef Widler zweifelt am Wert virtueller Fahrten: «Digitale Erlebnisse wie das Fahren mit einem Oldtimer haben mit Sicherheit ihre Anhänger. Da dies alles fiktiv ist, wird es auch nur die fiktive Anhängerschaft bedienen und aus meiner Sicht niemals einen kulturellen Wert haben, geschweige denn eine Kultur erhalten.»
Neben aller Verspieltheit und Digitalisierung soll auch die Werthaltigkeit der echten Oldtimer in die Welt von Roarington transferiert werden. Mit seinem Fahrzeug auch virtuell zu fahren, soll nur dem Eigner des Originalfahrzeugs möglich sein, der in eine Digitalisierung investiert. Dazu erhält er ein Zertifikat zur Bestätigung seines Eigentums auf vier Rädern wie auch in der digitalen Welt – komplett mit Schmuckschatulle und gravierter Metallplatte zum Anfassen für den Schreibtisch.
Nach den ersten achtzehn Monaten in der Welt digitaler Klassiker zeigt sich Fritz Kaiser optimistisch: «Bis Ende des Jahres wollen wir die Marke von zwölf Millionen Online-Besuchern erreichen.» Das wären mehr, als die weltgrösste Auktionsplattform, Christie’s, ausweist – und diese versteigert nicht nur Oldtimer, sondern Preziosen aller Art.
Die Strategie sieht ein rasantes Wachstum vor, das Roarington in zehn Jahren zum führenden digitalen Ökosystem für Liebhaber klassischer Autos machen soll. Dort sollen sich Oldtimer-Eigner und Sammler treffen, miteinander Fahrzeuge handeln, virtuelle Rennen fahren. «Damit erhalten wir nicht nur das Vermächtnis dieser ikonischen Fahrmaschinen, sondern inspirieren künftige Generationen auf vielfältige Weise», sagt Kaiser. «So bleibt die Klassikwelt auch im Digitalzeitalter am Leben.» Nur ohne Knattern, Röhren, Vibration und Benzingeruch.
Marcel Widler, der lieber mit echten Oldtimern handelt, räumt ein: «Ob nun digitale Wahrnehmung oder physische Wahrnehmung – beides sind Modelle, mit denen Geld verdient wird.» Doch werde die digitale Übersetzung der klassischen Werte die ältere Klientel nicht begeistern und sei jüngeren Kunden vermutlich zu kostspielig.
Ob Fritz Kaiser oder die Oldtimer-Puristen nun recht haben? Der Goodtimer-Chef ist sich selbst nicht sicher: «Wo hinterlässt die Mona Lisa mehr Eindruck – als Original im Louvre oder als Kunstdruck auf Ricardo? Diese Antwort können nur diejenigen geben, die beide Welten erfahren haben.»