Zum ersten Mal erreicht eine Drohne der jemenitischen Miliz die Küstenmetropole – und Israel fragt sich, wie das passieren konnte. Der Angriff stellt das Land vor grosse Herausforderungen. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.
Am frühen Freitagmorgen, kurz nach drei Uhr Ortszeit, hat eine laute Explosion im Zentrum von Tel Aviv die Menschen aus dem Schlaf geschreckt. Polizei und Feuerwehr machten sich auf den Weg zum Ort des Geschehens, unweit des amerikanischen Konsulats. Wenig später herrschte Gewissheit: Die grösste israelische Stadt war mit einer Drohne angegriffen worden. Dabei wurde ein Mann getötet, acht weitere Personen wurden verletzt.
Schnell bekannte sich die jemenitische Huthi-Miliz zu der Attacke. Der Sprecher der islamistischen Gruppe sagte, diese habe Tel Aviv angegriffen und werde dies weiterhin tun. Die Huthi hätten eine neuartige Drohne verwendet, die von der israelischen Luftverteidigung nicht erkannt werden könne. Israel bestreitet dies: Das Militär teilte mit, die Drohne sei zwar erkannt, aber wegen eines menschlichen Fehlers nicht abgeschossen worden. In Tel Aviv wurde vor dem Einschlag kein Luftalarm ausgelöst.
In einer Medienkonferenz sagte der Armeesprecher Daniel Hagari, Israels Militär gehe derzeit davon aus, dass die Drohne von den Huthi gestartet worden sei. Es handle sich um ein Modell des Typs Samad-3, das iranischer Herkunft sei. Wenige Wochen nach Ausbruch des Gaza-Kriegs hatten die Huthi damit begonnen, Frachtschiffe im Roten Meer sowie Ziele in Israel anzugreifen. Dabei wurde meist die Stadt Eilat im Süden des Landes ins Visier genommen. Der Angriff vom Freitag ist der erste, der die als sicher geltende Metropole Tel Aviv erreichte – und darüber hinaus ein Todesopfer forderte.
Wie konnte den Huthi der Angriff gelingen?
Der deutsche Militärexperte Fabian Hinz geht ebenfalls von einem Angriff der Huthi aus. Bilder von Trümmerteilen legten nahe, dass es sich um eine Samad-3-Drohne handle. Diese werde regelmässig von den Huthi bei Angriffen auf Israel eingesetzt, sagt der Forscher vom Berliner Büro des International Institute for Strategic Studies (IISS).
«Diese Drohne kann Ziele in 2000 bis 3000 Kilometern Entfernung erreichen. Wegen der grossen Reichweite kann auch aus überraschenden Richtungen angegriffen werden.» Es sei zudem denkbar, dass die Drohne zusätzlich modifiziert worden sei, um noch weiter fliegen zu können, etwa durch eine Verkleinerung des Sprengkopfs, um die Menge an Treibstoff zu erhöhen.
Jemen liegt rund 2000 Kilometer Luftlinie von Tel Aviv entfernt. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass die Huthi die Drohne auf direktem Weg über den Luftraum Saudiarabiens nach Israel geschickt haben. Die saudische Flugabwehr hätte den Flugkörper mit hoher Wahrscheinlichkeit erkannt und abgefangen. Wahrscheinlicher ist es, dass die Drohne entlang der ostafrikanischen Küste über Eritrea, den Sudan und Ägypten geflogen war, bis sie Tel Aviv über das Mittelmeer erreichte. Die israelische Armee teilte mit, dass die Drohne aus Richtung Meer gekommen sei. Videos zeigen, wie eine Drohne über den Strand flog und kurz darauf in einem Wohngebiet explodierte.
Laut Hinz ist es allerdings unwahrscheinlich, dass die Huthi eine neue Drohne entwickelt haben, die unerkannt den israelischen Luftraum erreichen kann. Es sei denkbar, dass die Huthi die Drohne umgebaut hätten. «Aber ich habe grosse Zweifel, dass sie nun über eine komplett neue Funktion verfügt, deretwegen man die Drohne nicht orten kann.»
Was der Angriff für Israel bedeutet
Der Angriff markiert eine Zäsur in der Konfrontation zwischen Israel und seinen Feinden. Zum ersten Mal wurde eine grosse Stadt im Zentrum des Landes von einer Drohne getroffen. Verteidigungsminister Yoav Gallant deutete am Freitag an, dass Israel auf den Angriff reagieren werde. Man werde mit jedem abrechnen, der dem Staat Israel schade oder Terror gegen ihn ausübe, sagte Gallant nach einem Treffen mit hohen Offizieren.
Weiter zeigt der Angriff, wie sich das Antlitz des Krieges durch billige Drohnen verändert hat. «Vor zwanzig Jahren hätten die Huthi mit ein paar Artilleriegeschützen vielleicht gerade einmal 20 Kilometer weit nach Saudiarabien schiessen können», sagt Fabian Hinz. «Heute kann dieses Regime, das de facto über keine Luftwaffe verfügt, das 2000 Kilometer entfernt liegende Tel Aviv angreifen.» Die Drohnentechnologie gebe Akteuren wie den Huthi ganz neue strategische Werkzeuge in die Hand.
Das stellt Israel vor immense Herausforderungen – nicht nur wegen der Bedrohung aus Jemen, sondern vor allem wegen der Kriegsgefahr im Norden des Landes. Der ebenfalls von Iran unterstützte Hizbullah verfügt über ein beträchtliches Drohnenarsenal. Die Hizbullah-Drohnen sind für Israel eine grössere Herausforderung. Wegen der geografischen Nähe könnte die libanesische Schiiten-Miliz weitaus mehr sowie kleinere Drohnen mit anderen Antriebsformen verwenden, die schwieriger zu orten und abzuwehren sind.
Am Mittwoch hatte der Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah Israel gedroht: Sollten weiter libanesische Zivilisten durch israelische Angriffe umkommen, würde der Hizbullah auch israelische Städte angreifen, die bislang verschont geblieben seien. Falls der Grenzkrieg zwischen Israel und dem Hizbullah eskaliert, wären tödliche Attacken wie jene vom Freitag wohl keine Ausnahme mehr.