George, der für die Washington Wizards spielt, ist erst der dritte Schweizer in der weltbesten Basketballliga. Und hat als erster Rookie in dieser NBA-Saison 20 Punkte erzielt. Ist er schon bald der bestbezahlte Schweizer Teamsportler?
Resilienz und Selbstvertrauen: Diese Wörter beschreiben den Schweizer Basketballer Kyshawn George vielleicht am treffendsten.
Als seine Washington Wizards in der Nacht auf Dienstag gegen die Golden State Warriors spielten, stand George in der Starting Five des Hauptstadt-Klubs. Es war zwar erst sein sechstes NBA-Spiel, aber übermässigen Respekt vor dem besten Basketballteam der vergangenen Dekade schien der 20-Jährige nicht zu haben. Fünf Mal warf George in der ersten Halbzeit von der Dreipunktelinie, fünf Mal verfehlte der Ball den Korb.
Der Wizards-Coach Brian Keefe ermutigte ihn in der Pause, es einfach weiter zu versuchen. Und tatsächlich: In der zweiten Halbzeit zauberte George. Er verwandelte sechs Dreipunktewürfe und erzielte insgesamt 20 Punkte – als erster Rookie in der noch jungen NBA-Saison überhaupt.
Der grosse Einfluss des Vaters
Seine Hartnäckigkeit ist auch der Grund dafür, dass George es in die NBA geschafft hat. Das sagt Erik Lehmann, der Geschäftsführer von Swiss Basketball, im Gespräch mit der NZZ. Er trainierte George, als dieser 14 Jahre alt war. «Kyshawns immenses Potenzial war früh erkennbar. Doch was es braucht, um sich durchzusetzen, hat ihm vor allem sein Vater vermittelt: Konstanz.»
Sein Vater, das ist Deon George. Der Kanadier war einst selbst Basketballprofi; nach seiner Aktivzeit baute er in Monthey im Kanton Wallis ein Unternehmen auf, das Trainings für Jugendliche anbietet. So fanden auch seine Söhne Jamal (21) und Kyshawn zum Sport. Kürzlich erzählte Kyshawn George, sein Vater habe mit ihm immer und immer wieder Dreipunktewürfe geübt. «Hard work pays off», sagen die Amerikaner dazu. Harte Arbeit zahlt sich aus.
Doch so einfach war es nicht. 2019 wechselte George vom BBC Monthey in die Jugendabteilung des französischen Klubs Élan Sportif Chalonnais. Von dort hatten bereits die Schweizer Thabo Sefolosha und Clint Capela den Sprung in die weltbeste Basketballliga geschafft.
George kämpfte nach seiner Ankunft in Chalon zunächst aber mit Knieproblemen. Weil er in kurzer Zeit so schnell wuchs – von 1,73 auf 2,03 m. Von 2020 bis 2022 spielte er deshalb nur selten. Als er im U-21-Team von Chalon jedoch seine Chance erhielt, nutzte er sie. Lehmann sagt: «George war immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Eine seiner Fähigkeiten ist, sich jeweils schnell ans nächsthöhere Niveau zu adaptieren.»
Im April 2023 wagte George den Schritt nach Nordamerika, er schloss sich dem College-Team der University of Miami an. Dass sein Vater das amerikanische Ausbildungssystem aus eigener Erfahrung bestens kennt, dürfte ihn ebenso zum Wechsel bewogen haben wie die Aussicht auf einen deutlich höheren Lohn. Und natürlich das viel grössere Schaufenster. In den USA erreichen die Partien der College-Liga NCAA am TV ein Millionenpublikum. Bei den Miami Hurricanes reüssierte George sofort, seine Quote von über 40 Prozent verwandelten Dreipunktewürfen war beachtlich.
Here’s 1 minute of Kyshawn George, 6’8” wing out of Miami, making 9 straight 3s from all over the court during the star drill. Shooters shoot! pic.twitter.com/iYXGQEhwA4
— Krysten Peek (@krystenpeek) May 13, 2024
Wie viel Selbstvertrauen George hat, zeigte sich spätestens in diesem Jahr: Nach nur einer College-Saison meldete er sich direkt für den NBA-Draft an. Er wusste, dass die Talentspäher der NBA-Teams ihn längst auf dem Zettel hatten. Die New York Knicks verpflichteten ihn Ende Juni an 24. Stelle in der 1. Draft-Runde und gaben ihn direkt an die Washington Wizards weiter.
Der Trade erwies sich für George als Glücksfall: Denn in Washington ist er Teil eines Teams, das sich im Wiederaufbau befindet. Die Erwartungshaltung im Klub ist nach der schlechten letzten Saison deutlich tiefer als bei einem Titelkandidaten.
Zudem setzen die Klubchefs konsequent auf junge Talente wie die Franzosen Bilal Coulibaly und Alex Sarr – und eben George. Erst recht, seit die Stars Malcolm Brogdon und Kyle Kuzma wegen Verletzungen fehlen. Als Kuzma ausfiel, übernahm George dessen Position. Mittlerweile agiert er schon so stilsicher, dass er seinen Platz in der Startformation wohl selbst bei einer Rückkehr des Routiniers behielte.
Nach der 112:125-Niederlage gegen die Golden State Warriors wurde der Wizards-Coach an der Pressekonferenz gefragt, weshalb er George nach dessen Fehlschüssen nicht ausgewechselt habe. Brian Keefe sagte: «Der Coaching-Staff ist überzeugt von seinen Qualitäten. Wir sehen es jeden Tag auf dem Trainingsplatz: George ist ein phantastischer Schütze.»
Erik Lehmann von Swiss Basketball sagt über George: «Sein grosser Vorteil ist die Vielseitigkeit. In der Defensive kann er ausser als Center und Point Guard auf allen Positionen eingesetzt werden.» Weil George auch als Verteidiger überzeugte, kam er seit dem Saisonstart auf so viel Einsatzzeit wie kaum ein anderer Rookie. Durchschnittlich stand er 27,3 Minuten auf dem Platz – was zeigt, wie wertvoll er für die Wizards bereits ist.
Spielt George für das Schweizer A-Nationalteam? Oder für Kanada?
Swiss Basketball erhofft sich von Georges steilem Aufstieg einen Schub für die Fördermassnahmen des Verbands. Zurzeit versucht dieser, George als Botschafter für die U-19-WM zu gewinnen. Die findet im nächsten Sommer in der Schweiz statt. Lehmann sagt: «George ist für die jungen Basketballer im Land die perfekte Identifikationsfigur. Er hat alle Juniorenstufen in Monthey absolviert und spielte bis zur U 16 in den Schweizer Nationalteams.»
Ob George dereinst für die A-Nationalmannschaft spielen wird, ist allerdings unklar; er besitzt auch die kanadische Staatsbürgerschaft. In Kanadas Auswahl könnte er von prominenten Basketballern wie Shai Gilgeous-Alexander und Jamal Murray lernen und sich an Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen zeigen. Er würde dort auf deutlich attraktivere Gegner treffen, als wenn er sich für die Schweiz entschiede.
Vorerst will sich George ganz auf die NBA konzentrieren. Der Vater und die Mutter haben ein Sabbatical eingelegt und sind mit ihm nach Washington gezogen. Unterstützung erhält er auch vom früheren Defensivspezialisten Sefolosha, der ihn bereits besucht und mit Tipps versorgt hat.
Will sich der schmächtige George längerfristig durchsetzen, muss er vor allem an seiner Physis arbeiten. Hierfür ist die NBA die perfekte Liga. Denn die reguläre Saison dauert jeweils nur sechs Monate, den Rest der Zeit kann George nutzen, um seinen Körper widerstandsfähiger zu machen.
Der Vierjahresvertrag mit den Washington Wizards garantiert ihm rund 6 Millionen Dollar. Entwickelt sich George so rasant weiter wie bis anhin, wird er bald eine Vertragsverlängerung unterschreiben – und dereinst vielleicht sogar Capela als bestbezahlten Schweizer Teamsportler ablösen. Der hat in seiner Karriere schon 130 Millionen Dollar verdient. Hard work pays off. Für NBA-Spieler jedenfalls.