Selbst bei Siemens Gamesa scheint das Schlimmste überstanden. An der Börse werden geprügelte Firmen wie Vestas und Orsted wieder gefeiert.
Wie ein Schiffbrüchiger wartete die Windkraftbranche auf die erlösende Brise. Sie hat sie bekommen. Die Aktien von Siemens Energy, einem der grössten Sorgenkinder, haben seit Ende Oktober 2023 ihren Wert fast verdoppelt. Jene des Konkurrenten Vestas, des weltweit wichtigsten Windradherstellers, kletterten um 45 Prozent. Die Papiere von Orsted, dem weltgrössten Entwickler von Offshore-Windparks, stiegen um die Hälfte.
Die Windkraft musste lange auf diese Brise warten. Die Teuerung, die nach der Corona-Pandemie eingesetzt hatte, verteuerte die Rohmaterialien – insbesondere Stahl. Das steigende Zinsniveau brachte die Finanzierungen der Windparkbetreiber durcheinander. Manche Auktionen von Arealen für Windparks zogen kaum oder keine Gebote an. Bestellungen für Windräder blieben aus. 2023 wurde zum Krisenjahr.
Bei Siemens stapelten sich die Probleme
Bei wenigen Unternehmen häuften sich die Probleme so offensichtlich wie bei Siemens Energy und der Windrad-Tochtergesellschaft Siemens Gamesa. Als wären die Branchenprobleme nicht genug gewesen, traten bei an Land (onshore) aufgestellten Turbinen grosse Qualitätsmängel auf. Das brachte Siemens Energy in solche Schieflage, dass der deutsche Staat mit einer Bürgschaft von 7,5 Milliarden Euro zu Hilfe eilte.
Jetzt hat sich die Lage stabilisiert: Von Oktober bis Dezember erzielte Siemens Gamesa, der zu den grössten Herstellern zählt, einen Umsatz von 2 Milliarden Euro. Das ist etwas mehr als im Vorjahresquartal. Der Geschäftsverlust halbierte sich auf 434 Millionen Euro, wie das Unternehmen in dieser Woche mitteilte. Die Aufträge stiegen leicht, vor allem bei der Wartung und für Windräder auf See (offshore).
Hingegen sanken die Bestellungen im Onshore-Bereich um mehr als die Hälfte, weil Siemens Gamesa den Vertrieb von zwei wichtigen Windradmodellen gestoppt hat. Dies, um die Qualitätsprobleme zu lösen. Die Sparte nimmt an, dass die Schäden zu Kosten von 1,6 Milliarden Euro führen werden. Erst für 2026 erwartet sie eine Rückkehr in die Gewinnzone.
Vestas ist zurück in den schwarzen Zahlen
Über den Verkaufsstopp freut sich der Konkurrent Vestas aus Dänemark. Er betrifft grosse Windturbinen mit einer Kapazität von mehr als 4 Megawatt, die wegen ihrer Effizienz immer stärker gefragt sind. Vestas könnte hier Marktanteile gewinnen. Und weil die Windparkbetreiber grosse Turbinen wünschen, können die Hersteller höhere Margen verlangen. Im anziehenden Markt erholt sich ihre Preissetzungsmacht ohnehin.
Vestas überraschte 2023 positiv, arbeitete sich aus der Verlustzone heraus und erzielte einen Betriebsgewinn (Ebit) vor Sondereffekten von 231 Millionen Euro. Fast der gesamte Gewinn fiel von Oktober bis Dezember an; in jener Zeit gingen zudem Bestellungen in Rekordhöhe ein. Ein Treiber war eine deutliche Erholung des Marktes in den USA.
Diese Erholung hat politische Gründe. Darüber dürfte sich auch Orsted freuen, der weltgrösste Windparkentwickler. Das dänische Unternehmen musste vergangenes Jahr zwei Offshore-Projekte in den USA stornieren, weil unklar war, ob es dafür Subventionen in der erhofften Höhe erhalten wird. Das führte zu Abschreibungen von umgerechnet 4 Milliarden Dollar. In der Folge schrieb Orsted für 2023 einen Verlust von 2,9 Milliarden Dollar.
Klare Sicht auf die Fördertöpfe
Ohne staatliche Förderungen läuft immer noch wenig bei der Energiewende. Mittlerweile ist klar, dass wichtige Steuervergünstigungen verlängert werden – dies als Teil der Inflation Reduction Act, mit der Präsident Joe Biden Unternehmen aus vielen Industriezweigen anlockt. In Europa ist mittlerweile die Net Zero Industry Act auf dem Weg, die ebenfalls grüne Technologien fördern soll.
Dennoch ist Orsted vorsichtig geworden. Nach einem Umbau im Management kündigte das Unternehmen in dieser Woche den Abbau von 800 der rund 9000 Arbeitsplätze an und strich die geplanten Investitionen und damit die Wachstumsziele zusammen. Der Konzern brauche einen Neustart, sagte der Chef Mads Nipper. Das darf als Eingeständnis gelesen werden, dass Orsteds Vorpreschen im Offshore-Bereich nicht immer durchdacht war.
Die UBS erwartet, dass der globale Offshore-Markt bis 2030 um jährlich 20 Prozent wachsen wird – und damit deutlich schneller als das Onshore-Segment mit 7 Prozent. Die weltweit installierte Kapazität auf dem Wasser liegt noch weit hinter jener auf dem Land zurück. Ein wichtiger Teil der Aufholjagd wird sich in China abspielen – einem schwierigen Pflaster für westliche Windradhersteller. Dort dominieren chinesische Anbieter.
Umso wichtiger ist für die westlichen Firmen, dass ihre Heimmärkte wieder Tritt fassen. Dafür müssen die Konditionen stimmen: Vergangenes Jahr blieb in Grossbritannien eine Offshore-Auktion ganz ohne Gebote, weil der von der Regierung offerierte Strompreis zu niedrig war, um die gestiegenen Kosten der potenziellen Betreiber zu decken. Mittlerweile wurden die Bedingungen angepasst. Auch aus den USA gibt es Anzeichen, dass der Strompreis bei den Auktionen flexibler werden könnte.
Bei Gurit kommt erst wenig an
Das hat zum Optimismus beigetragen, der die Aktien der Branche nun einen Teil der Kursverluste ausgleichen liess, die seit dem Hoch in der Pandemie angefallen sind. Ein Unternehmen hat davon jedoch nicht profitiert: der Schweizer Zulieferer Gurit, der unter anderem Verbundwerkstoffe und Formen für Rotorblätter herstellt.
Der Gurit-Aktienkurs hat seit Anfang 2023 rund 20 Prozent verloren. Das Unternehmen aus Wattwil meldete für das vergangene Jahr einen Umsatz von 460 Millionen Franken – ein Rückgang um 8 Prozent, was am starken Franken lag. Doch Gurit konnte kaum Aufträge in der Heimatwährung abrechnen, was laut der Zürcher Kantonalbank (ZKB) auf eine schwache Preissetzungsmacht schliessen lässt. Hinten in der Wertschöpfungskette ist die neue Brise offenbar noch nicht angekommen.