Ein Pilotprojekt für ausländische Straftäter, die ausreisen müssen, war so erfolgreich, dass es nun definitiv umgesetzt wird.
Herr G. ist ein Mann mit einer Kriminalkarriere, wie man sie immer wieder sieht: Der Algerier war als Asylbewerber zuerst nach Italien gelangt und reiste dann weiter in die Schweiz, wo er straffällig wurde. Schliesslich wurde er verhaftet und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Dazu erhielt er fünf Jahre Landesverweis.
Eigentlich, so würde man meinen, hat die Schweiz in Fällen wie diesem nur ein Interesse: den Mann nach Verbüssung seiner Freiheitsstrafe so schnell wie möglich in sein Herkunftsland abzuschieben.
Das ist zwar schon so, aber das Flugticket nach Algerien war nur ein Teil eines Pakets, das der Kanton Zürich für den 51-Jährigen schnürte. Die Behörden boten dem Mann an, ihn bei einem Neustart in seiner Heimat zu unterstützen – er wollte dort ein Elektrogeschäft eröffnen.
Ausserdem versprach man ihm, dass er schon nach zwei Dritteln seiner Freiheitsstrafe bedingt aus dem Gefängnis entlassen würde, wenn er kooperiere und unbegleitet ausreise. Der Mann willigte ein.
Herr G. war einer von 309 ausländischen Straftätern, die im Kanton Zürich seit Anfang 2023 an einem Pilotprojekt teilgenommen haben. Dabei ging es darum, ihnen mit einer Rückkehrberatung eine Perspektive zu bieten und sie dazu zu bringen, von sich aus in ihre Heimat zurückzukehren. Das Projekt war so erfolgreich, dass das Programm per Anfang 2026 definitiv eingeführt wird.
Am Donnerstag haben der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (parteilos) und die Justizdirektorin Jacqueline Fehr (SP) über die Erfahrungen mit dem Projekt berichtet.
Kubaner müssen freiwillig ausreisen
Die beiden Zürcher Regierungsräte betonten, dass der Kanton Zürich handfeste migrationspolitische, gesellschaftliche und auch finanzielle Interessen habe, entlassene Strafgefangene auch im Ausland bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu unterstützen.
Allein dadurch, dass rückkehrwillige Straftäter bereits nach zwei Dritteln der Freiheitsstrafe entlassen worden seien, habe der Kanton seine Kosten um 370 000 Franken gesenkt, sagte Jacqueline Fehr.
Bei der Ausreise selbst spare man ebenfalls viel Geld. «Die freiwillige Rückkehr ist mit Abstand die kostengünstigste Variante. Man erspart sich einen Polizeieinsatz, Sonderflüge, den Kontakt mit den Botschaften und spart viel Verwaltungsaufwand», sagte sie.
Mario Fehr ergänzte, dass das Programm gerade für Länder viel bringe, mit denen kein Rücknahmeabkommen bestehe. In diesen Fällen, etwa bei Kubanern oder Iranern, ist eine forcierte Ausschaffung nicht möglich, nur eine freiwillige Rückkehr. Und das funktioniert nur mit Anreizen.
Nicht zuletzt gehe es darum, im Gefängnis eine Zweiklassengesellschaft zu verhindern, sagte Jacqueline Fehr. Wenn nur jene auf ihre Rückkehr in die Freiheit vorbereitet würden, welche in der Schweiz bleiben dürften, dann würde dies das Gefängnisklima erheblich belasten, mit entsprechenden organisatorischen und finanziellen Folgen. Wer eine Perspektive habe, sei im Strafvollzug kooperativer.
Pro Jahr werden im Kanton Zürich etwa 250 bis 300 Landesverweise ausgesprochen.
Hilfe bei der Schafzucht
Dass Entlassene direkt Geld erhalten, um ein Projekt aufzubauen, war im Pilotprojekt nur bei sieben Prozent der Fall. Viel bedeutender war die organisatorische Unterstützung vor der Abreise. Diese nahm etwa die Hälfte in Anspruch.
Zu ihnen gehört der Bosnier R. Er ist in der Schweiz aufgewachsen, spricht Zürcher Dialekt und hatte kaum einen Bezug zu seiner alten Heimat, als er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Dennoch erhielt er sechs Jahre Landesverweis.
Ihn unterstützten die kantonalen Behörden im Gefängnis damit, dass er mit einer App Bosnisch lernte. Weiter konnte er ein Projekt zur Schafzucht und Milchproduktion in Bosnien aufgleisen und im Vollzugszentrum Bachtel externe Kurse zur Tierzucht und zur Käseproduktion besuchen. Im September 2024 reiste er freiwillig nach Bosnien aus. Von dort schickte er später Bilder seiner Schafherde und eines neuen Stalls nach Zürich.
Der Wellensittich darf mit
Die kantonalen Behörden konnten sich im Pilotprojekt für Straffällige auf Erfahrungen abstützen, die sie im Asylbereich gesammelt hatten. Dort werden Ausreisewillige seit über 30 Jahren unterstützt, und dies in grosser Zahl. So sind seit 2022 allein über 1800 Personen aus der Ukraine mit Status S nach einem Beratungsgespräch ausgereist.
Aus Zürcher Sicht ist die Grundidee immer die gleiche: Je kooperativer jemand bei der Rückkehrvorbereitung ist, desto grösser ist die Bereitschaft, der Person entgegenzukommen. «Wir haben auch schon Wellensittiche und Velos transportiert», erzählte Mario Fehr.
Er stellte den Fall einer Frau aus dem Irak vor, die in ihrer Heimat ein Geschäft mit Pflegeprodukten aufbauen wollte und dafür 3000 Franken Projekthilfe erhielt. Zurück im Irak, änderte die Frau ihre Pläne und liess sich zur Dentalassistentin umschulen. Ein Besuch einer Organisation vor Ort habe ergeben, dass die Frau zufrieden sei, einen guten Lohn erziele und die momentane Situation besser sei als zuvor.
Manchmal brauche es nur ganz wenig, sagte Mario Fehr. So würden manche Rückkehrende sich schlicht wünschen, anständig gekleidet nach Hause zu kommen, um nicht wie ein Verlierer dazustehen.
Ob allen freiwilligen Rückkehrern der Neustart so gelingt, wie sie es sich in der Zürcher Asylunterkunft oder in der Gefängniszelle ausmalen, wissen die Behörden übrigens nicht. Nachverfolgt werden nur einzelne Fälle.