Der Brite will die Scuderia aus der Krise führen und den achten WM-Titel feiern. Doch der Start der Formel-1-Saison am 16. März wird für ihn auch zu einer Fahrt ins Ungewisse.
Die Szene hat beinahe etwas Gotteslästerliches: Lewis Hamilton, wie er vor dem alten Bauernhaus von Enzo Ferrari steht. Stilecht in einem Ferragamo-Mantel, wie der grosse «commendatore» früher. Piazza Michael Schumacher heisst offiziell der Ort, an dem das Symbolfoto für einen der aufregendsten Neuanfänger der Formel-1-Geschichte aufgenommen wird.
Neben Hamilton steht sein Lieblings-Strassenauto, ein F 50. Aber die entscheidenden Details befinden sich hinter ihm. Sieben Fenster mit geöffneten Fensterläden und direkt hinter sich eine rote Tür. Sinnbild dafür, was die beiden grössten Marken der Königsklasse miteinander vorhaben in der am 16. März in Melbourne beginnenden 75. Grand-Prix-Saison: den Titel holen, der für Hamilton persönlich der achte wäre. Die Gotteslästerung ist durch das grosse gemeinsame Vorhaben entkräftet – Ferrari ist in Italien Religion, und der Brite soll der fahrerische Messias werden. Ein angeblich 60 Millionen Dollar im Jahr teurer Erlöser.
Hamilton, durchgestylt bis zu den Schuhsohlen
Egal, wie es ausgeht, Hamilton als assimilierter Italiener ist die Story dieses Rennjahres. Mit einem ungleich verteilten Risiko: Sollte es schiefgehen, was man vielleicht erst nach dem Reglementwechsel in der kommenden Saison richtig beurteilen kann, wäre es für Ferrari nur ein weiterer kostspieliger Irrtum. Hamiltons Habitus als «greatest of all time» aber bekäme einen tiefen Kratzer. Das erhöht die Spannung dieser Versuchsanordnung ungemein.
Der eingangs beschriebene erste Auftritt als Erbe der grossen Ferrari-Historie ist perfekt orchestriert, bis hin zu den roten Sohlen von Hamiltons Schuhen. Das Bild hat auf Anhieb 4,5 Millionen Likes bekommen, so viel wie noch nie zuvor ein Formel-1-Posting. Der Brite hat in den sozialen Netzwerken fast 48 Millionen Follower, mehr als doppelt so viele wie die Scuderia.
Das ist ein numerischer Ausdruck dessen, dass beide viel voneinander erwarten. Aufmerksamkeit ist das Erste, aber Leistung wird das Entscheidende. Hamilton hat in seiner Formel-1-Karriere nie etwas anderes gefahren als einen Mercedes-Motor, jetzt muss er sich mit «la macchina» anfreunden, dem mythischen Motor aus Maranello. Allerdings ist er privat schon längst mit Sportwagen aus Maranello unterwegs, er durfte das nur nie so offen ausleben.
Die grossen Silberpfeil-Zeiten scheinen schon nach ein paar Wochen Akklimatisierung in Norditalien zu verblassen, Hamilton gibt sich ganz der Ferrari-Leidenschaft hin. Weshalb er Mercedes nach drei Krisenjahren verliess, erklärt er mit seinen Ansprüchen. «Ich bin keiner für den Stillstand. Ich muss mich selbst immer wieder in unkomfortable Situationen begeben.» Und plötzlich ist alles wieder wie beim ersten Mal, nur eben in Rot. Jener ikonischen Farbe, die für das neue Rennjahr auf den Autos etwas dunkler und damit edler geworden ist.
Es ist die mehr oder weniger heimliche Traumfarbe aller Rennfahrer, die Krönung einer Karriere. Das heimliche Buhlen um Hamilton hatte schon im Frühjahr 2023 begonnen, Anfang 2024 machte der Fiat-Erbe John Elkann persönlich alles klar, jetzt beginnen die Wochen der Wahrheit. Die Fans sind verzückt, der Ferrari-Wahn wurde noch einmal gesteigert, alles scheint zu explodieren.
Dieser ewigen Versuchung hat sich kaum ein Grosser im Cockpit entziehen können. Auch Ayrton Senna stand 1993 auf der Wunschliste des damals gerade neu berufenen Teamchefs Jean Todt, man vertagte die Gespräche. Kein Jahr später starb der Brasilianer in Imola, und Todt holte Michael Schumacher. Gemeinsam schufen sie die erfolgreichste Ära der Ferrari-Historie.
Das dürfte den Reiz für Lewis Hamilton mit dem letzten Transfer seiner Karriere noch gesteigert haben: Michael Schumacher, mit sieben WM-Erfolgen derzeit noch gleichauf, in einem Ferrari zu übertrumpfen. Der Deutsche hatte damals 21 titellose Jahre beendet, inzwischen dauert die Erfolglosigkeit der berühmten «gestione sportiva» in der Fahrerwertung schon wieder 18 Jahre.
Hamiltons Verpflichtung ist der dritte Versuch in jüngerer Zeit, mit einem gestandenen Champion wieder nach oben zu kommen. Doch sowohl Fernando Alonso wie Sebastian Vettel waren nach anfänglicher Euphorie an der Aufgabe, vor allem den Umständen bei Ferrari gescheitert, wo das Politische manchmal wichtiger erscheint als das Sportliche.
Lewis Hamilton tut gut daran, sich an Michael Schumachers rationalem Weg zu orientieren. Für das Buch «Weltmeisterwagen» hat Hamilton seinem vor elf Jahren beim Skifahren schwer verunfallten Freund von Legende zu Legende in einem offenen Brief geschrieben: «Mir wird bewusst, dass ich erneut in Michaels Fussstapfen trete. Es ist aufregend, wenn ich bedenke, dass ich denselben Zauber entdecken kann. Ich hoffe, dass ich in der Lage sein werde, dieser Geschichte ein Kapitel hinzuzufügen, das neben Michaels historischen Erfolgen mit der Scuderia Bestand hat.» Es geht um Erfolg und Ego gleichermassen.
«Ich werde nie ein alter Mann»
Schumacher war 27 und kam als Champion, als er bei Ferrari anheuerte, Hamilton ist im Januar 40 geworden und war zuletzt WM-Siebter. Das ist für viele Kritiker das grösste Hindernis für den Erfolg der neuen Verbindung. Hamilton wischt diese Bedenken mit überbordendem Selbstbewusstsein vom Tisch: «Natürlich altert der Körper. Als erster schwarzer Fahrer in diesem Sport bin ich durch so vieles gegangen, man kann mich mit keinem anderen 40-jährigen Piloten vergleichen. Ich werde nie ein alter Mann sein.»
Sein neuer Teamkollege Charles Leclerc, 13 Jahre jünger, attestiert: «Lewis ist extrem gut in Form und total motiviert, in dieses neue Abenteuer zu starten. Ich glaube, er kommt zur richtigen Zeit zu Ferrari.»
Der Monegasse, Ferraris ursprünglicher Kronprinz, könnte zum Stolperstein für die Traumehe werden. Er muss sich jetzt beweisen, um nicht als ewiges Talent abgeschrieben zu werden. Bei den Testfahrten hat er jeden Schritt des Kollegen beobachtet. Viele prognostizieren einen Stallkrieg, Leclerc glaubt nicht daran. «Wir haben einen sehr ähnlichen Fahrstil, verlangen also dieselben Dinge vom Auto.» Die beiden sollen sich gegenseitig antreiben. Einstweilen beharken sie sich nur beim Schach, nach der ersten Runde stand es 3:2 für Hamilton.
Das wird den Teamchef Fred Vasseur freuen, auch für ihn steht viel auf dem Spiel. Der Franzose sitzt nach zwei Jahren fest im Sattel, seine Änderungen beginnen zu greifen. Die Erwartungen sind jetzt enorm. Zumal die Scuderia McLaren 2024 fast noch den Konstrukteurstitel weggeschnappt hätte und die Fahrzeugkonzepte unverändert bleiben. Einen Plan B haben sie bei Ferrari auch, falls die Idee Hamilton nicht wie erhofft greifen sollte – der hoffnungsvolle britische Rookie Oliver Bearman ist einstweilen beim Haas-Team parkiert.
Aber an die grösstmögliche Peinlichkeit mag noch keiner denken. Hamilton sagt nach einem Monat Akklimatisierung in Italien, dass Ferrari absolut jede Zutat habe, um gewinnen zu können. Jetzt muss er noch das Seine dazutun. Auch eine interessante Frage, wer wohl wem seinen Stil aufdrücken wird. Für eine Titelstory im Magazin «Time» hat er sich neben einem schwarzen Pferd inszenieren lassen und liefert gleich das passende Mantra: «Wir befinden uns in einer Zeit, in der wir uns die Zukunft neu ausmalen können. Das tun, wovon wir wirklich träumen. Für Ferrari zu fahren, das ist für mich der grösste Traum.»
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