Über ein Schlupfloch in der Mobiltelefon-App einer Pub-Kette bestellen immer mehr Britinnen und Briten Speis und Trank an die Tische fremder Pub-Besucher. Was motiviert sie dazu?
Mit der Covid-Pandemie sind auch in britischen Pubs immer seltener Menus auf Papier erhältlich. Zwar weiss man inzwischen, dass sich das Virus eher durch die Luft als durch den Kontakt mit Oberflächen verbreitet. Dennoch werden Kunden bis heute aufgefordert, ihre Bestellungen mit dem Mobiltelefon abzuwickeln und zu bezahlen – was für den Gastronomiebetrieb effizienter ist.
Schlupfloch in der App
Auch bei der britischen Pub-Kette Wetherspoons – im Volksmund «Spoons» genannt – hat sich zum Bestellen von Pints und Pub-Food eine App durchgesetzt. Ein Schlupfloch in deren Einstellungen hat findige Nutzer zu einem neuartigen Trinkspiel animiert, das in den letzten Monaten einen regelrechten Boom erlebt hat.
Ähnliche Applikationen von McDonald’s oder Pizza Express orten den Standort des Telefons, um zu überprüfen, ob sich die Kunden tatsächlich im Lokal befinden. Die «Spoons»-App hingegen fordert die Nutzer bei Bestellungen auf, manuell zu bestätigen, in welchem der rund 900 Pubs im Land und an welchem Tisch sie sitzen. Es ist also möglich, dass jemand im hohen Norden Schottlands weilt und ein Bier an einen Tisch in ein Pub ins 1400 Kilometer entfernte Cornwall im Südwesten Englands bestellt.
Entdeckt hat dieses Schlupfloch der 42-jährige Chris Illman, der als Erfinder des «Spoons»-Trinkspiels gilt. Er gründete eine Gruppe auf Facebook, die inzwischen weit über eine halbe Million Mitglieder zählt. Diese können eine Fotografie von sich und ihren Begleitern im Pub veröffentlichen – zusammen mit dem Namen der Gaststätte und ihrer Tischnummer.
In den Genuss von Wein, Bier und Schnaps kamen vor einigen Wochen Geoff and Josephine Irlam im Pub George Inn in der Nähe von Stoke-on-Trent. Ihr Enkel hatte in der Facebook-Gruppe ein Bild veröffentlicht mit der Nachricht, er wolle «Nana» und «Granddad» für einen «frühen Schlummertrunk» ins Pub ausführen.
Die 20-jährige Sonya Colliander besuchte derweil kürzlich «The Moon Under Water» im Zentrum Londons, um mit ihrer besten Freundin «den Start eines neuen Kapitels zu feiern», wie sie auf Facebook schrieb. Die Freundin hatte sich soeben von ihrem Partner getrennt, worauf Fremde den jungen Frauen Tequila-Shots an den Tisch bestellten.
Unklare Motivation
Das Trinkspiel kommt mit wenigen Regeln aus, die freiwillige Moderatoren in der Facebook-Gruppe durchsetzen. So müssen die Spieler ein Foto von sich selber und ihren Tischgenossen publizieren – wer jünger aussieht als 25, muss sein Alter verifizieren. Damit der Spass nicht zur Sauforgie verkommt, müssen die Nutzer den Mitspielern in der Ferne signalisieren, wenn sie genug getrunken haben – sonst beenden die Moderatoren das Spiel.
Im Geburtsland von Adam Smith rätselt man nun darüber, was so viele Britinnen und Briten antreibt, wildfremden Leuten ein Bier zu spendieren, ohne daraus einen unmittelbaren Vorteil zu ziehen. Chris Illman, der das Spiel nach einer Krebserkrankung erfand, erklärte gegenüber dem «Guardian», manche Mitspieler handelten aus Dankbarkeit nach der Überwindung schwieriger Lebenssituationen.
Andere freuten sich über den Scherz, unbekannte Pub-Besucher mit überraschenden Drinks zu beglücken. Zum Kodex des Spiels gehört auch, dass man später auch als Spender mitmacht, nachdem man in den Genuss von kostenlosen Speisen und Getränken gekommen ist.
Illman ist es gar gelungen, den Spieltrieb für wohltätige Zwecke zu nutzen. So besucht er regelmässig Pubs im ganzen Land und fordert die Mitspieler auf, Take-away-Menus zu bestellen, die er an Obdachlose verteilt. Zu den Gewinnern gehört aber auch Wetherspoons. Laut einer Schätzung Illmans soll das Trinkspiel bereits über 1 Million Pfund in die Kasse der Pub-Kette gespült haben.