Der Tessiner Nicola Biasca ist überzeugt, dass Fouls härter und konsequenter geahndet werden müssten. Nur so würde die Anzahl der Kopfverletzungen im Eishockey endlich sinken.
Es war eine Szene, wie sie im Eishockey immer wieder vorkommt. Im Spiel der National League vom Mittwoch checkte Lausannes Verteidiger Andrea Glauser den Zuger Mark Michaelis in Bandennähe gegen den Kopf. Glauser erhielt eine Zweiminutenstrafe, für das Opfer Michaelis war die Partie zu Ende.
Das alarmiert den Orthopäden und Chirurgen Nicola Biasca. Er hat früher für Ambri-Piotta und den Grasshopper-Club in der Nationalliga B Eishockey gespielt. Heute ist er Klubarzt in Ambri, zuvor war er fast zwanzig Jahre lang Mitglied in internationalen Gremien, welche sich dem Schutz der Spieler widmen.
Biasca sagt in einer Art flammendem Plädoyer: «Wir haben im Jahr 2002 die neuen Head-Checking-Rules im Weltverband IIHF eingeführt, damit die Zahl der Kopfverletzungen endlich zurückgeht. Die Aufgabe der Schiedsrichter ist schwieriger geworden, da das Spiel schneller und athletischer geworden ist. Doch unsere Schiedsrichter schützen die Spieler zu wenig und arbeiten nicht wirklich mit uns zusammen. Statt dass sie Aktionen wie jene im Match in Zug hart ahnden, schauen sie, ob der Spieler wirklich verletzt ist oder ob er eine Mitschuld an der Verletzung trägt.»
Gemäss Biasca gibt es im Regelbuch «keinen sauberen Check gegen den Kopf oder den Nacken». Die Zahl der Kopfverletzungen nimmt weiter zu. Laut einer Studie der IIHF werden zwei Drittel der Gehirnerschütterungen durch Checks verursacht, und nur die Hälfte davon wird bestraft.
Hollywood hat sich des Themas im Film «Concussion» angenommen
Das Problem ist seit längerem bekannt und schadet dem Image des Eishockeys – spätestens seit man aus dem amerikanischen Profisport weiss, welch gravierende Langzeitfolgen Gehirnerschütterungen haben können. Wiederholen sie sich, können sie zu degenerativen Veränderungen im Gehirn führen. Hollywood hat sich des Themas im Film «Concussion» angenommen.
Andrea Glauser kam im Match vom Mittwoch mit einer Zweiminutenstrafe davon. Beurteilt wurde die Szene vom Headschiedsrichter Mikko Kaukokari. Der Finne gilt als einer der besten Spielleiter im europäischen Eishockey. Kaukokari hatte darauf verzichtet, die Szene auf Video anzuschauen, ehe er sie ahndete. Der Player Safety Officer, dessen Aufgabe es ist, Szenen wie diese noch einmal zu prüfen und allenfalls weiterzuverfolgen, leitete kein entsprechendes Verfahren ein und stützte damit das Urteil des Referees auf dem Eis.
Glauser riss vor dem Kontakt mit dem Gegenspieler seinen Stock in die Höhe. Gleichzeitig verhielt sich Michaelis ungeschickt, indem er dem Check auszuweichen versuchte und Glauser dabei den Rücken zuwandte. Wäre Michaelis einfach weitergefahren, wäre wohl nichts passiert.
Nicola Biasca sagt: «Im Prinzip müssen alle unerlaubten Kontakte am Kopf und Nacken von der Eisfläche verschwinden. Und die Regel 60 des IIHF-Regelbuchs schreibt vor, dass die Spieler die Kontrolle über ihren Stock haben müssen. Sie sind für ihn verantwortlich.»
Viele der Zusammenstösse ereignen sich auf offenem Eis, weshalb flexible Banden nur bedingt helfen
Eishockey ist eine Kontaktsportart. Und mit der Geschwindigkeit des Spiels ist die Zahl der Verletzungen gestiegen. Mit flexiblen Banden, die beim Aufprall nachgeben und damit die Wucht etwas dämpfen, hat man versucht, das Risiko von Verletzungen zu vermindern. Doch viele der Zusammenstösse, die zu schweren Gehirnerschütterungen führen, ereignen sich nicht in Bandennähe, sondern auf offenem Eis, wo das Tempo oft noch höher ist.
Vor der Saison hatte der Schweizer Schiedsrichterchef Andreas Fischer in einem Meeting mit den Sportchefs darauf hingewiesen, dass die Spieler durch die Klubs für ihr Verhalten auf dem Eis sensibilisiert werden müssen. Nicht nur für das Austeilen von Checks, sondern auch für das Einstecken. In dieser Hinsicht liegt noch immer vieles im Argen.
Nicola Biasca ist auch besorgter Vater eines Eishockey spielenden Sohnes. Sein Vorwurf an die Schiedsrichter ist nicht aus der Luft gegriffen. Tatsächlich liegt es auch an ihnen, die Spieler besser zu schützen. Biasca ist überzeugt, dass, wenn jede Verletzung zu einer Sanktion des verursachenden Spielers führte, sich die Klubs des Themas stärker annähmen. Denn ein Spieler, der auf der Tribüne eine Strafe absitzt, ist für seinen Arbeitgeber nutzlos und einzig ein Kostenfaktor.