Von Foucault über Dürrenmatt bis hin zum Terroristen «Carlos»: Alle verfielen Bruno Breguet. Auch ein neuer Dokumentarfilm sucht zu sehr seine Nähe.
Der junge Bruno will gegen den Imperialismus kämpfen. Konkret, für die palästinensische Sache. In den Palästinensern sieht der Gymnasiast aus Muralto die «Verdammten dieser Erde». Statt die Matura zu machen, fährt Bruno Breguet Ende der sechziger Jahre nach Libanon und lässt sich im gewaltsamen Widerstand schulen. Sprengstoff hat sich der 19-Jährige auch bald besorgt. Zurück im Tessin bittet er die Mutter, ihm einen Stoffgürtel zu nähen. «Um Bücher zu transportieren», sagt er.
Ein Jahr ist es damals her, dass vier palästinensische Terroristen in Kloten eine Maschine der israelischen El Al angegriffen haben. Es ist das Erweckungserlebnis für den jungen Tessiner. Ein israelischer Agent tötet einen der Angreifer, der aber bereits «wehrlos» war, wie Bruno zu wissen glaubt: «Entgegen aller Vernunft» habe man den Israeli freigesprochen, während die überlebenden Attentäter langjährige Haftstrafen kassierten. Kloten 1969 empfindet Bruno Breguet als himmelschreiende Ungerechtigkeit. Er militarisiert sich.
Nach dem Abstecher nach Libanon fährt er mit dem Zug nach Venedig, von dort setzt er mit dem Schiff nach Israel über. Doch schon bei der Einreise fliegt er auf. Am 23. Juni 1970 wird Bruno Breguet im Hafen von Haifa verhaftet. Zwei Kilo wiegt der Sprengstoffgürtel, den er am Körper trägt.
«Er ist einer von uns»
Die Bombe wollte Breguet im Shalom Meir Tower, dem stolzen Hochhaus von Tel Aviv, platzieren. «Er ist hingegangen, anstatt zu reden», so erinnert sich im Kino-Dokumentarfilm «La scomparsa di Bruno Breguet» eine frühere Bekannte aus dem Tessin. «Er wurde natürlich als Terrorist eingestuft, aber für uns war er einer von uns.»
Breguet behauptet, er habe den Sprengsatz nie zünden wollen. Der Plan sei gewesen, ihn entschärft zu deponieren, «die Aktion sollte rein einschüchternd sein». Den Zünder trägt er allerdings auf sich, in einer Schachtel Marlboro. Das Gericht in Israel verurteilt Bruno Breguet zu fünfzehn Jahren Haft.
In der Zelle macht ihn das Dröhnen der israelischen Kampfflugzeuge fast verrückt. «Glücklicherweise bin ich Schweizer», konstatiert er. «Sonst hätten sie mich schon getötet.» Immer grösser wird der Hass auf die Israeli. «La scuola dell’odio» («Die Schule des Hasses») heissen seine Aufzeichnungen, in denen er erklärt, besessen davon zu sein, «eines Tages meine Peiniger zu töten».
Nach sieben Jahren wird Breguet begnadigt. Ein Who’s who von linken Intellektuellen hat Unterschriften für ihn gesammelt, Foucault, Sartre, Simone de Beauvoir, auch Dürrenmatt ist dabei, Günter Grass, Noam Chomsky. Alle setzen sich für den vermeintlich viel zu drakonisch bestraften Schweizer ein.
Doch nach seiner Entlassung macht dieser erst recht Karriere im Terrorismus. Er schliesst sich keinem Geringeren als dem meistgesuchten Verbrecher der Welt an: «Carlos, der Schakal». Zusammen mit dessen Ehefrau, der deutschen Terroristin Magdalena Kopp, scheitert Breguet 1982 knapp bei einem grossangelegten Anschlag in Paris. Beim erfolgreich durchgeführten Attentat auf Radio Free Europe kurz zuvor in München mit acht zum Teil schwerverletzten Menschen soll er den Auslöser gedrückt haben.
Das mysteriöse Ende
Der Regisseur Olmo Cerri rekonstruiert in seinem Dokumentarfilm das faszinierende – und faszinierend filmreife – Leben des Terroristen aus dem Tessin. Cerri arbeitet sich akribisch durch das Material. Mit Sinn fürs Storytelling steuert er auch auf den mysteriösen Ausgang der Geschichte zu.
Denn plötzlich ist Bruno Breguet verschwunden. Zuletzt hat er 1995 auf eine Fähre nach Griechenland eingecheckt. Dort kommt er nie an. Oder etwa doch, und es ist alles noch viel verwickelter? Vielleicht ist er untergetaucht: Der Historiker Adrian Hänni hat herausgefunden, dass Breguet zu Beginn der neunziger Jahre die Seiten gewechselt hat.
Eines Tages im Frühling 1991 spaziert der Revolutionär in eine US-Botschaft und bietet seine Dienste an. Es ist der totale Bruch in der Biografie des militanten Linken: Breguet beginnt, für die CIA zu spionieren.
Hat er erkannt, dass Terror die Welt nicht besser macht? Oder spürt er die Amerikaner ohnehin im Nacken? Für 3000 Dollar (heute etwa 6000 Franken) im Monat liefert er Hinweise über den Verbleib des venezolanischen Top-Terroristen. Jetzt heisst es: Breguet contra «Carlos».
Der Stoff ist spektakulär. Streckenweise taugt der Film fast zum Thriller. Allerdings lässt es Olmo Cerri nicht bei der spannenden Spurensuche bewenden. Der Filmemacher hat eine politische Agenda.
Im Kommentar äussert er Gedanken zur «Ethik des politischen Kampfes»: Welche Mittel sind zulässig «zur Bekämpfung des gegenwärtigen Zustandes», fragt er. Auch wenn er den «Zustand» nicht konkretisiert, ist klar, was er meint: Israel gehört selbstverständlich bekämpft, höchstens bei der Wahl der Waffen ist sich der aktivistische Regisseur offenbar nicht sicher.
Stossender Holocaust-Vergleich
Den Film hat Cerri lange vor dem 7. Oktober begonnen, doch nach dem Massaker der Hamas nehmen sich die Einwürfe umso befremdlicher aus. Sein Kommentar kratzt an einer Stelle sogar an der Holocaust-Relativierung. Er zitiert Breguet, den die palästinensischen Flüchtlingslager in Libanon «tragischerweise an die Nazi-Lager» erinnerten. Eine Aussage, die der Filmemacher nicht etwa problematisiert (oder auch mit Blick auf die Rolle Libanons hinterfragt). Im Gegenteil scheint er sie eher noch bekräftigen zu wollen mit der Bemerkung, dass die Lager «noch heute existieren».
Olmo Cerri versteht Bruno Breguet. Statt von ihm abgestossen zu sein, fühlt er sich offenkundig zu ihm hingezogen. «Ich bekenne mich zur Gewaltlosigkeit», sagt der Filmemacher, fügt aber hinzu, dass das vielleicht auch einfacher sei, wenn «die Ungerechtigkeiten und Widrigkeiten» einen nicht selbst beträfen. Das geradezu krampfhafte Bemühen, Breguets Taten zu relativieren, irritiert.
Der Film verherrlicht den Terroristen nicht. Aber davon, ihn zu verniedlichen, ist er auch nicht weit entfernt. Als Cerri einer alten Bekannten von Breguet ein Foto von diesem als jungem Mann zeigt, sagt sie nur: «Wie süss.»