Über das komplizierte Verhältnis der Schweiz zum Krieg, zur Neutralität und zu ihren Kriegern in fremden Diensten.
Mitten in der Woche störte der Krieg in der Ukraine plötzlich den Frieden in der Schweiz.
Zum ersten Mal, seit Russland sein westliches Nachbarland überfallen hat, ist ein Schweizer Söldner im Kampf für die Ukraine gefallen. Das hat eine Recherche der «Rundschau» am vergangenen Mittwoch gezeigt. Im Zentrum von Kiew erinnert nun eine kleine Schweizer Fahne an ihn.
In der Ukraine ist der Söldner ein Held. Doch in der Schweiz, wo keine Raketen in Wohnblöcke einschlagen, sind die Dinge komplizierter.
Würde der Söldner noch leben, müsste sich die Militärjustiz mit ihm beschäftigen. Denn das Militärstrafgesetz verbietet Schweizer Staatsbürgern den Kriegsdienst im Ausland. Bei Verstoss droht eine Busse oder eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren.
Noch ist über den Söldner, seine Motive und die genauen Umstände seines Todes wenig bekannt. Nur, dass er schon vor mehreren Wochen im Kampf gefallen ist. Die ukrainische Armee will nicht und das Schweizer Aussendepartement kann nicht mehr sagen.
Doch schon jetzt verschärft sein Tod den Ton in einer Diskussion, die schon lange schwelt und gegenwärtig im Bundeshaus intensiv geführt wird.
Die Kriege der anderen
Jahrhundertelang hielt das Geschäft mit dem Krieg die Schweiz zusammen. Ihre Söldner waren auf den europäischen Schlachtfeldern gefürchtet, an den Höfen aber geschätzt. Das änderte sich allmählich mit dem Aufkommen des Liberalismus.
Ab den 1830er Jahren wurde das Söldnerwesen erst in einigen Kantonen und nach der Bundesstaatsgründung 1848 national schrittweise eingeschränkt. Wenigstens in den liberalen Eliten etablierte sich damals die Überzeugung: Der neutrale Kleinstaat braucht Bürgersoldaten, die seine Grenzen verteidigen, aber keine Söldner in der Fremde.
Vor allem für wenig privilegierte Schweizer blieb der Krieg ein Mittel, der Armut zu entkommen. Trotz den Verboten zogen auch im 19. und 20. Jahrhundert fast hunderttausend Schweizer weiterhin in fremde Dienste. Allein in der französischen Fremdenlegion dienten bis heute rund 40 000.
Später zogen junge Schweizer immer häufiger auch aus politischen Überlegungen in den Krieg. So kämpften im Ersten Weltkrieg bis zu 14 000 Schweizer in der französischen Armee. Rund die Hälfte von ihnen waren Doppelbürger. In der Deutschschweiz hegten zeitgleich bedeutende Teile der Bevölkerung und der Elite grosse Sympathien für das Deutsche Reich.
Plötzlich bedrohte der Krieg den inneren Zusammenhalt des Landes. Als Folge davon beschloss das Parlament 1927, ausländische Kriegsdienste zu verbieten. Doppelbürger, die im Ausland wohnten, waren davon ausgenommen.
Doch als 1936 der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, bildeten sich in der Schweiz erneut zwei Lager. Eine breite Koalition von Bürgerlichen und Rechten unterstützte die Faschisten um General Franco. Dieser genoss Sympathien bis in den Bundesrat hinein. Die linke Opposition hielt hingegen zur Spanischen Republik. Rund 800 Schweizerinnen und Schweizer schlossen sich ihrem Kampf an. Viele trieb ihre politische Überzeugung dazu, einige auch die Lust auf Abenteuer.
Nach deren Rückkehr verfolgte die Schweiz als einziger demokratischer Staat ihre Spanienkämpfer. Doch für die Linke waren sie Helden, und so kämpfte sie fast siebzig Jahre lang für ihre Rehabilitierung. 2009 stimmte das Parlament zu.
Seither drängt sich mit jedem neuen Krieg, an dem sich Schweizer beteiligen, die Frage auf, ob diese Söldner nun eher Straftäter oder Helden seien. Ob sie vor ein Militärgericht gehörten oder ob ihnen ein Platz in der kollektiven Erinnerung gebühre.
Denn auf die Spanienkämpfer folgten bald Schweizer Mitglieder der Résistance, die im Zweiten Weltkrieg Widerstand gegen Nazideutschland leisteten. Später waren es Schweizer Kämpfer gegen den Islamischen Staat.
Am vergangenen Freitag diskutierte die Rechtskommission des Nationalrates (RK-N) – stellvertretend für die Schweiz – darüber, wie das Land künftig mit ihnen umgehen solle.
Eine Frage von Recht und Gerechtigkeit
Den Anfang machte Jon Pult, Bündner Nationalrat und Sozialdemokrat. Im vergangenen Sommer hat Pult einen Schweizer Söldner, der für die Ukraine kämpft, kennengelernt. Dessen Motive haben ihn beeindruckt, und so reichte Pult eine parlamentarische Initiative ein, die eine Amnestie für Schweizer Söldner im Dienst der Ukraine fordert. Am vergangenen Freitag sollte er seine Initiative vor allen 25 Mitgliedern der RK-N verteidigen. Als Sozialdemokrat befand er sich dort in der Defensive.
Sozialdemokraten, Grüne und Grünliberale halten in der Kommission 9, die bürgerliche Mehrheit aus Mitte, FDP und SVP 16 Sitze. Also wählte Pult für sein Votum eine Rhetorik, die mit dem bürgerlichen Vokabular kompatibel ist.
Die Söldner in der Ukraine, so Pult, würden für Demokratie, Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität kämpfen. Also für die Werte des Völkerrechts. Sowie des Schweizer Staates.
Doch schon im Vorfeld hatten bürgerliche Politiker Skepsis geäussert und auf Söldner verwiesen, die in der Ukraine in erster Linie Abenteuer suchten und die Möglichkeit hätten, Gewalt auszuüben. Pult betonte in seinem Votum, die Amnestie beziehe sich ausschliesslich auf den Verstoss gegen das Militärstrafgesetz, also den Eintritt in einen fremden Kriegsdienst. Nicht aber auf etwaige Straftaten, welche die Söldner im Rahmen des Krieges begehen würden.
Philipp Matthias Bregy, Mitte-Fraktionschef, Jurist und in der Kommission eine einflussreiche Stimme, widerspricht dieser Interpretation. Für ihn ist klar, dass Söldner nach einer Amnestie unter Kriegsrecht stehen und ihnen dadurch zahlreiche Gewalttaten erlaubt sind. «Nach geltendem Recht hingegen kann die Justiz die Taten und Motive jedes Einzelnen prüfen und gegebenenfalls von einer Strafe absehen.»
Bregy beruft sich weiter – genau wie Pult – auf eine guteidgenössische Begrifflichkeit. Der Kampf von einzelnen Söldnern für die Ukraine möge löblich sein, doch eine Amnestie für alle verletze die Neutralität.
Pult sagt hingegen, gemäss Haager Abkommen, der Grundlage des Neutralitätsrechts, sei ein Staat nicht dafür verantwortlich, wenn einzelne Bürger in fremde Dienste zögen. Tatsächlich kennen andere neutrale Staaten wie Österreich oder Irland kein solches Verbot.
Trotzdem lehnte die RK-N Pults Vorstoss am Freitag ebenso ab wie eine Initiative, die eine Rehabilitation jener Schweizer verlangte, die gegen den Islamischen Staat kämpften. Anders als bei einer Amnestie würde die Justiz bei einer Rehabilitation nicht bloss auf eine Strafverfolgung verzichten, sondern das Handeln der Söldner rückwirkend legalisieren.
Eine weitere parlamentarische Initiative zur Rehabilitation der Schweizer, die vor über achtzig Jahren in der Résistance gegen Nazideutschland kämpften, verfolgt die Kommission hingegen weiter. Weil es kaum mehr Zeitzeugen gibt und dieser Krieg längst aufgearbeitet wurde, hat die Initiative gute Chancen, angenommen zu werden.
Über die anderen beiden Vorstösse schrieb die Kommission später in einer Mitteilung: Amnestien und Rehabilitierungen in laufenden Konflikten wären ein unerwünschtes politisches Bekenntnis zum Söldnerwesen.
Letztlich verhält sich die Kommission mit ihren Entscheiden so, wie die Schweiz sich in den vergangenen Kriegen meistens verhielt. Sie exponiert sich nicht, sitzt den Konflikt aus, wartet ab, was sich daraus entwickelt.
Und sie delegiert die Frage nach der Gerechtigkeit an künftige Generationen.