Ein Fall aus Pfäffikon ist zum Politikum geworden, die Zürcher Bildungsdirektorin spricht von «Fehlern». Die Verantwortlichen widersprechen den Vorwürfen in einem entscheidenden Punkt.
Dass mehrere hundert Personen gegen die Entlassung eines Lehrers protestieren, kommt selten vor. Und es ist ein Zeichen dafür, wie aussergewöhnlich dieser Fall ist, der seit zehn Tagen eine Gemeinde im Zürcher Oberland beschäftigt.
Er beginnt mit dem Protest konservativer Eltern gegen den obligatorischen Sexualkundeunterricht, eskaliert mit der Entlassung eines schwulen Lehrers – und wird nun zum Politikum.
Publik wurde der Fall aufgrund einer Recherche des «Zürcher Oberländers». Darin erhob ein Lehrer der Schule Obermatt im zürcherischen Pfäffikon schwere Vorwürfe: Eine Gruppe christlich-konservativer und muslimischer Eltern habe ihn wegen der Durchführung des vom Lehrplan vorgeschriebenen Sexualkundeunterrichts scharf angegriffen, unter anderem mit Verweis auf seine Homosexualität. Diese sei als Gefahr für ihr Weltbild wahrgenommen worden.
Daraufhin sei er anfänglich von der Schule verteidigt, schliesslich jedoch fallengelassen und entlassen worden, so der Lehrer. Und zwar mit der Begründung, er habe ungenügend auf die Kritik reagiert und den Dialog mit den Eltern verweigert.
Die Vorkommnisse sollen im vergangenen Herbst ihren Anfang genommen und im Februar in der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemündet haben. Kurz davor wendet sich auch ein Teil des Kollegiums in einem offenen Brief an die Schulführung. Darin steht, der Lehrer werde «seit Wochen von einem Teil der Elternschaft angefeindet».
«Es geht schon lange nicht mehr um irgendwelche Unterrichts-Inhalte», schreiben die Lehrpersonen. Es gehe darum, dass ihr Kollege «diskriminiert wird, weil er homosexuell ist».
Regierungsrätin: «Nicht gut gelaufen»
Sofort nach Bekanntmachung der Vorwürfe begann es, Kritik auf die Verantwortlichen zu hageln. Als «stossend» und «ein Armutszeugnis» bezeichnete Pink Cross den Fall, der Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer in der Schweiz. Statt den Lehrer vor den Anfeindungen der Eltern zu schützen, seien sie eingeknickt.
Auch Thomas Forrer, Fraktionspräsident der Grünen im Zürcher Kantonsparlament, sprach auf der Plattform X von Diskriminierung: «Seit wann muss man Verständnis aufbringen für diejenigen, die einen herabsetzen? Gahts no?»
Pfäffikon: #Diskrimierung eines Lehrers wegen Homosexualität. Am Ende wurde vorgeworfen, er hätte sich gegen die unhaltbaren Anwürfe konservativer Eltern nicht genügend «dialogbereit» gezeigt. Seit wann muss Verständnis aufbringen für diejenigen, die einen herabsetzen? Gehts no?
— Thomas Forrer (@_ThomasForrer) April 20, 2024
Sogar die Bildungsdirektorin Silvia Steiner (Mitte) sah sich nach anfänglichem Schweigen zu einer klaren Äusserung genötigt. «Der Fall in Pfäffikon ist nicht gut gelaufen», gab sie dem «Oberländer» zu Protokoll. Das Volksschulamt habe die Schule beim Umgang damit beraten, diese aber habe sich «offenbar für ein anderes Vorgehen entschieden».
Es sei nun an der Schulpflege als Anstellungs- und Aufsichtsbehörde, die Ereignisse aufzuarbeiten.
Schulpflege: «Keine Diskriminierung»
Gegenüber der NZZ nimmt Roger Klos (SVP) Stellung, der Vizepräsident der Schulpflege. Er vertritt deren Präsidenten Hanspeter Hugentobler (EVP), der im Ausland weilt.
Klos bestätigt: «Es hat Druckversuche und ungebührliche Diskriminierungsversuche durch Eltern gegeben. Das verurteilen wir aufs Schärfste.» Man stelle sich klar gegen die versuchte Einflussnahme auf den Unterrichtsinhalt in der Sexualkunde. Dieser sei durch den Lehrplan 21 vorgegeben. «Auch die Homophobie verurteilen wir.»
Die Grundzüge des Konflikts – die Angriffe der Eltern, den Protestbrief aus der Lehrerschaft, den Entscheid, sich vom Lehrer zu trennen – stellt Klos nicht in Abrede. Er gesteht auch Fehler ein: «Es ist zu Unregelmässigkeiten und zur Missachtung von Verfahrensvorschriften bei der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gekommen. Das bedauern wir ausserordentlich.»
Wogegen Klos sich jedoch entschieden wehrt, ist der Vorwurf, der Lehrer sei letztlich wegen seiner sexuellen Orientierung entlassen worden. «Wir können klar sagen, dass das nicht so war. Es hat keine Diskriminierung stattgefunden.»
Die Gründe für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses seien «vielschichtig» und reichten weit zurück, sagt Klos. Die fehlende Dialogbereitschaft des Lehrers beim jüngsten Konflikt sei keineswegs der einzige Grund dafür. «Wir haben die Situation genau geprüft und sind zu dem Schluss gekommen, dass eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses die beste Lösung ist.» Mehr könne er aus personalrechtlichen Gründen nicht sagen. Klos betont, dass der Entscheid letztlich auch vom Betroffenen akzeptiert worden sei.
Man wolle nun genau aufarbeiten, wie es zu den begangenen Fehlern habe kommen können, und daraus die nötigen Lehren ziehen. «Wir sind daran, mit externer Hilfe unsere Prozesse zu überprüfen und die notwendigen Sicherungen einzubauen.» Die Frage der Diskriminierung wird dagegen nicht Gegenstand der Untersuchung sein.
Lehrerverband: «Nicht hinter Lehrer gestellt»
Wie genau es zur Entlassung kam und welche Rolle die Kritik der Eltern dabei spielte, bleibt also unklar. Die Aussagen der Schulbehörden dazu sind jedoch zumindest widersprüchlich. So lobte der Schulpräsident Hugentobler etwa nach Bekanntwerden des Falls noch jene Dialogbereitschaft, die dem Lehrer zuvor abgesprochen worden war. «Wir bedauern es, einen engagierten Lehrer verloren zu haben», so Hugentobler.
Christian Hugi vom Zürcher Lehrerinnen- und Lehrerverband (ZLV) kritisiert gegenüber der NZZ die «kommunikativen Fehler» der Verantwortlichen. «Der genaue Hintergrund der Entlassung ist das eine», sagt Hugi. «Das andere ist: Ich erwarte in einem solchen Fall, dass die Schule sich klar und konsistent vor den Lehrer stellt. Das hat sie hier nicht getan.»
In Pfäffikon seien klare Fehler passiert. Er begrüsse es deshalb sehr, dass diese nun aufgearbeitet würden. Und dass auch die Bildungsdirektorin Steiner einen ausreichenden Schutz der Lehrpersonen vor Angriffen aus der Elternschaft angemahnt habe.
Demonstranten: «Schule überfordert»
Noch nicht zufrieden waren dagegen die Demonstrierenden – laut den Veranstaltern rund 300 –, die sich am Samstag in Pfäffikon versammelten. Mit Regenbogenflaggen und Ballonen marschierten sie vom Bahnhof zum Schulhaus Obermatt. Zuvorderst ein Transparent mit der Aufschrift: «Für ein queeres Hinterland».
« We’re here, we’re queer, we won’t disappear » scandent quelque 250 personnes à Pfäffikon ZH, où un enseignant affirme avoir été licencié en raison de son homosexualité pic.twitter.com/LtTM1sKQGk
— Michael Maccabez (@maccabez) April 27, 2024
Zum Protest aufgerufen hatten die Jungen Grünen und die Jungsozialisten (Juso) Zürcher Oberland. Deren Co-Präsidentin Anaïs Dolder sagt, man habe mit 50 bis 100 Personen gerechnet und sei vom Echo überrascht worden. Neben den Pfäffikerinnen und Pfäffikern seien vereinzelt sogar Unterstützer aus der Romandie mitgelaufen.
Die Schulverantwortlichen, findet Dolder, müssten queere Lehrpersonen besser schützen und sich eingestehen, dass sie mit der Situation überfordert gewesen seien – und dass bei der Entlassung auch Diskriminierung eine Rolle gespielt habe.
Gerade die Aussagen der Bildungsdirektorin zeigten: «Es wäre die nötige Hilfe und Beratung vorhanden gewesen, aber sie wurde nicht genutzt.» Sie frage sich persönlich, ob im richtigen Amt sei, wer auf eine solche Krise nicht souverän reagieren könne.
Die Schulbehörden selbst schliessen personelle Konsequenzen aus. Roger Klos sagt: «Wir wollen nun das Vertrauen in die Schule Pfäffikon wiederherstellen.»