Eine Gruppe von vier Künstlern hat eine irrsinnige Idee und will diesen Winter mitten in St. Gallen das kleinste Skigebiet der Welt betreiben. Das Projekt regt zum Nachdenken über ein gefährdetes Schweizer Kulturgut an: den Skilift.
«Me mösst emol…», stehe am Anfang der besten Ideen, sagt der Appenzeller Künstler Christian Meier. Nur leider würden die Leute diese Ideen dann meistens wieder begraben. In diesem Fall soll das anders sein. Meier will diesen Winter gemeinsam mit drei befreundeten Künstlern das kleinste Skigebiet der Welt eröffnen. Mitten in St. Gallen.
Anfang Sommer hat die Gruppe ein Angebot erhalten. Eine Immobilienfirma stellte den Künstlern ein Haus aus den 1950er Jahren zur Verfügung, das im Frühling 2025 abgerissen werden soll. Bis dahin könnten die Künstler damit tun, was sie wollen.
Weil das Haus an der Schneebergstrasse, mitten in St. Gallen, liegt, und zum Grundstück ein steiler, etwa 20 Meter langer Hang gehört, sagten sich Meier und seine Kollegen: Das sind ideale Bedingungen für den kürzesten Bügellift der Welt. Sie gründeten die IG Skilift AG.
Zwei Monate lang, von Februar bis März, soll der Lift laufen. An den Samstagen ist Nachtskifahren geplant. Und über eine Webcam sollen Interessierte aus aller Welt zuschauen können, was auf der «kürzesten Schwarzen Piste unserer Milchstrasse» los sein wird.
Meier sagt, die Idee sei abgedreht, verspielt. Doch sie ist auch schon ziemlich konkret. Meier hat bereits einen ausrangierten Bügellift aus Südtirol organisiert. Und auch eine Firma, die ihn in St. Gallen wieder aufbaut. Ein Bauingenieur hat schon alles berechnet, ein Architekt alles gezeichnet.
Nun hat die IG Skilift ein Baugesuch bei der Stadt St. Gallen eingereicht. Die Einsprachefrist läuft. Und die Öffentlichkeit fragt sich, ob in dem Projekt mehr steckt als ein ziemlich aufwendiger Gag.
Sehnsuchtsort Bügellift
Die Idee der IG Skilift trifft mitten ins Nervensystem der eidgenössischen Selbstverklärung. Denn selten ist die Schweiz so einig, so bei sich, wie am Bügellift.
Am Bügellift kommen Städter und Bergler zusammen. «De Urs vo Ursere» analysiert mit «de Corina us Cham» das Wetter. Mit der Erfahrung aus zwei Dutzend Wintern vermessen sie im Vorbeigleiten die Beschaffenheit der Schneedecke am Hang. Kurz vor dem Abbügeln setzen sie dann an: Zur Laudatio auf die letzte Triumphfahrt von Marco Odermatt in Sölden, Beaver Creek, Bormio, Wengen.
Aber seit einiger Zeit stören schlechte Nachrichten die Eintracht an den Schleppliften von Adelboden bis Klosters: Die Schneedecken im Land werden gefühlt jedes Jahr dünner. Die Preise fürs Billet dafür proportional teurer.
Der Verwaltungsratspräsident der Weissen Arena Gruppe, einer Vorzeige-Destination des Schweizer Wintertourismus, sagte kürzlich: In Laax könne die Tageskarte schon in zehn Jahren zwischen 200 und 300 Franken kosten. Und in den Medien erscheinen halbjährlich Berichte über «Familienskigebiete» und «Dorflifte», die schliessen, weil Schnee und Einnahmen fehlen. Aktuellstes Beispiel: Noch ein schlechter Winter und die Sportbahnen Braunwald im Glarnerland gibt es nicht mehr.
Ende einer Ära
In St. Gallen, am angeblich kürzesten Skilift der Welt, soll es genau darum gehen: die Schweizer Sehnsucht nach einem alpinen Nimmerland. Aber auch um das schleichende Gefühl, dass diese Welt gefährdet ist.
Der Künstler Christian Meier sagt: «Unser Projekt könnte ein Endpunkt, vielleicht aber auch ein Anfangspunkt sein.» Das Haus an der St. Galler Schneebergstrasse, das Meier und seine Kollegen zur Bergstation umfunktionieren, wurde 1956 gebaut. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders, als viele glaubten, es gehe nur noch aufwärts. Jetzt soll es abgerissen werden. Meier sagt: «Ausgerechnet in einer Zeit, in der viele Selbstverständlichkeiten zerbröckeln.»
Im Projektbeschrieb, den Meier und seine Kollegen veröffentlicht haben, heisst es: «Wir halten uns an die Vergangenheit, in der man im Sommer in den See und im Winter in den Schnee ging. Doch diese Welt unserer Kindheiten existiert vielleicht nicht mehr.»
Dazu passt, dass Meier und seine Kollegen in der St. Galler Schneebergstrasse einen Skilift aufbauen, der aus einem Gebiet stammt, das jüngst schliessen musste.
Ein absurdes Wintermärchen
Meier sagt: «Unser Projekt ist vielleicht ein Kommentar auf den Wintertourismus, den Klimawandel, aber ein Zeigefinger soll es nicht sein. Das wäre uns viel zu didaktisch.» Die Künstler verstehen das Projekt vielmehr als ein verfremdetes, absurdes Wintermärchen. Und wie bei Märchen üblich, verraten sie einiges über ihre Erzähler.
2021 sah Meier in einer Lokalzeitung ein Stellenangebot als Anbügler. Weil er Abstand vom Kunstzirkus brauchte, nahm er den Job ab.
Am Bügellift hat Meier gekrampft, geschaufelt und gebügelt, wie er sagt. Doch es war für ihn eine Traumwelt. Vor allem bei schlechtem Wetter und unter der Woche, als wenig Gäste kamen. Unten im Tal lief der Alltag ab, oben am Bügellift war Meier losgelöst von all dem. Meier sagt: «Der Hang und der Lift, das war für mich ein Zauberberg.»
Ganz oben an der Schneebergstrasse, im Abbruchhaus, planen Meier und seine Kollegen die Bergstation des Skigebietes. Hier sollen sich die Besucher vom Skifahren erholen und wohlfühlen. Es soll Suppe und Ovo-Sport geben.
Noch lassen die Künstler hinter dem Projekt viele Fragen offen. Zum Beispiel wie viel das alles kostet und wie viel Geld sie schon gesammelt haben. Anderes ist bereits klar: Auf einer Liste haben sich Interessierte gemeldet, die helfen werden. Denn irgendjemand muss den frischen Schnee, den die Pflüge der Stadt St. Gallen vor dem Haus abladen unten auf der Piste präparieren.
Und sollte es diesen Winter in St. Gallen gar nicht schneien, soll der Lift trotzdem laufen. Vermutlich wäre er spätestens dann ein Mahnmal.