Die Firma Meteomatics verarbeitet Messungen von eigenen Drohnen und Wetterdaten aus über hundert Quellen. Das Resultat: Vorhersagen von bisher ungekannter Genauigkeit.
Von aussen sieht das Gebäude in der St. Galler Innenstadt aus wie ein gewöhnliches Bürohaus. Doch im Innern beugen sich Techniker über Tische, um in Handarbeit Drohnen zusammenzubauen. In kleinen Kistchen liegen die nötigen Bauteile bereit, an einer Wand hängen die verschiedenen Modelle, welche die Ingenieure von Meteomatics seit der Firmengründung im Jahr 2012 entwickelt haben.
Drohnen seien heute zwar ein Massenprodukt, sagt der Firmengründer Martin Fengler beim Rundgang. «Doch die Anforderungen an unsere Wetterdrohnen sind so hoch, dass wir sie lieber selbst herstellen.» Die Geräte steigen innert nur zehn bis zwölf Minuten auf bis zu sechs Kilometer Höhe, um mit ihren Sensoren Wetterdaten zu sammeln.
Damit der Antrieb während des Flugs nicht vereist und die Drohne zum Absturz bringt, hat Meteomatics eine Propellerheizung entwickelt. Sie sei weltweit einzigartig, sagt der Firmenchef.
Martin Fengler wirkt wie ein typischer Jungunternehmer. Er schreitet in Jeans und weissen Turnschuhen durch die Räume und ist nicht nur mit seinen Mitarbeitern per Du, sondern auch mit seinen Besuchern.
Doch spätestens ab diesem Wochenende kann man das Unternehmen kaum noch als Startup bezeichnen. Wie am Montag offiziell bekanntgegeben werden wird, hat ein norwegisches Forschungsinstitut Meteomatics den grössten Auftrag der Firmengeschichte beschert. Es stellt eine Finanzierung in Millionenhöhe bereit, damit Meteomatics dreissig über das gesamte Land verteilte Drohnensysteme aufbauen kann.
Danach wird die Software des Unternehmens genutzt, um hochpräzise Wetterprognosen zu erstellen. So wird es möglich, Gewitter, Hagel, starken Wind oder Stürme akkurat vorauszusagen. Norwegen hat hohe Erwartungen an das System: Es solle die Wettervorhersagen im Land «sehr viel genauer» machen, lässt das Forschungsinstitut verlauten.
Start bei Jörg Kachelmann
Fengler ist Mathematiker, sein Spezialgebiet ist die Berechnung von Wettervorhersagen. Er arbeitete mehrere Jahre bei Meteomedia, dem Unternehmen von Jörg Kachelmann. Die Idee zur Firmengründung kam ihm während seiner Flugausbildung.
Dank seinem Job hatte er zwar Zugriff auf alle erdenklichen Wetterdaten. Doch bald machte sein Fluglehrer Witze über ihn. «Trotz all den Informationen konnte ich ihm nie korrekt voraussagen, ob in den nächsten Stunden Flugwetter herrschen würde oder nicht.» Fengler begann sich zu überlegen, wo das Problem liegt.
Die Einsicht kam ihm beim Fliegen: Zwischen dem Flugzeug und den Wetterstationen auf dem Boden gibt es eine kilometerhohe Luftsäule, «bei der wir keine Ahnung haben, was dort wettermässig genau abgeht». Dabei sei es entscheidend, zu verstehen, was dort passiere. «Es entscheidet über Wolkenbildung und Niederschlag.»
Eine Wetterstation, die fliegen kann
Und da kam ihm die Idee: Warum nicht eine Wetterstation konstruieren, die fliegen kann? Für Fengler war das so naheliegend, dass er zwei Jahre im Geheimen arbeitete: Er befürchtete, kopiert zu werden.
2014 erhielt er die erste Flugzulassung, dann folgten Tests mit Meteo Schweiz und dem amerikanischen Wetterdienst. «Da merkten wir: Wir haben unsere Nische gefunden», sagt Fengler.
Die Drohnen können von Piloten in St. Gallen ferngesteuert werden, längerfristig sollen sie automatisiert fliegen. Inzwischen hat das Unternehmen ein «Meteobase» genanntes System entwickelt. Bei ihm schützt eine Metallbox die Drohne. Vor dem Einsatz öffnet sie sich automatisch, nach der Rückkehr lädt sich die Drohne in der Box selbständig auf.
Das Tausendfache an Rechenleistung
Fengler wurde nach der Gründung seines Unternehmens allerdings schnell klar: Drohnen liefern wichtige Daten, doch die Entstehung des Wetters ist so komplex, dass für genaue Prognosen viel mehr nötig ist.
Zum Beispiel mehr Rechenleistung. Wenn man das Wetter nicht auf zehn Kilometer genau vorhersagen will, sondern neu auf einen Kilometer, braucht es das Tausendfache an Computer-Power, wie Fengler vorrechnet.
Dieses Problem ist bewältigbar, weil Rechenleistung immer billiger zu haben ist. Doch noch wichtiger ist ein zweiter Punkt. Damit ein System exakte Wettervorhersagen machen kann, muss es genau wissen, welches die Ausgangssituation ist. «Denn je präziser das gegenwärtige Wetter in einem Modell abgebildet ist, desto genauer werden die Vorhersagen sein», sagt Fengler.
Wetterdaten aus Sensoren von Autos
Meteomatics nahm sich darum vor, die Abbildung des Anfangszustandes in seinen Modellen zu verbessern. Heute nutzt das Unternehmen Daten aus über 110 Quellen, um ein möglichst genaues Abbild der Atmosphäre zu schaffen. Dazu gehören neben den eigenen Drohnen Radiosonden, Wetter- und Radarstationen sowie andere Wettermodelle. Das Unternehmen greift auch auf Daten zurück, die nicht öffentlich sind, darunter Messwerte, die aus Flugzeugen und von modernen, mit Sensoren ausgerüsteten Autos stammen.
Die ersten Kunden, die sich für die präzisen und hochaufgelösten Prognosen von Meteomatics interessierten, waren die Energiehändler. Sie konnten damit besser voraussagen, wie sich die Preise entwickeln, wenn auffrischender Wind die Windturbinen schneller drehen lässt oder aufziehende Wolken die Produktion von Solarenergie eindämmen. An der Strombörse lassen sich genauere Prognosen sofort zu Geld machen.
Inzwischen hat Meteomatics über 700 Kunden, darunter Namen wie Airbus, Toyota, Tesla, Porsche oder Swiss Re. 250 Kunden stammen aus dem Energiemarkt, darunter Axpo, Alpiq und internationale Konzerne wie Shell oder Total. Die fast 130 Mitarbeiter des Unternehmens machen über 90 Prozent des Umsatzes ausserhalb der Schweiz. In St. Gallen sind Forschung und Entwicklung angesiedelt. Niederlassungen gibt es in Berlin, Barcelona, Oslo sowie in Grossbritannien und den USA.
Bessere Schiffsrouten
Die Möglichkeiten, genauere Wetterdaten in der Wirtschaft gewinnbringend zu nutzen, sind fast unendlich. Zum Beispiel bei Schadensmeldungen bei Versicherungen. Zieht ein Hagelsturm durch die Gegend, melden danach Autobesitzer ihre Schäden an. Die Programme von Meteomatics können auf Knopfdruck sagen, ob es in einer bestimmten Gegend tatsächlich gehagelt hat oder nicht.
Es lassen sich auch Routen optimieren: Frachtschiffe umfahren Gebiete, in denen es zu Sturm und hohem Wellengang kommen wird. Lastwagen können verderbliche Waren umweltfreundlicher und billiger transportieren, weil sie auf den Einsatz von Klimaanlagen verzichten können: Das Wetterprogramm von Meteomatics legt die Strecke so, dass die Lkw Gebiete mit zu hohen Aussentemperaturen meiden.
Der Grossauftrag aus Norwegen ist nur der letzte in einer längeren Reihe von Erfolgen, die Meteomatics dieses Jahr verbuchen konnte. Im Februar gab das Unternehmen bekannt, dass neu eine Abteilung des global tätigen amerikanischen Sicherheits- und Raumfahrtunternehmens Lockheed Martin zu den Investoren gehört.
Im März folgte die nächste gute Nachricht: Metomatics wird mit dem Chip-Giganten Nvidia zusammenarbeiten, dem unbestrittenen Marktführer auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz. Das Ziel: Echtzeit-Vorhersagen des Wetters sollen künftig noch schneller verfügbar sein.