Auf dem Online-Tool «Zürich schaut hin» gehen die Meldungen stetig zurück. Doch die Realität ist eine andere.
Wer sexuelle, sexistische, homo- oder transfeindliche Belästigung in der Stadt Zürich erfährt, kann dies auf dem Online-Tool «Zürich schaut hin» teilen. Doch die Möglichkeit wird immer weniger genutzt. Im Jahr 2023 gingen insgesamt 523 Meldungen ein, im Dezember waren es 14.
Zum Vergleich: Bei der Einführung des Tools im Mai 2021 wurden bereits im ersten Monat 353 Belästigungen registriert. Wird in der Stadt Zürich also weniger anzüglich angestarrt oder obszön angemacht, beschimpft und angepöbelt?
Nein, sagt Mathias Ninck vom Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich. Dass weniger Meldungen auf dem Tool gemacht würden als bei der Lancierung, sei lediglich auf die abnehmende Medienpräsenz zurückzuführen.
Auf «Zürich schaut hin» kann davon berichtet werden, wenn man selbst belästigt wurde oder wenn man eine Belästigung beobachtet hat. 2001 solche Meldungen wurden seit der Einführung des Tools eingegeben.
Das Angebot ist niederschwellig gehalten. Die Meldungen sind anonym. Unkompliziert und in wenigen Minuten kann das Erlebte geteilt werden. Mit Klicks lässt sich die Art der Belästigung angeben, zum Beispiel: Worte, Blicke, Verfolgen, Berührung.
Dann wählt man die Art der Täterschaft aus, etwa ob es eine Gruppe oder Einzelperson war, macht Angaben zum Ort und der Zeit sowie dazu, worauf die Belästigung abzielte, auf das Geschlecht, die Hautfarbe, die Herkunft, die sexuelle Orientierung. Diese Angaben sind Pflichtfelder. Die meldende Person kann, muss aber nichts über sich selbst preisgeben.
Strafrechtliche Konsequenzen hat eine Meldung über das Meldetool keine.
Dunkelziffer soll sichtbar werden
Es bestehe ein Bedarf an niederschwelligen Meldemöglichkeiten jenseits von Polizei und Opferberatungsstellen, schreibt die Stadt Zürich. Dies, weil sexistische und queerfeindliche Belästigungen nur selten bei offiziellen Stellen zur Anzeige gebracht würden.
«Nicht jede Person, die Belästigung erlebt hat, empfindet ein Strafbedürfnis und zeigt das Erlebte an. Aber viele wollen das Erlebte sichtbar machen, weil sie es schlimm und daneben finden», sagt Ninck. Dazu diene das Meldetool.
Angebote wie «Zürich schaut hin» versuchen, die Dunkelziffer auszuleuchten. Dass aber auch das Online-Meldetool nur einen Teil der Realität abbildet, zeigt die Bevölkerungsbefragung 2o23. Von rund 5000 Zürcherinnen und Zürchern gab jede fünfte Person an, innerhalb des Jahres Diskriminierung erlebt zu haben, am häufigsten aufgrund ihrer Nationalität, ihrer Sprache oder ihres Geschlechts. Viele erlebten häufig Belästigungen, vor allem junge Frauen, sagt Ninck.
Das Meldetool sei ein Erfolg, sagt Ninck. «Zürich soll eine Stadt sein, wo jeder und jede sich frei bewegen kann, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft.» Die Meldungen zeigten beispielsweise auf, wo es gehäuft zu Vorfällen komme. Insbesondere im öffentlichen Verkehr und auf der Strasse wird häufig mit Worten sexistisch belästigt.
Mit dem Projekt sind auch Schulungen bei bestimmten Personen einhergegangen. Beispielsweise bei Buschauffeurinnen und Buschauffeuren, damit sie bei einem Vorfall dazwischengehen und einer betroffenen Person helfen könnten. Mit der Aufklärung im öV, in Klubs und in Badis sei man einen Schritt weitergekommen, den öffentlichen Raum für alle sicher zu halten, sagt Ninck.
Projekt stösst auf Resonanz über die Kantonsgrenzen hinweg
Das Projekt «Zürich schaut hin» läuft noch bis Ende 2025, dann wird eine Gesamtbilanz gezogen. Laut Ninck belaufen sich die jährlichen Kosten für das Meldetool auf 500 Franken für das Hosting der Website. Die Gesamtkosten für das Projekt sind allerdings deutlich höher – mehrere hunderttausend Franken.
Gemäss den Einträgen sind Frauen deutlich häufiger betroffen von Belästigungen als Männer. Die Täterschaft ist vorwiegend männlich. Bei den Vorfällen handelt es sich laut den Angaben oft um Belästigungen mit Worten, ungewollte Berührungen oder Anstarren. Dabei zielte der Übergriff häufig auf das Geschlecht oder die sexuelle Orientierung.
Das Projekt «Zürich schaut hin» stösst auch ausserhalb der Stadt auf Resonanz. Nach dem Vorbild von Zürich lancierte erst Bern, im Januar dieses Jahres dann Luzern ein ähnliches Mittel. Der Luzerner Stadtpräsident Beat Züsli wird in einer Medienmitteilung zitiert: «Wir wollen klar festhalten, dass jegliche Formen von sexistischen und queerfeindlichen Belästigungen nicht toleriert werden.» Die Bevölkerung soll sensibilisiert, die Zivilcourage gefördert werden.
Seit dem vergangenen Dezember läuft zudem ein Pilotprojekt bei den SBB. Kundinnen und Kunden können über ein Online-Tool anonym unangebrachtes Verhalten ihrer Mitreisenden melden, von Vandalismus über Belästigung bis zu körperlicher Gewalt. Das Pilotprojekt läuft voraussichtlich bis Ende März.