Die Schweiz will beim Strom dem EU-Binnenmarkt beitreten, muss dafür den heimischen Markt aber vollständig liberalisieren. Das bringt gewisse Zumutungen, ist aber ein notwendiger Schritt.
Manchmal muss die Schweiz zu Reformen gezwungen werden – selber bringt sie solche ohne Impuls von aussen nämlich nur schwerlich zustande. Zu gross ist die Erstarrung im Inland. Dergestalt verhockt ist teilweise auch der Schweizer Elektrizitätssektor; es braucht das Stromabkommen mit der EU und die Integration in den Binnenmarkt, um den Sektor fit zu machen.
Latente Gefahr von Interessenkonflikten
Mehrheitlich befindet sich die Schweizer Elektrizitätswirtschaft noch in öffentlichem Besitz, und die Versorger profitieren von regionalen Monopolen. Solchen Konstellationen sind Interessenkonflikte eigen: Firmen und Privatpersonen wollen günstigen Strom, die staatlichen Eigentümer eine schöne Dividende. Wofür entscheiden sie sich – für die Ausschüttung oder für möglichst wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen? Man weiss es nicht so genau, die Transparenz fehlt.
Wenn die Schweiz ein Stromabkommen mit der EU abschliesst, wird sie hingegen den Markt vollständig liberalisieren müssen. Auch Schweizer Konsumenten haben dann die Möglichkeit, den Anbieter frei zu wählen – je nachdem, welche Offerte sie als die beste erachten.
Die Konsumenten werden sich informieren müssen
Das reine Paradies ist ein liberalisierter Markt allerdings nicht. Für die Konsumenten kann es je nach Umständen auch ein wenig mühsam werden.
Darauf deuten Erfahrungen aus den EU-Mitgliedsstaaten, wo der Markt frei ist. Die Stromanbieter haben ihre Offerten teilweise so stark auf unterschiedliche Kundengruppen ausdifferenziert, dass es den Konsumenten schwerfällt, sie zu vergleichen.
Die Konsumenten in Österreich zum Beispiel – das Land ist der Schweiz in vielem ähnlich – wechseln daher selten den Anbieter. Aber das müssten sie, um die Konkurrenz zu beleben. Die Aufsichtsbehörde hat die Österreicher daher gerade jüngst wieder dazu aufgerufen, die Trägheit zu überwinden und den Anbieter öfter zu wechseln.
Das werden auch manche Schweizer als mühsam empfinden. Allerdings werden sie sich individuell weiterhin für die Grundversorgung entscheiden können. Es wird sie nach wie vor geben, auch bei einem Stromabkommen, möglicherweise aber zu einem höheren Preis.
Wie schwerfällig die Schweizer sind, wenn sie sich für einen Versorger entscheiden müssen, weiss man vom Telekommarkt. Sie sind treue Kunden: entweder weil sie es sich leisten können, nicht immer dem günstigsten Angebot nachzurennen, oder weil sie sich in der Illusion wiegen, dass ein teureres Angebot stets auch das bessere sei.
Die Niederländer sind da ein anderer Menschenschlag: Über 20 Prozent der Konsumenten haben 2024 den Stromanbieter gewechselt, während es in Österreich nur 3 Prozent waren.
Die Technik gibt den Takt vor
Auch die Schweizer werden «niederländischer» werden müssen. Zumal nicht nur die EU eine Liberalisierung des Strommarkts verlangt, sondern auch die Technologie einen solchen Schritt geradezu erzwingt.
Der Strommarkt wird künftig anders gestaltet sein als heute. Wind- und Sonnenenergie werden eine noch grössere Bedeutung haben, und selbst die «kleinen» Konsumenten werden eine neue Rolle bekommen. Teilweise werden sie Strom nicht nur verbrauchen, sondern auch produzieren und speichern.
Weil das Gewicht erneuerbarer Energieformen aber zunimmt, wird die Produktion volatiler. Manchmal gibt es mehr Energie, etwa wenn an der Nordsee starker Wind bläst, manchmal herrscht dort aber Flaute, so dass die Produktion zurückgeht. Das Angebot wird flexibler, der Markt dynamischer. Die Preissignale, die nur ein liberalisierter Markt aussendet, sind dann unerlässlich, um das Geschehen am Markt zu verstehen und die Elektrizität effizient und somit wohlfahrtssteigernd an den richtigen Ort zu bringen.
Die Schweiz mag zögern, ob sie ein Teil eines liberalisierten Binnenmarkts werden will. Sie wird sich aber nicht von gewissen institutionellen und technischen Entwicklungen abkoppeln können. Oder nur zu einem hohen Preis.