Warschau hat ein Museum für internationale Gegenwartskunst. Der minimalistische Quader im Stadtzentrum, entworfen vom New Yorker Büro Phifer and Partners, verkörpert Polens neue Kulturpolitik.
Nach jahrelangen Querelen und schier unüberwindbaren Hürdenläufen hat Polens Hauptstadt nun einen ultramodernen Vorzeigebau für die Positionen der internationalen Gegenwartskunst. Das Warschauer Museum für zeitgenössische Kunst ist ein Ort, dem vieles zugetraut, auch zugemutet wird. Es ist viel von seiner Bedeutung als Symbol des Aufbruchs, der Überwindung einer bleiernen Zeit die Rede. Seine Eröffnung fällt in eine Zeit politischer Umbrüche. Das Land erlebt eine Phase der Neuausrichtung. Die institutionelle Kulturpolitik atmet auf. «Wir sind endlich wieder auf dem richtigen Pfad», sagt die Kultusministerin.
Allein schon die Geschichte und die Lage des Museums beschreiben den verworrenen Hintergrund und die derzeitige Erwartungshaltung präzise. Der Bau liegt in der Mitte der Zwei-Millionen-Stadt an einer der grossen Magistralen zwischen dem achten, 1955 errichteten Stalinturm – die sieben anderen stehen in Moskau – und dem lang hingestreckten und elegant angelegten Band des Konsumstreifens. Die Glasfassaden der Highstreet-Geschäfte sind bewehrt mit der üblichen monströs überdimensionierten Werbung.
Vor dem Kulturpalast – ein Geschenk Stalins an die polnische Bevölkerung, riesig, präpotent, nicht richtig scheusslich, aber einschüchternd gigantisch – liegt auf dem für grosse Paraden zu Ehren der kommunistischen Führer angelegten Platz der weisse horizontale Quader. Er ist bis an die äusserste Grenze der Einfallslosigkeit minimalistisch gestaltet.
Irgendwann einmal werden ein Theaterbau und ein Park viel Grün und urbanistisches Wohlfühlambiente hinzufügen. Inzwischen formen konkurrierende Wolkenkratzer und Wohntürme etwa von Daniel Libeskind und Foster + Partners die dahinterliegende Silhouette der prosperierenden Metropole.
Dezidierte Nüchternheit
Nach dem Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2004 und den damit verbundenen Fördermitteln wurde beschlossen, eine Sammlung zeitgenössischer Kunst anzulegen und ein Ausstellungsgebäude zu installieren. Es war ein Wunschgedanke, denn zunächst kam es anders.
Das Projekt für das Warschauer Museum für Gegenwartskunst – Muzeum Sztuki Nowoczesnej (MSN) genannt – lag erst auf Eis, dann verzögerten diese und jene, auch vorgeschobene Hindernisse den Bau. Ausweichquartiere mussten herhalten, für die Vergabe brauchte es drei Wettbewerbe – «eine Blamage», so die Direktorin Joanna Mytkowska.
2007 bekam im zweiten Wettbewerb das Schweizer Büro Christian Kerez den Zuschlag, scheiterte jedoch 2012 an ungeklärten Eigentumsverhältnissen und einem dann doch zu teuren, reichlich megalomanen Entwurf. Die PiS-Partei, bisher in der Opposition, kam 2015 an die Macht, radikalisierte sich zunehmend und vertrat für die darauffolgenden acht Jahre rechtsnationalistische, antieuropäische und fundamentalistisch christliche Positionen.
Es folgte der Entzug der Budgetierung für unliebsame oder zumindest unbequeme Projekte, Direktorenposten wurden ohne weiteres mit parteikonformen Kandidaten besetzt, Künstler wurden wegen Nichtigkeiten verklagt. Das New Yorker Büro Phifer and Partners wurde schliesslich beim dritten Versuch mit der Aufgabe betraut, ein deutlich kleineres Gebäude zusammen mit einem Theaterbau zu errichten.
Entstanden ist nun ein massiver, liegender, rechteckiger Quader, 100 Meter lang, 40 Meter breit und 26 Meter hoch; daneben ein Campanile, in dessen Untergeschoss ein Kino untergebracht werden soll. Grosse Panoramafenster, Ausblicke auf den Kulturpalast beziehungsweise die Konsumtempel auf der gegenüberliegenden Seite bieten Erholung vom intensiven Kunstgenuss, wie Phifer auf seiner persönlichen Führung durch das Haus verkündet.
Phifers Raumwunder, eine Enfilade von teils tageslichthellen, teils fensterlosen Sälen auf jedem der drei Geschosse, erstrahlt in Sichtbeton aus Weisszement. Das verstärkt die ausgeklügelte Lichtregie. Angestrebt war dezidierte Nüchternheit. Das kühle Aluminium der riesigen Türen unterstreicht die ausserordentlich strenge, dafür ziemlich erhabene Raumwirkung. Licht und Raum und Kunst: Das muss zusammengehen, wenn aus einem zeitgemässen Museum ein Ort der Begegnung werden soll.
Am liebsten wäre dem Architekten, wenn alle, die sich vom Kulturpalast aus über die Magistrale zum städtebaulich nahezu kongenial korrespondierenden Einkaufsareal bewegen, durch das Foyer seines Hauses gehen würden: der Kunstgenuss als Schleuse. Sie würden sich dann vielleicht verleiten lassen, über das spektakuläre Konstrukt der sich kreuzenden Treppen die einzelnen Stockwerke zu erklimmen – die Mitbesucher im grossräumigen, himmelhohen offenen Herzen des Gebäudes immer im Blick. Ein architektonischer Kniff, der das gemeinschaftliche Kunsterlebnis zumindest suggeriert.
Platzverschwendung, meinen die einen. Ein Museum und sein Inhalt seien ein Ort der ergebnisoffenen Kontroverse und der Diskurspflege, meint sinngemäss der Architekt. Seine verschränkt in die Höhe strebende Treppenlösung hat die Qualität eines Forums. Es ist zudem ein Alleinstellungsmerkmal, über das ausführlich zu diskutieren sich lohnt.
Ikea als Kulturdenkmal
Für die erste, lediglich temporäre Eröffnung des Hauses, das mit der Finanzierung durch das polnische Kulturministerium und die Stadt Warschau zu gleichen Teilen in deren Verantwortung steht, wurden einige wenige grossformatige Kunstwerke überwiegend weiblicher Künstler in verschiedenen Sälen verteilt.
Dazu gehört Sandra Mujingas «Ghosting», eine raumhoch schwebende textile Plastik, die mit Metallverstrebungen und roten Lackschichten stabilisiert ist. Die in Kongo geborene norwegische Künstlerin will mit der überdimensionalen, leicht und kraftstrotzend zugleich wirkenden Arbeit von 2019 an schützende Zelte oder Kleidung erinnern, wie sie von Nomaden oder Flüchtlingen genutzt werden.
Ein Saal ist dem Reenactment und den dazugehörigen Relikten einer provokanten Performance des slowakischen Künstlers Julius Koller gewidmet. Der Beitrag des 2007 verstorbenen Postavantgardisten beschreibt einmal mehr seine Skepsis gegenüber dem Kunstbetrieb, dessen zeitgenössisch künstlerisches Getümmel er als hohl und überangepasst empfindet. Sein universelles Markenzeichen, Symbol für seine unnachgiebige Weigerung zu verstehen, ist das in seinem Œuvre allgegenwärtige Fragezeichen.
Überaus spannend, auch amüsant ist die im Foyer aufgebaute Installation des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur der ETH Zürich und der School of Design in Harvard. Unter dem Titel «Tough love» verweist eine lange Reihe von alten Markttischen mit historischen Fotografien und Dokumenten auf die wechselhafte Geschichte des Paradeplatzes, der früher auch als Marktplatz genutzt wurde.
Gegenüber stehen Modelle, die auf mögliche Erweiterungen des Begriffs «Museum», insbesondere dessen Eroberung des Stadtraums, abzielen. Da soll es keine Scheu geben, sich mit trivialen Läden zu verbinden, sie regelrecht zu durchdringen. Man will sich endgültig lösen von der Vorstellung, dass Museen als Orte der Schönheit, gar eines kultivierten Spektakels wahrgenommen werden. Und schliesslich zum faden, vielleicht sogar trostlosen Mausoleum mutieren. Die Vorschläge sind krass, sind visionär – und ausgesprochen anregend.
Die Ironie und ein gewisses Mass an Logik bleiben mit den Exponaten nicht auf der Strecke, etwa, wenn in einem Video sehr konsequent Ikea als das eigentliche zeitgemässe Kulturdenkmal vorgestellt wird.