Die «neue Brücke» in Mitrovica ist seit 25 Jahren ein Hotspot. Der Regierungschef Albin Kurti will sie für Autos öffnen und provoziert einen Konflikt.
Brücken sind symbolisch aufgeladene Bauwerke. Das kann auch ein Nachteil sein. In Mitrovica, einer Stadt im Norden Kosovos, lässt sich das gut beobachten. Dort verbindet die «neue Brücke» den albanischen Teil im Süden mit dem serbischen Teil im Norden. Symbolisch aber steht sie für die Trennung der beiden Stadtteile.
«Zu lange hat uns diese Brücke auf Distanz gehalten», sagte der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti letzte Woche. «Sie ist zum Beiwort für Trennung geworden. Aber Brücken sollen verbinden!» Kurtis Äusserung hat die Kosovo-Serben aufgeschreckt. Denn der Regierungschef hat klargemacht, dass er die Brücke für den Autoverkehr öffnen will. Und davor fürchtet sich die serbische Minderheit.
Weshalb? Die Brücke ist eigentlich schon jahrelang geöffnet, für Fussgänger, Velos und Mofas nämlich. Sie ist auch keineswegs der einzige Übergang über den Ibar, der quer durch Mitrovica fliesst und die Stadtteile voneinander trennt. Sowohl östlich als auch westlich davon gibt es Brücken, über die der Autoverkehr rollt.
Um den Streit zu verstehen, müssen wir zurückblenden. Vor 25 Jahren ging der Kosovokrieg zu Ende. Im Juni 1999 strömten Hunderttausende Albaner, die von Milosevics Truppen brutal vertrieben worden waren, zurück nach Kosovo. Belgrads Kräfte zogen ab, Zehntausende Serben gingen mit oder wurden von bewaffneten Albanern vertrieben. Die einrückenden Nato-Truppen unternahmen wenig dagegen.
Nicht so in Mitrovica. Dort riegelte das französische Kontingent der Kfor-Schutztruppe den Nordteil der Stadt ab. Der Ibar war jetzt eine Grenze. Nördlich davon lebten fast nur Serben in einem Gebiet, das direkt an Serbien grenzt. Sie sehen sich seither als die letzte Bastion gegen die Herrschaft des kosovarischen Staates.
Im Café «Dolce Vita» am nördlichen Brückenkopf quartierten sich nach dem Krieg die sogenannten Brückenwächter ein. Es war eine Schutztruppe mit mafiösen Zügen, die bei Gelegenheit neugierige Albaner oder unvorsichtige Journalisten verprügelte. Die Brückenwächter trauten dem Sicherheitsversprechen der Kfor nie ganz, die auf der Brücke einen Checkpoint eingerichtet hatte. Doch zwei Jahre später hatten die Franzosen eine Idee.
2001 wurde das heruntergekommene Bauwerk gründlich saniert – und zwar von einer gemischten Equipe aus Albanern und Serben. Der Projektleiter, Pierre Lottici, sagte dazu später, es sei nicht einfach gewesen, Männer, die sich zuvor bekämpft hätten, zur Zusammenarbeit zu bringen. «Es brauchte Leute mit starkem Charakter.» Die renovierte Brücke mit ihren schimmernden Bogen sah eindrücklich aus vor der grauen Nachkriegskulisse von Mitrovica.
Doch das urbane Schmuckstück blieb ein Ort des Konfliktes. In unregelmässigen Abständen wurde die Brücke Schauplatz von Zusammenstössen. Dann bauten die Serben Barrikaden, oder sie stellten, wie 2014, einen «Friedenspark» an ihr Ende der Brücke. Er war im Effekt eine begrünte Barrikade. Die meiste Zeit aber gingen Fussgänger ungestört über die Brücke. Albaner passierten sie, um zu ihren Häusern im Norden zu gelangen, und kreuzten dabei Serben, die im Südteil der Stadt Besorgungen machten. So ist es auch heute.
Die Brücke ist nicht nur ein Übergang über den Fluss, sie zieht gleichzeitig eine Grenze. «Für die Albaner markiert sie das Ende der kosovarischen Souveränität», sagt Milica Andric Rakic. «Für uns Serben ist es die Linie, die vor der Vertreibung schützt.» Die 33-Jährige leitet eine NGO, die Neue Soziale Initiative, und hat oft über die Brücke nachgedacht. Dass viele Serben Angst vor der Öffnung haben, hält sie für irrational. Aber nur teilweise. «Das Risiko von gewaltsamen Übergriffen jedenfalls wird kaum grösser. Angreifer können jederzeit einen andern Übergang benutzen.»
Aber es gebe auch eine reale Furcht. «Für Albin Kurti ist die Öffnung der Brücke ein symbolischer Akt. Es ist die Inszenierung der Eroberung von Nordkosovo, und das kommt bei seinen Wählern an.»
Seit zwei Jahren betreibt Kurti schrittweise die Durchsetzung der Staatsgewalt im Norden. Er baut neue Stützpunkte für die Polizei, hat den Dinar als Zahlungsmittel verboten, die serbischen Poststellen aufgehoben und die Registrierung der Autos mit kosovarischen Kennzeichen durchgeboxt.
Das Café «Dolce Vita» hat jetzt einen albanischen Besitzer und heisst «C’est la vie». Nordkosovo, in dem die Souveränität faktisch geteilt war, soll endlich unter die volle Kontrolle Pristinas kommen. Das Problem dabei ist, dass die serbische Bevölkerung nicht mitmacht.
«Mit all diesen Massnahmen, die Kurti einseitig durchsetzt, macht er den Kosovo-Serben das Leben immer schwerer», sagt Andric Rakic. «Es ist ja nicht so, dass er für das, was er schliesst, etwas Neues öffnet.» Die meisten Serben hätten zwei Zukunftsoptionen: wegziehen oder auf die Teilung Kosovos hoffen. Vom Autonomiestatus für die serbischen Gemeinden, der 2013 zwischen Pristina und Belgrad vereinbart wurde, spricht niemand mehr.
Die in Kosovo einst übermächtigen Botschafter der USA, Deutschlands, Frankreichs und der EU protestieren zwar alle gegen Kurtis Entscheidung. Die überstürzte Brückenöffnung, so der amerikanische Gesandte, könnte amerikanische Kfor-Soldaten in Gefahr bringen. Für alle Vorgänger Kurtis waren Wünsche aus Washington Befehle. Bei ihm, so scheint es, treffen sie auf taube Ohren.
Aus städtebaulicher Sicht ist die Öffnung der Brücke ein Unsinn. Hüben wie drüben befinden sich Fussgängerzonen, benannt nach Königin Teuta auf der albanischen, nach König Petar auf der serbischen Seite. Weshalb noch mehr Autoverkehr ins Zentrum der Stadt leiten, die jetzt schon in den Abgasen erstickt? Es geht eben nicht um Stadtplanung. Es geht um eine Botschaft, die Kurti für die Kosovo-Serben und für die «internationale Gemeinschaft» bereit hat: Pristina ist der Souverän auf dem ganzen Territorium Kosovos. Und Pristina teilt diese Souveränität mit niemandem. Weder mit den Serben im Land noch mit den westlichen Botschaftern. Dafür soll diese Brücke jetzt stehen.