Die bürgerliche Mehrheit möchte das Zweitwohnungsgesetz lockern und so die Wohnungsnot in den Bergen lindern. Die Gegner sprachen von einem «Brandbeschleuniger für noch mehr Zweitwohnungen».
Wer abends durch ein Bergdorf spaziert, sieht häufig dasselbe Bild: Schmucke Appartements in verglasten Ställen, grosszügige Garagen. Doch die Fenster sind dunkel, die Eigentümer sind zu Hause im Unterland. So drohen viele Tourismusorte zu «Geisterdörfern» zu werden, wie es die Urner Ständerätin Heidi Z’graggen ausdrückt. Viele Gemeinden stellen dieselbe Tendenz fest: Unterländer kaufen die Häuser im Dorfzentrum für teures Geld, die Einheimischen können sich die Preise nicht leisten und wandern ab.
Das soll sich nun ändern: Der Ständerat will das Zweitwohnungsgesetz lockern. Er hat am Dienstag einer parlamentarischen Initiative von Nationalrat Martin Candinas zugestimmt. Bereits der Nationalrat hatte sich dafür ausgesprochen.
Im Jahr 2012 hat die Schweizer Bevölkerung die Zweitwohnungsinitiative angenommen – gegen den Willen von besonders betroffenen Regionen wie dem Wallis oder Graubünden. Kein Wunder, waren im Ständerat vor allem Politikerinnen und Politiker aus Bergkantonen zu hören. In einem waren sie sich einig: Es kann nicht sein, dass sich Einheimische in Bergdörfern keine Wohnung mehr leisten können und deshalb wegziehen. Wie man die Wohnungsnot aber löst, darüber wurde politisch gestritten. Die Vorzeichen waren dieselben wie immer, wenn es um Wohnraumpolitik geht: Die Bürgerlichen möchten Investitionen erleichtern, die Linken möchten sie beschränken.
Das Zweitwohnungsgesetz, das seit 2016 in Kraft ist, soll verhindern, dass Bergdörfer mit Ferienwohnungen zugebaut werden. So dürfen Gemeinden, die mehr als 20 Prozent Ferienwohnungen haben, keine neuen Zweitwohnungen erstellen.
Das Gesetz ist wirksam, wie ein Monitoringbericht aus dem Jahr 2023 gezeigt hat. So wurden in den letzten Jahren Ferienappartmentsiedlungen auf der grünen Wiese eingeschränkt. Das Problem: Seit die Feriengäste keine eigenen Wohnungen mehr erstellen dürfen, konzentrieren sie sich auf Gebäude, die vor 2012 gebaut wurden. Mit der steigenden Nachfrage nach alten Häusern steigt auch deren Preis – mit der Folge, dass Einheimische verdrängt werden.
Günstige Mietwohnungen abgerissen
Die Mehrheit des Ständerats hofft nun, diese Abwanderung mit einer Lockerung des Gesetzes zu stoppen. So sollen Eigentümer alter Häuser mehr Spielraum erhalten. Im Moment gilt: Wer ein altes Haus saniert oder umbaut, darf es vergrössern, aber nur um knapp ein Drittel. Wer aber abreisst, muss den Neubau an derselben Stelle und genau gleich gross bauen wie das alte Haus. Dies verunmöglicht vielfach, eine weitere Wohnung einzubauen.
Diese Einschränkung soll nun fallen. Die Überlegung: Wenn Eigentümer neu eine zweite Wohnung einbauen und beispielsweise an Gäste vermieten, nimmt der Wert des Objekts zu. Entsprechend steigt auch die Kreditwürdigkeit bei der Bank. So liesse sich die Sanierung der ersten Wohnung über die zweite finanzieren. Die Hoffnung ist, dass sich so auch Einheimische Wohneigentum im Dorfkern noch leisten können.
Bei der Linken kam diese Argumentation schlecht an. Sie fürchtet, dass mit dieser Lockerung günstiger Mietraum vernichtet wird. Bemerkenswerterweise schlug sich am Dienstag auch Ständerätin Heidi Z’graggen auf diese Seite. Und das, obwohl sie für die Mitte politisiert, also dieselbe Partei wie Nationalrat Martin Candinas, der die Lockerung angestossen hatte. Die Vorlage sei ein «Brandbeschleuniger für noch mehr Zweitwohnungen», sagte Z’graggen, und daher «verfassungsrechtlich sehr problematisch». Sie stellte den Antrag, dass Eigentümer von alten Bauten nur neue Erstwohnungen einbauen dürften, keine Zweitwohnungen. Ein Vorschlag, den auch der Bundesrat aus ähnlichen Überlegungen empfahl und der auch von vereinzelten Freisinnigen unterstützt wurde.
Doch Z’graggen unterlag, die Mehrheit des Ständerat stimmte der Liberalisierung zu. Nächste Woche geht die Vorlage in die Schlussabstimmung.
Die Zweitwohnungsinitiative geht zurück auf die Fondation Franz Weber. Diese wird sich erst nach der Schlussabstimmung überlegen, ob sie das Referendum ergreift, heisst es auf Anfrage. Eine der Fragen dürfte sein, ob die Organisation zwei Abstimmungskämpfe stemmen kann. Zurzeit führt sie das Referendum gegen das Stromgesetz an.
Dennoch dürfte das letzte Wort in Sachen Wohnungsnot im Berggebiet nicht gesprochen sein. Martin Schmid, FDP-Ständerat aus Graubünden, regte während der Debatte an, in Zukunft einmal über die fehlenden Baulandreserven in den Bergen zu diskutieren. Aufgrund der Revision des Raumplanungsgesetzes mussten viele Gemeinden ehemaliges Bauland umzonen, mit dem Ziel, die Zersiedelung zu stoppen. Laut Schmid verschärft das aber die Wohnungsnot, da Gemeinden keinen neuen Wohnraum bauen können. «Wir müssen in diesem Rat einmal über die Bücher gehen», sagte Schmid. Widerstand ist vorprogrammiert.