Er ist bekannt für seine drastischen Bildwelten. Gleichwohl bedient Jusepe de Ribera, der in Rom und Neapel tätig war und sich an Caravaggio schulte, keinen kruden Voyeurismus. Seine Gemälde überzeugen stets durch grosses Einfühlungsvermögen.
Zwei Männer mit Vollbart und ein Baby: Das lebensgross dargestellte Trio lässt an ein schwules Paar mit Kind denken, wie man es eben gerade noch in der bunten Menge auf den Strassen von Paris hätte erblicken können. Jetzt aber, im Petit Palais angelangt, verblüfft die unkonventionelle Familie, weil das Gemälde aus dem Jahr 1631 stammt. Eine der Figuren trägt ein langes Gewand, aus dem kugelrund eine pralle Brust hervorquillt, um den Säugling zu stillen.
Es fällt schwer, in der maskulinen Gestalt eine gewisse Maddalena Ventura zu erkennen, selbst wenn man erfährt, dass sich bei dieser mehrfachen Mutter aus Accumoli am Rand der Abruzzen, hier von ihrem Ehemann begleitet, in fortgeschrittenem Alter eine Hormonstörung eingestellt hatte. Zeitgenossen betrachteten sie als «cosa meravigliosa» und «grosses Mirakel der Natur».
Das Bild «Frau mit Bart» entsteht, als ein an Kuriositäten interessierter spanischer Sammler in Neapel die verwirrende Erscheinung dokumentiert sehen möchte und dafür einen Landsmann beauftragt, der hier seit langem lebt, «lo Spagnoletto» gerufen wird und sich selbst Jusepe de Ribera nennt. Die Wahl erstaunt keineswegs, denn der Maler hat seit langem nicht nur handwerklich überzeugende Werke, sondern auch lebensnahe Porträts geschaffen, die keineswegs den klassischen Vorstellungen von Schönheit und Ideal folgen.
Ihm gelingt es dabei, vordergründig kruden Naturalismus mit Einfühlungsvermögen zu verbinden. Damit fesselt er sein Publikum. So ist es nicht allein der Phantasie des Betrachters überlassen, hinter dem «Wunder» auch ein menschliches Drama zu ahnen – Ribera bedient nicht in erster Linie Sensationsgier, sondern lässt in ernste Gesichter und damit auch hinter die Kulissen blicken.
Mystisches Halbdunkel
Als Joan Josep Ribera, 1591 in Xàtiva bei Valencia geboren, noch als Heranwachsender die Heimat verlässt und um 1605/06 nach Rom gelangt, entscheidet er sich schnell, insbesondere einem Vorbild zu folgen: Michelangelo Merisi da Caravaggio. Wie dieser taucht der Spanier seine Bildwelten – vorab Porträts, aber auch einige wenige mythologische und viele religiöse Themen – in mystisches Halbdunkel. So heisst die ihm jetzt gewidmete umfassende Retrospektive zutreffend «Ribera – Ténèbres et lumière».
Sein bekanntestes Bild, «Der Klumpfuss», das dem Louvre gehört, ist hier zu sehen. Zudem wird ein bedeutendes Ensemble von rund sechzig Werken aus seinen Römer Jahren, deren Autorschaft unklar war und zu unterschiedlichen Zuschreibungen führte, nun mit Ribera in Verbindung gebracht. So besteht die Schau aus lediglich zwei topografischen sowie biografischen Kapiteln: Rom und das Frühwerk, das nun erstmals breit präsentiert werden kann, sowie die Jahre der Reife und des Ruhms in Neapel, wohin Ribera 1616 übersiedelte.
Ribera ist bekannt für seine ungemein eindringlichen Darstellungen meist alter Männer. Die oft mit wenig Licht und viel Schatten konturierten und modellierten Figuren können als Allegorien verstanden werden. Oder dann sind es Phantasiebildnisse längst verstorbener antiker Philosophen. Ribera hat seine Modelle von der Strasse oder aus der nächstbesten Taverne engagiert. Sein Interesse galt den zerfurchten Gesichtern und der nicht weniger welken Haut.
Der Maler hatte ein Faible für Charakterköpfe. Ihn inspirierten Menschen aus dem Volk wie Bauern und Bettler. Deren Kleidung mag zwar verschlissen sein, sie selbst strahlen aber Würde aus. Riberas an Caravaggio geschulte Lichtführung mit dem reduzierten, oft schräg von oben links kommenden Einfall gilt ohnehin weniger den Gewändern als vielmehr dem Gesicht. Blick, Haut und Händen verleiht er Intensität und Ausdrucksstärke.
Drastische Bildwelten
Mimik und Gestik wirken oft theatralisch, aber nie unangemessen. Ribera steigert sie dort, wo Qual, ja Brutalität ins Spiel kommt. So etwa bei seinen Darstellungen von Märtyrern, den Leiden Jesu oder dem Sieg Apolls über Marsyas. Letzterer liegt am Boden und schreit vor Schmerzen mit weit aufgerissenem Mund, weil ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen wird. In solchen Bildern gibt der Maler jede Zurückhaltung auf, denkt an Foltermethoden seiner Zeit und geht über das gemeinhin Vertretbare hinaus, um ungeschminkt kompromisslose Sühne nachvollziehbar zu machen.
Viele Bilder sind der Innerlichkeit des Glaubens verschrieben. Es verwundert deshalb, dass ein zeitgenössischer Beobachter wie der Arzt, Sammler und Kunsthistoriker Giulio Mancini das Milieu des Malers als liederlich betrachtet und seinen Lebenswandel als unehrenhaft brandmarkt, vor allem seine Trunksucht und den Umgang mit Prostituierten. Mancini glaubt zu wissen, dass im Haus des Künstlers «continuamente puttane» – ständig Huren – herumlungern, die er als schmutzig und abstossend charakterisiert.
Auch soll Ribera laut Mancini Rom verlassen haben, um vor Gläubigern zu fliehen. Demgegenüber steht fest, dass der Maler gleich zu Beginn seines neuen Lebensabschnitts in Neapel in den Hafen der Ehe einkehrt und ein Haus mit Garten erwirbt. Er erfreut sich dort zunehmender Wertschätzung und wird reichlich mit Aufträgen bedacht. Neapel ist damals iberisches Hoheitsgebiet, und «lo Spagnoletto» profitiert davon.
Ribera kann zwar ungemein drastisch werden, gleichzeitig aber auch sinnliche Töne anschlagen, selbst in Szenen, die einen dramatischen Hintergrund haben. So schildert er in «Venus und Adonis» den Augenblick, wo die Göttin auf ihren Liebhaber trifft, der von einem Wildschwein getötet und von ihrem Jagdhund aufgespürt wurde: Mit entblösstem Rücken und Nacken liegt er am Waldrand. Noch erotischer wirkt Riberas «Heiliger Sebastian», dargestellt mit leicht behaarter Brust und freigelegter Achselhöhle. Ribera malte ihn 1651, ein Jahr vor seinem Tod, mit aufgehellter Palette. Seiner raffinierten Lichtregie aber blieb er treu.
«Ribera – Ténèbres et lumière», Petit Palais, Paris, bis 23. Februar. Katalog: 49 Euro.