Seit Januar leitet die Argentinierin Celeste Saulo die Weltorganisation für Meteorologie in Genf. Eines ihrer Ziele: die Warnsysteme für Wetterextreme auszubauen.
Das Porträt einer Hoffnungsträgerin.
Zieht über dem Genfersee ein Gewitter auf, hat Celeste Saulo einen Grund zur Freude. Denn die Gewitterwolke, unter Meteorologen Cumulonimbus genannt, ist ihre Lieblingswolke. Seit Anfang Jahr leitet die Argentinierin bei den Vereinten Nationen die Weltorganisation für Meteorologie – als erste Frau in diesem Amt.
Celeste heisst übersetzt «die Himmlische». Der Vorname scheint also perfekt zu einer Meteorologin zu passen. Doch die Begeisterung für das Wetter ist der 1964 in Buenos Aires geborenen Celeste Saulo nicht in die Wiege gelegt worden, sondern wurde erst an der Universität geweckt. Als junge Frau war sie fasziniert von Mathematik und Physik. «Aber die Fächer waren mir zu abstrakt.» Sie wollte etwas studieren, bei dem sie ihre Neigung für etwas verwenden konnte, das man «sehen und berühren» kann. Jemand riet ihr, Meteorologie oder Geologie zu studieren. Celeste Saulo wählte die Meteorologie.
Ihr fehlte die Verbindung zwischen Theorie und Praxis
«Ich liebe die Wettervorhersage, bei der ich Mathematik, Physik und Modellieren verbinden kann», sagt Saulo. Sie forschte und lehrte an der Universität von Buenos Aires, wurde Professorin und leitete das Departamento de Ciencias de la Atmósfera y los Océanos. Doch sie merkte, dass ihr etwas fehlte. «Wir haben Studien veröffentlicht, aber es gab keine Verbindung zwischen der Forschung und dem Wetterdienst.»
Damals unterstand der Wetterdienst von Argentinien der Luftwaffe. Zusammen mit einer Gruppe von Kollegen erreichte Saulo 2007, dass der Wetterdienst unabhängig von dem militärischen Einfluss wurde. Ein Direktor ohne militärischen Hintergrund kam ins Amt.
Bald darauf bot man Saulo die Direktorenstelle beim argentinischen Wetterdienst an. Sie beriet sich mit ihrem Mann und den zwei Kindern – und sagte zu. «Ich dachte mir: So kann ich diese beiden Gemeinschaften zusammenbringen, die Forschung und die Wettervorhersage. Und ich hatte Erfolg.»
Wissenschafter zögerten manchmal, in das Gebiet des Managements und der Finanzen zu wechseln, sagt Saulo. Doch sie fühlte sich wohl damit.
Über den Wetterdienst führt der Weg nach Genf
Als Direktorin des nationalen Wetterdiensts wurde Saulo permanente Vertreterin Argentiniens bei der Weltorganisation für Meteorologie (WMO). Sie begann zu verstehen, wie man als Mitgliedsstaat Entscheidungen der Organisation beeinflussen kann. Leicht war das für sie nicht. Die Lenkungsstruktur der WMO sei komplex. «Wenn man nicht genug Personal hat, ist es schwierig, sich einzubringen», sagt sie.
Saulo stieg in der WMO auf: Sie wurde Mitglied des Exekutivrats, später Vizepräsidentin. Der Gedanke, Generalsekretärin der WMO zu werden, sei dann ganz natürlich gekommen. Im Juni 2023 gewann Saulo die Abstimmung im Kongress der WMO, also der Generalversammlung der Mitgliedsländer. Um das Amt hatten sich vier Kandidaten beworben. Es war ein erdrutschartiger Sieg: Sie erhielt 108 Stimmen, der Zweitplatzierte, Wenjian Zhang aus China, nur 37.
Nach der Wahl feierte Saulo gemeinsam mit Freunden und Mitarbeitern der WMO in einem Lokal in Genf; es wurde getanzt. Von verschiedenen Seiten ist zu hören, die Organisation sei jetzt von einer Aufbruchsstimmung erfasst. Der Rückhalt bei den Mitgliedsstaaten ist jedenfalls sehr gross.
Die erste Frau im Amt, die erste Person aus Amerika
«Ich glaube, dass ich wegen meiner Herkunft etwas anderes mitbringe, als wir zuvor hatten», sagt Saulo mit diplomatischem Understatement. Sie ist nicht nur die erste Frau in dem Amt. Es gab auch noch nie einen Generalsekretär aus Nord- oder Südamerika. Der Vorgänger, Petteri Taalas, kam aus Finnland. Bis auf einen einzelnen Afrikaner waren alle früheren Generalsekretäre Europäer.
Argentinien sei ein Land mit mittelhohem Einkommen, sagt Saulo. «Dadurch können wir auf Augenhöhe mit Industrieländern wie auch mit Entwicklungsländern sprechen.» Sie komme von einem Wetterdienst, in dem sie immer um das Budget habe kämpfen müssen, und diese Erfahrung verleihe ihr die Fähigkeit, Ländern zu helfen, die in einer ähnlichen Lage seien.
Celeste Saulo wirke hochkompetent, sagt Fabio Fontana von Meteo Schweiz. Er leitet die Abteilung Internationale Zusammenarbeit und hat Saulo an früheren Gremiensitzungen der WMO kennengelernt. Als eine Person, die Brücken schlage, könne sie integrativ wirken. Gleichzeitig sei sie «sehr klar in der Sache» und setze sich stark für Chancengleichheit ein, sagt Fontana.
Zu den Prioritäten zählt der Aufbau von Warnsystemen
Eines der Dinge, bei denen viele arme Länder Hilfe benötigen, ist der Aufbau effizienter Warnsysteme für Wetterextreme. Bis Ende 2027 will die WMO in allen Mitgliedsstaaten solche Systeme installiert sehen.
«Man kann so ein System nur aufbauen, wenn man auch mit Stakeholdern zusammenarbeitet, die nicht aus der meteorologischen Welt kommen», sagt Saulo. Vier Ebenen wirken bei den Wetterwarnungen zusammen: die Risikoanalyse, die Beobachtung und Vorhersage, die Kommunikation und die Rettungsarbeit. Neben dem Wetterdienst und dem hydrologischen Dienst spielen dabei auch der Zivilschutz, das Fernsehen wie auch das Rote Kreuz eine wichtige Rolle.
Generell will Saulo die nationalen Wetterdienste und die hydrologischen Dienste in ihrer Rolle stärken. Es gebe immer noch viele Länder, in denen die Regierungen diesen Diensten nicht viel Aufmerksamkeit schenkten. «Wir wollen ihre Sichtbarkeit erhöhen, denn sie sind ein Schlüssel für die Entwicklung der Länder», sagt die WMO-Chefin. Um die wirtschaftliche Produktivität zu erhöhen, für die Gesundheit und für eine sichere Nahrungsversorgung brauche es verlässliche Informationen zu Wetter, Klima und Wasser.
Für das neue Amt bringt Celeste Saulo einige Opfer. Ihre Hobbys hat sie vorerst an den Nagel hängen müssen. Dabei hat die Argentinierin viele Hobbys. Tanzen sei für sie eine gute Ablenkung, sagt sie, es gebe ihr Energie. Sie liebe auch das Kochen und alle Arten von Musik, von lateinamerikanischer bis zu Rock: The Rolling Stones, Pink Floyd, The Police, Sting, Phil Collins . . . Sie hofft, dass sie bald wieder mit einigen Hobbys wird anfangen können. Musik kann sie mit ihrem iPod überall hören. Aber sie würde gerne wieder einmal etwas anderes lesen als Studien, sagt Saulo.
Wie sie freimütig in den Medien erzählt hat, wurde Saulo im Dezember das erste Mal Grossmutter. Ein Nachteil ihres Umzugs nach Genf ist, dass sie ihren Enkel nicht zu Gesicht bekommt. «Ich rufe dreimal in der Woche meine Tochter an – und dann singe ich ihm etwas vor», sagt sie.
Jeder Wald nimmt CO2 in anderem Masse auf
Nicht nur zum Wetter, sondern auch zum Klimawandel wird sich Saulo in ihrer Rolle als Generalsekretärin immer wieder äussern. Das haben schon ihre Vorgänger regelmässig getan. Bei diesem Thema wird die Meteorologin sehr ernst und wählt jedes Wort mit Bedacht.
Saulo erinnert an die frühen Arbeiten des späteren Nobelpreisträgers Syukuro Manabe zum Klimawandel, die er im Jahr 1969 veröffentlichte – und an all die Warnungen der Wissenschafter, die danach kamen. «Und nichts ist passiert, weil die ökonomische Kraft so viel mehr Einfluss hat als die Wissenschaft», sagt sie.
Die WMO trägt schon lange zur Klimaforschung bei, zum Beispiel werden in Forschungsprogrammen der Organisation die Emissionen von Treibhausgasen gemessen, also vor allem CO2 und Methan. Doch es gibt immer noch Wissenslücken. «Ehrlich gesagt verstehen wir die Speicherung von Kohlenstoff durch Wälder noch nicht besonders gut», sagt Saulo. «Wir müssen das messen.» Die Wälder im Amazonasgebiet seien da anders als die Wälder in Kanada oder in Afrika.
Die Meteorologin glaubt nicht, dass die Wissenschaft das Problem des Klimawandels alleine lösen könne. Die Wissenschaft könne aber helfen, wenn man «auf dem richtigen Pfad» sei. Ein sehr solider Vorteil dieser Organisation sei, dass sie sich auf Wissenschaft stütze. «Es ist keine Spekulation, es sind Zahlen, die unsere Mitgliedsstaaten liefern, Daten aus der Wissenschaft – und wenn wir eine Botschaft formulieren, respektieren wir die Schlussfolgerungen des Uno-Klimarats.»
In die Politik einzelner Länder will sich die Wissenschafterin nicht einmischen, doch sie will deutlich vor der Gefahr des Klimawandels warnen, wo das nötig ist. Darum sagt sie, dass «die rote Warnlampe» leuchte und dass es «einen Alarm» gebe. Denn das sei offensichtlich.
Von Genf fühlt sich Celeste Saulo gut aufgenommen
Von ihrem Büro im WMO-Gebäude aus, in dem sie diese Gedanken formuliert, blickt Saulo durch eine riesige Fensterfront auf den Genfersee und seine alpine Umgebung. An diesem Februartag liegt nur auf den Gipfeln Schnee.
Die Meteorologin sagt, dass sie sich von der Art und Weise, wie Genf und die Schweiz sie willkommen geheissen hätten, überwältigt fühle. Die Stadt sei in vielerlei Hinsicht grossartig. Der öffentliche Verkehr, die Züge seien perfekt, alles funktioniere gut.
Doch sie fügt sofort hinzu: «Aber es ist wichtig, nicht zu vergessen, dass die Welt nicht so ist.»